Erfolgversprechend: Das Leistungszentrum in Kienbaum
Leistungszentrum Kienbaum – Ungestört trainieren, unbemerkt regenerieren – Michael Reinsch, Kienbaum, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Das Bundesleistungszentrum Kienbaum ist seit zwanzig Jahren ein Erfolgsmodell des deutschen Sports: Werbung ist nicht nötig, um Athleten für ihre Vorbereitungslehrgänge ins Erbe des DDR-Sportsystems zu locken.
72.000 Übernachtungen pro Jahr, das würde manchem Hotel ein kommodes Auskommen sichern. Doch diese weitläufige Anlage am Liebenberger See in der Mark Brandenburg ist so etwas wie ein Geheimtipp. „Wir brauchen keine Werbung“, sagt Klaus-Peter Nowack, der unter anderen Umständen der Hoteldirektor wäre. Doch er ist Geschäftsführer des Bundesleistungszentrums Kienbaum und sagt: „Den Flyer, den wir mal hatten, haben wir nicht neu aufgelegt.“
Kienbaum braucht weder Aufmerksamkeit noch Andrang. „Spitzensportler sollen hier ungestört trainieren und regenerieren“, sagt Nowack. „Da ist es manchmal ganz gut, wenn unsere Kapazitäten nicht ausgelastet sind.“ Ein Drittel der Buchungsanfragen für seine vierhundert Betten lehnt er ab. Er kann sich das leisten. Ein Drittel seines Etats von drei Millionen Euro bestreitet der Staat. Der Rest kommt von den Verbänden. Deren Zufriedenheit steigt in dem Maße, in dem ihre Athleten ungestört sind.
Erfolgversprechend: Das Leistungszentrum in Kienbaum
Die zentrale Trainingsstätte für Spitzensport ist eine neue Idee – von 1952. Im Juli vor bald sechzig Jahren übernahm der Deutsche Turn- und Sportbund der DDR einige Erholungsheime für Künstler und Funktionäre in Kienbaum und machte fortan kein großes Aufhebens davon, wie er dort und in den nach dem Vorbild Kienbaums geschaffenen Sportklubs seine athletischen Klassenkämpfer vorbereitete. Als die Mauer fiel und der damalige Präsident des Landessportbundes Berlin, Manfred von Richthofen, nach der Mutter aller Trainingszentren und Olympiastützpunkte dreißig Kilometer östlich von Berlin schaute, sah er schon von weitem, so erinnert er sich, „einen grauenvollen Schornstein, der Giftwolken absonderte.“
Doch in der weitläufigen Anlage erkannte er eine Einrichtung, wie es sie im Westen nicht gab, und er setzte sich an die Spitze derer, die um den Erhalt des Sportzentrums Kienbaum kämpften. An diesem Mittwoch werden er und seine Mitstreiter zum Zwanzigjährigen ihres Trägervereins mit Spitzensportlern auf ihren Erfolg und deren Erfolge anstoßen. Rund 73 Millionen Euro sind in zwei Jahrzehnten geflossen, um aus den Pavillons, Plattenbauten und Sportanlagen das zu machen, was der Vorsitzende des Trägervereins von heute, Hans-Georg Moldenhauer, das größte Sportzentrum Deutschlands nennt.
Das bezieht sich nicht allein auf die Fläche von 60 Hektar und die 55 Beschäftigten, über die Kienbaum verfügt. Den Leichtathleten, Turnern, Kanuten und Tischtennisspielern sowie dem Landessportbund Berlin haben sich zwölf weitere Verbände angeschlossen, zuletzt der Handball-Bund. Ihren Kadern – und wenn Gelegenheit ist, auch Hobbyathleten – bietet Kienbaum zusätzlich zur Abgeschiedenheit mit Anschluss an Alex, Ku'damm und Flughafen Sportanlagen erster Güte.
Bundeskanzlerin ist eine Freundin Kienbaums
„Ich könnte Bauleiter werden“, seufzte Nowack einmal. „Für solche Bautätigkeit, wie ich sie zusätzlich koordiniere, arbeiten beim Berliner Senat zwei Beamte.“ Neben der schieren Menge von Sport- und Schwimmhallen, Krafträumen und Leichtathletikplätzen (mit blauer Bahn), neben Wurfhäusern, Kanustrecken und asphaltierten Wegen durch die Mark, neben Gästezimmern, Verwaltungsgebäuden und Räumen für ärztliche und physiotherapeutische Behandlung beeindrucken einmalige Kleinigkeiten.
Da steht etwa eine Maschine, an der Hammerwerfer sich 360 Grad gegen Widerstand drehen können. Da gibt es eine Kältekammer, in der Athleten bei minus 110 Grad Celsius regenerieren können. Und selbst die hochgradige Sauberkeit, die der deutsche Sport für sich reklamiert, findet architektonisch Ausdruck: in picobello gereinigten Räumen für Doping-Kontrollen mit einem Wartebereich wie beim Arzt. Just dort hängt, ob zur Beruhigung, ob zur Mahnung, ein Bild von Angela Merkel.
Die Bundeskanzlerin ist eine Freundin Kienbaums. Zum Sommerfest des vergangenen Jahres flog sie ein und lobte die Ausgaben des Sports für Geräte und Gebäude: „Das ist gut investiertes Geld.“ In Kienbaum, sagte sie, sei die Einheit gelungen. Zentralisierung heißt heute ja auch immer: Sportlerinnen und Sportler aus Ost und West zusammenzubringen. Hochattraktiv ist immer noch ein Unikum aus der DDR: die Unterdruckkammer. Ausdauerathleten trainierten dort unter der Erde in Höhenluft. Heute, da sie in die Rocky Mountains oder ins Atlasgebirge fliegen können, erlebt Nowack eine solche Nachfrage, dass er zwei Führungen pro Woche machen könnte. Nun soll die schmucklose Halle mit Tischtennisplatten und Fahrradergometern hergerichtet werden: als Museum.
Es ist richtig, an die Geschichte der Sportschule zu erinnern. Bei aller Diskretion wird sie immer attraktiver. Am liebsten, haben die Spitzensportler aus der Sportgruppe der Bundespolizei kürzlich geschrieben, würden sie ihren Standort aufgeben. Sie wollen aus Cottbus nach Kienbaum ziehen.
Michael Reinsch, Kienbaum, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 15. Juni 2011