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19
06
2011

Das Virus, das müde macht, existiert also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Das ist enttäuschend, bleibt damit doch die Ursache des Erschöpfungssyndroms weiter im Dunkeln

Dr. Hartmut WEWETZER vom Tagesspiegel fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin – Heute: Chronische Erschöpfung ist keine Vrusinfektion – Entschlafener Erreger

By GRR 0

Das Ende des Ehec-Erregers kann ich an dieser Stelle nicht verkünden. Fiese Darmbakterien werden uns auch weiterhin das Leben schwer machen. Aber ein anderer Übeltäter hat sich als vermeintliche Gefahr herausgestellt.

Das Ende des Ehec-Erregers kann ich an dieser Stelle nicht verkünden. Fiese Darmbakterien werden uns auch weiterhin das Leben schwer machen. Aber ein anderer Übeltäter hat sich als vermeintliche Gefahr herausgestellt. Vor knapp zwei Jahren berichtete ich an dieser Stelle über das Virus XMRV. US-Forscher fanden es im Blut von Patienten, die unter dem chronischen Erschöpfungssyndrom CFS litten, zuvor war das Virus bereits bei Prostatakrebs entdeckt worden. CFS äußert sich in Müdigkeit und diffusen Beschwerden, etwa Gliederschmerzen.

Allerdings gab es bei der Virus-Hypothese eine Einschränkung. Andere Wissenschaftler hatten die außergewöhnliche Entdeckung noch nicht bestätigt.

Die Suche hat begonnen, schrieb ich. Nun liegt das nicht minder überraschende Ergebnis vor: XMRV, das Virus, das müde macht, ist ein Phantom. Es narrte Wissenschaftler, Ärzte und Patienten.

Eigentlich hatte die Studie der Amerikaner einen überzeugenden Eindruck gemacht. Bei zwei von drei CFS-Patienten fand sich das ursprünglich aus dem Erbgut der Maus stammende Virus, unter Gesunden war nur jeder 30. Virusträger. So schien es zumindest. Doch seitdem fielen wenigstens zehn weitere Untersuchungen negativ aus. CFS und Virus? Fehlanzeige. Prostatakrebs und Virus? Ebenfalls Fehlanzeige.

Und jetzt ist im Fachblatt „Science“ eine Studie veröffentlicht worden, die erklären kann, wie die Viren ins Blut der Erschöpften gelangten. In Mäusen eingepflanzte menschliche Prostatakrebszellen bekamen den Erreger von den Nagern übertragen und lenkten so die Forscher auf die falsche Fährte. Von den Krebszellen breitete sich die genetische Falschinformation aus.

Frühere Studien hatten schon darauf hingedeutet, dass eine Verunreinigung mit Erbinformation von der Maus hinter der vermeintlichen Virusinfektion stecken könnte. Eine weitere Untersuchung nahm sich die CFS-Kranken vor, die vor knapp zwei Jahren positiv getestet worden waren. Jetzt waren sie negativ.

Das Virus, das müde macht, existiert also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Das ist enttäuschend, bleibt damit doch die Ursache des Erschöpfungssyndroms weiter im Dunkeln. Den Betroffenen fehlt die Bestätigung durch einen Labortest, der ihnen bestätigt, körperlich und nicht „nur“ psychisch krank zu sein. Aber die Zweiteilung zwischen Körper und Seele ist künstlich. Müder Geist und mattes Gehirn gehören zusammen. Beide sind eins.

Auf der anderen Seite können sich Patienten eine nicht unbedenkliche Behandlung mit Aids-Medikamenten – die wirken auch gegen XMRV – sparen. Und in Blutbanken kann entwarnt werden, eine Gefahr durch Blutspender mit XMRV existiert nicht.

Was wirklich gegen chronische Erschöpfung hilft, belegt eine im Fachblatt „Lancet“ veröffentlichte Studie unter dem Namen „Pace“. Danach können eine Psychotherapie, die eingefahrene Verhaltensmuster ändert, und ein körperliches Trainingsprogramm, das die Anforderungen allmählich steigert, den Patienten helfen.

Hilfe zur Selbsthilfe statt Viruspille.

Dr. Hartmut Wewetzer leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegel
. Sonntag, dem 12. Juni 2011

author: GRR

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