In Maßen trinken - Beachtung sollte finden, dass die veraltete Faustregel „Trinken, trinken, trinken" längst keine Gültigkeit mehr hat ©LZ/Weising
Trumpfkarte: Gefüllte Speicher – Mit der richtigen Ernährung einen Marathon gut vorbereiten – Dr. Anja Carlsohn in LAUFZEIT 6/2011
Die Pastaparty am Vorabend eines Marathons ist unbestritten sinnvoll. Das allein wird Sie jedoch nicht schneller laufen lassen. Eine langfristig auf das Training abgestimmte, ausgewogene Ernährungsweise unterstützt den Trainingsprozess und ist für das erfolgreiche Abschneiden notwendig.
Genauso wie Sie Ihre Trainingsinhalte an Ihre Fortschritte anpassen, intensivieren, erhöhen oder periodisieren, macht auch bei der Ernährung eine Anpassung von Energie- und Nährstoffzufuhr an den aktuellen Trainingszustand sowie das Trainingsziel Sinn.
In Abhängigkeit von der Belastungsintensität (Laufgeschwindigkeit) greift der Körper in unterschiedlichem Ausmaß auf verschiedene Energiequellen zurück. Bei Ausdauerbelastungen stehen hierbei Fette und Kohlenhydrate im Vordergrund. Während niedrig-intensiver Ausdauereinheiten werden prozentual mehr Fette als Kohlenhydrate verbrannt (so genannter aerober Energiestoffwechsel).
Bei intensiven Ausdauerbelastungen, also Trainingseinheiten oberhalb der individuellen anaeroben Schwelle, z. B. Tempoläufe oder Dauerläufe im Entwicklungsbereich (anaerober Energiestoffwechsel) steigt dagegen der Anteil der Kohlenhydratverbrennung an der Energiebereitstellung. Während intensiver Ausdauerbelastungen stellen daher Kohlenhydrate die entscheidende Energiequelle für die Muskulatur dar.
Während eines Wettkampfes bewegen wir uns üblicherweise im höher-intensiven Bereich, sodass die Verfügbarkeit von Kohlenhydraten wichtig ist, um die hohe Laufgeschwindigkeit möglichst lange aufrechtzuerhalten. Allerdings kann der Körper Kohlenhydrate – im Gegensatz zu Fetten – nur in begrenztem Umfang speichern. Die Speicherung von Kohlenhydraten erfolgt überwiegend in der Muskulatur und der Leber in Form von Glykogen. Da der Hauptteil des Glykogens in der Skelettmuskulatur gespeichert wird, verfügen Sportler mit einer gut trainierten Muskulatur über größere Glykogenspeicher und somit größere Kohlenhydratreserven.
Insgesamt können je nach Muskelmasse 300-600 g Glykogen gespeichert werden, was ca. 1.200-2.400 kcal entspricht. Näherungsweise benötigt man beim Gehen pro Kilometer zurückgelegter Strecke 1 kcal pro Kilogramm Körpergewicht. Ein 80 kg schwerer Sportler, der die Marathonstrecke also zu Fuß gehend zurücklegt, verbraucht dabei ca. 3.360 kcal. Wer schneller unterwegs ist (schnell läuft statt geht) benötigt aufgrund der veränderten Laufökonomie etwas mehr Energie, vor allem aber steigt der Kohlenhydratanteil an der Energiebereitstellung.
Während des Rennens zehrt der Körper u. a. von seinen Kohlenhydratvorräten, was zur Glykogenverarmung der Muskulatur führen kann. Die Glykogenverarmung in der Muskulatur wird als Hauptursache für eine vorzeitige Ermüdung während der Belastung angesehen. Das Renntempo kann dann nicht länger aufrechterhalten werden.
Wertvolles Wasser gleich noch dazu
Daher ist es sinnvoll, nicht nur während langandauernder Belastungen regelmäßig kleine Mengen an Kohlenhydraten mit der Nahrung oder Getränken aufzunehmen. Vielmehr sollte bereits im Vorfeld auf eine ausreichende Kohlenhydratzufuhr geachtet werden, um mit optimal gefüllten Speichern in das Rennen zu gehen. Zwar ist mit einem forcierten „Kohlenhydratladen" (Carboloading) auch eine potenziell nachteilige Gewichtszunahme verbunden.
