Zwischen Keks und Haferschleim – Verpflegung während langer Wettkämpfe – was ist sinnvoll? Dr. Anja Carlsohn in LAUFZEIT 4/2011 (www.laufzeit.de)
Als Wettkampfläuferin und Ernährungswissenschaftlerin schaue ich mir vor jedem Wettkampf die Verpflegungsinformationen des Veranstalters an. Dies empfehle ich grundsätzlich allen Athleten, um sich vor unerwarteten Überraschungen zu schützen, und – wenn nötig – die eigene Versorgung anderweitig zu organisieren.
Sehr unterschiedlich ist die Anzahl von Verpflegungsund Getränkestationen und das oft sehr vielfältige Angebot. So bietet ein Schweizer Berg-Marathonveranstalter z. B. „Bananen, Alpinbrödli, Balisto, Eistee, Bouillon, Long Energy, Liquid Energy plus, Cola, Wasser und alkoholfreies Bier" an.
Ein anderer Landschaftsmarathonveranstalter hat Wasser, Haferschleim, Obst und Mineralgetränke sowie im Ziel Erbsensuppe und Bier im Angebot. Bei typischen Stadtlaufveranstaltungen dagegen muss man sich meist mit Trinkwasser der örtlichen Wasserbetriebe und gelegentlich auch isotonen Getränken und Bananenstücken begnügen.
Welche Art der Verpflegung ist notwendig, wo sollte ich als Läufer zugreifen und was lieber stehen lassen? Wie so oft gibt es auf diese Fragen keine pauschalen, auf jeden Läufer passenden Antworten. Stattdessen spielen individuelle sowie exogene (Umwelt-)Faktoren eine Rolle: Laufzeit, Temperatur, Luftfeuchte, Höhenbedingungen, Trainingszustand, Wasserverlust/ Schweißrate, Nahrungsmittelverträglichkeit, Zielsetzung im Wettkampf, Erfahrung usw..
So ist die absolute Zeitdauer entscheidender als die gelaufene Strecke. Ein Spitzenläufer absolviert den Stadtmarathon in etwas mehr als zwei Stunden, während ein ambitionierter Freizeitläufer für die gleiche Streckenlänge im Bergmarathon locker die dreifache Zeit unterwegs ist. Spitzenläufer im Stadtmarathon, die in eine Banane beißen oder Kekse essen sieht man im Fernsehen selten. Bei Laufgeschwindigkeiten von drei min pro Kilometer und schneller dürfte eine ausgiebige Mahlzeiteneinnahme nicht nur sehr schwierig sein.
Bei einer Gesamtbelastungsdauer von zwei bis drei Stunden sind feste Nahrungsmittel schlicht nicht notwendig und könnten sogar zu Magen-Darmproblemen führen.
Kohlenhydrate vorher tanken
Gut wissenschaftlich belegt ist jedoch, dass eine Zufuhr von Kohlenhydraten, jenen Nährstoffen die unser Körper während intensiver Belastungen bevorzugt zur Energiegewinnung verbrennt, eine frühzeitige Ermüdung verhindern und somit die Leistungsfähigkeit in Ausdauerbelastungen verbessern können. Eine ausreichende Kohlenhydratzufuhr vor Wettkampfbeginn, optimalerweise in den letzten ein bis drei Tagen vor dem Start, ist daher essenziell.
Gut gefüllte muskuläre Kohlenhydratspeicher (sog. Glykogenvorräte) sind eine gute Voraussetzung, um möglichst lange im Wettkampf auf Kohlenhydrate als Energielieferanten zurückgreifen zu können. Sind die Glykogenspeicher entleert, muss der Körper auf Fette umsteigen – und wir als Läufer müssen leider das Tempo deutlich drosseln. Intensive Belastungen (hohe Geschwindigkeiten) lassen sich im Fettstoffwechsel nicht aufrechterhalten, da die Energiebereitstellung dann zu ineffizient ist und deutlich mehr Sauerstoff verglichen mit dem anaeroben Kohlenhydratstoffwechsel benötigt.
Wie viele Kohlenhydrate sollte man nun in der Vorbereitungsphase zu sich nehmen, um optimal gefüllte Glykogenspeicher am Wettkampftag zu gewährleisten? Als Faustregel gelten 10 – 12 g pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag an den letzten ein bis drei Vorwettkampftagen.
Für eine 50 kg schwere Läuferin wären das immerhin 500-600 g Kohlenhydrate am Tag, für einen 70 kg schweren Läufer 700 bis 840 g pro Tag. Wichtig ist jedoch zu wissen, dass die Glykogensynthese, also die Herstellung von Muskel-Kohlenhydratspeichern, besonders effektiv nach intensiven Belastungen ist.
Verschiedene Arbeiten haben gezeigt, dass durch intensive Trainingseinheiten und sofortige Kohlenhydratgabe nach Belastungsende die Glykogensynthese deutlich höher ist als ohne vorangegangene Belastung. Dies liegt u. a. daran, dass die Enzyme, die für die Glykogenherstellung verantwortlich sind, unmittelbar nach intensiven Belastungen besonders aktiv sind. Daher ist Wettkampfsportlern zum optimalen Auffüllen der Glykogenspeicher zu empfehlen, ca. drei bis vier Tage vor einem Wettkampf eine intensive Trainingseinheit (z. B. Intervalle im geplanten Renntempo) zu absolvieren und direkt danach, noch vor dem Auslaufen, mit der Kohlenhydratzufuhr zu beginnen.
Hierzu eignen sich an erster Stelle Getränke, z. B. 250 ml Apfelsaftschorle alle 15 Minuten in der ersten Stunde, ergänzt durch einen Müsliriegel und/oder eine Banane.
Vom Unsinn des Traubenzuckers
Trotz optimal gefüllter Glykogenspeicher genügen die körpereigenen Kohlenhydratvorräte in der Regel nicht, um den gesamten Energiebedarf während eines Marathons abzudecken. Eine Kohlenhydratgabe von ca. 60-90 g pro Stunde (bei Laufzeiten über 3 h) hat sich hier als optimal erwiesen, um Leistungseinbußen und frühzeitige Ermüdung zu vermeiden. Viele Läufer fragen sich, ob der während des Rennens zugeführte „Brennstoff" überhaupt noch im Muskel ankommt, bevor man das Ziel erreicht.
In der Tat ist die maximale Oxidationsrate von Kohlenhydraten begrenzt und beträgt bei einem Glucose-Fructosegemisch ca. 1,75 g pro min. Pro Stunde können demnach ca. 400 kcal in Form von exogenen (mit der Nahrung aufgenommenen) Kohlenhydraten bereitgestellt werden. Wird lediglich Glucose (Traubenzucker) verzehrt, liegt die maximale Oxidationsrate bei 1,1 g/min. Der limitierende Faktor hierbei sind neben der enzymatischen Oxidation (Verbrennung) vor allem die Kohlenhydrat-Transporter im Darm. So kann Glucose nur über ein spezifisches Transportprotein vom Darm aufgenommen werden.
Wird die Glucosezufuhr deutlich erhöht, kommt es zur Sättigung der Glucosetransporter. Die über die Menge von 1,1 g/min zugeführte Nahrung gelangt zunächst nicht ins Blut und kann somit nicht zur Energiebereitstellung genutzt werden. Einfach nur „viel Traubenzucker" während des Laufens zu konsumieren, macht also kein Sinn. Zumal die im Darm verbleibende Glucose Wasser bindet und so zu Magen-Darmproblemen wie Diarrhoe führen kann.
Sinnvoller ist es daher, auf Kohlenhydratgemische zurückzugreifen, die nicht nur Glucose, sondern auch Fructose (Fruchtzucker) enthalten. Fructose wird über einen anderen Transporter im Darm aufgenommen, sodass eine Erhöhung der Kohlenhydratzufuhrmenge und der Oxidationsrate möglich ist. Derartige Gemische finden Sie beispielsweise in Fruchtsäften, Haferschleim mit Honig, Obst und kommerziellen „Sportler- Produkten".
Dringend anzuraten ist es jedoch, sowohl die Lebensmittel/ Produkte als auch die hohen Verzehrsmengen in wettkampfähnlichen Trainingseinheiten zu testen. Eine Zufuhr von 400 kcal pro Stunde bedeutet ca. 2.000 kcal während eines 5-stündigen Marathons! Das ist mehr Energie, als einer sitzenden Büroangestellten für den ganzen Tag empfohlen wird. Derartig hohe Zufuhrmengen sollten daher im Training geübt werden.
Möglicherweise ist es für den Einzelnen sogar sinnvoller, weniger (kleinere Portionen) zu verzehren als das derzeit empfohlene Maximum. Wichtig ist, dass Sie sich im Rennen wohl fühlen, ohne Völlegefühl und Magen-Darmbeschwerden das Rennen absolvieren.
Kurze Strecke – wenig bis nichts
Wie sieht es bei kürzeren Belastungen bzw. schnelleren Läufern aus? Bei Laufzeiten zwischen zwei und drei Stunden wird unabhängig von der Streckenlänge eine Zufuhr von bis zu 60 g Kohlenhydrate pro Stunde empfohlen. Da dies im Bereich der maximalen Glucose-Oxidationsrate liegt, sind keine Glucose-Fructosemischungen notwendig.
Bei noch kürzeren Belastungen (10-km-Rennen, Halbmarathon) wird eine Kohlenhydratzufuhr bis zu 30 g pro Stunde empfohlen. Dies ist beispielsweise durch einen Becher kohlenhydrathaltiges Getränk während des Halbmarathons gewährleistet. Schnelle Läufer (Laufzeiten unter 75 min) auf diesen Strecken benötigen gar keine Kohlenhydrate bzw. keine Energiezufuhr während des Rennens.
Gegebenenfalls kann sich das Ausspülen des Mundes mit kohlenhydratreichen Getränken bei Wettkämpfen zwischen 75 und 45 min günstig auf die Wettkampfleistung auswirken. Bei Belastungen unter 45 min haben Kohlenhydrate während des Rennens keinen Effekt auf die Leistungsfähigkeit.
Grundsätzlich gilt: bei intensiver Belastung (höhere Laufgeschwindigkeit) sollte bevorzugt auf kohlenhydratreiche Flüssigkeiten/Getränke zurückgegriffen werden. Bei längeren Laufzeiten über drei Stunden können auch feste Lebensmittel verzehrt werden, die etwas verzögert aufgenommen werden und ein wenig Sättigung bei Hungergefühl bringen.
Insofern liegt der Berg-Marathonveranstalter mit seinen Alpinbrödli für die Läufer mit längeren Laufzeiten genau richtig.
Dr. Anja Carlsohn in LAUFZEIT 4/2011 (www.laufzeit.de)
LAUFZEIT ist das erste und einzige Laufmagazin, dass ein Online-Abo (LAUFZEIT als PDF) anbietet. Hier der Link: https://www.laufzeit-online.de/laufshop/index.php?sub=_1100
Begriffe
Glucose (auch Glukose, von Griechisch „süß") ist ein „Einfachzucker" und gehört damit zu den Kohlenhydraten. Sie wird auch als Traubenzucker oder in älterer Literatur als Dextrose bezeichnet.
Fructose (umgangssprachlich Fruchtzucker, oft auch Fruktose, von lat. Fructus, dt. „Frucht") ist eine natürlich vorkommende chemische Verbindung. Sie gehört als „Einfachzucker" zu den Kohlenhydraten.
Glycogen (auch Glykogen, tierische Stärke oder Leberstärke) ist ein verzweigtes Polysaccharid (Vielfachzucker), das aus Glucose-Einheiten aufgebaut ist. Glykogen dient der kurz- bis mittelfristigen Speicherung und Bereitstellung des Energieträgers Glucose im menschlichen und tierischen Organismus. In Leber und Muskelzellen wird bei einem Überangebot von Kohlenhydraten Glykogen aufgebaut. Bei vermehrtem Energiebedarf verwenden die Muskelzellen ihren Glykogenspeicher.
Quelle: wikipedia.de
Die Autorin
Dr. Anja Carlsohn (32) ist als Ernährungswissenschaftlerin an der Uni Postdam tätig. Sie war selbst eine erfolgreiche Läuferin. Unter anderem siegte sie beim Rennsteiglauf-Halbmarathon 2007. Nach zuletzt internationalen Einsätzen in der Berglauf-Nationalmannschaft beendete die Wahlpotsdamerin 2008 ihre aktive sportliche Laufbahn.