Jedoch ist die Gewichtszunahme durch das Glykogen aus Sicht der Leistungsfähigkeit offenbar wenig relevant. Pro Gramm Glykogen werden etwa drei Gramm Wasser gebunden, sodass eine zusätzliche Speicherung von 300 g Glykogen in der Muskulatur zu einem Gewichtsanstieg von 1,2 kg führt. Da mit dieser Kohlenhydrateinlagerung aber gleichzeitig Wasser „gespeichert" wird, ist das insbesondere für Ausdauerbelastungen bei hohen Temperaturen möglicherweise sogar von Vorteil.
Aufgrund der limitierten Speicherfähigkeit des Körpers für Kohlenhydrate ist es sinnvoll, die Kohlenhydratspeicher vor einem Rennen möglichst optimal aufzufüllen. Dafür gibt es verschiedene Strategien. Welche für den einzelnen Sportler am besten geeignet ist, sollte individuell ausgetestet werden (siehe Info-Kästen).
In der Sportpraxis ist es für Athleten ungewohnt und unangenehm, in der Woche vor einem Wettkampf noch intensiv zu trainieren bzw. 3-4 Tage weitestgehend auf Kohlenhydrate zu verzichten, wie dies im klassischen Carboloading-Modell (Kasten 1) vorgesehen ist. Insbesondere die letzte intensive Trainingseinheit wird von vielen Athleten noch einmal als „Formtest" und zur eigenen Motivation genutzt. Findet diese letzte wettkampfspezifische Belastung unter entleerten Kohlenhydratspeichern statt, ist die Leistungsfähigkeit natürlich eingeschränkt, was den Athleten kurz vor einem wichtigen Rennen verunsichern kann. Hinzu kommt, dass die Umstellung von sehr kohlenhydratarmer auf sehr kohlenhydratreiche Kost mit Magen-Darm-Beschwerden einhergehen kann. Während in der kohlenhydratarmen Phase häufig ein Hungergefühl besteht, kann in der High- Carb-Phase Völlegefühl auftreten.
Sherman und Kollegen konnten zeigen, dass bei gut trainierten Athleten die Superkompensation auch ohne vorangegangene Entleerung der Glykogenspeicher gut funktioniert. Eine glykogenerschöpfende Trainingsphase vor dem Wettkampf ist dann nicht erforderlich, wenn eine sehr kohlenhydratreiche Kost mit einem reduzierten Training (Trainingsumfang und -intensität, Kasten 2) oder sogar mit einer Trainingspause kombiniert wird (Kasten 3).
Die Taktik der kleinen Happen
Nicht immer kommen Athleten mit einer vollständigen Trainingspause gut zurecht. Oftmals besteht das Bedürfnis, eine kleine „Vorbelastung" am Vortag des Wettkampfes durchzuführen. Auch bei Wettkämpfen mit langen Anfahrtswegen und langen Sitzzeiten im Auto, Flugzeug oder der Bahn kann es individuell sinnvoll sein, sich am Vortag nochmals ein wenig zu bewegen und eine leichte Trainingseinheit ggf. mit Sprintübungen oder Steigerungen durchzuführen. In diesem Fall sollten unmittelbar nach dieser letzten Trainingseinheit und vor der nächsten Hauptmahlzeit kleine Mengen an Kohlenhydraten zugeführt werden, beispielsweise in Form von kohlenhydrathaltigen Getränken (Saftschorlen, Sportgetränke) oder Müsliriegel oder Bananen.
Die genannten Carboloading-Strategien sind untereinander ähnlich effektiv hinsichtlich der Superkompensation der Glykogenspeicher, d. h. die Entleerung der Kohlenhydratspeicher durch entsprechende Diät und intensives Training hat offenbar keinen Vorteil gegenüber den etwas gemäßigten Methoden. Eine absolute Steigerung der Laufgeschwindigkeit verglichen mit kohlenhydratarmer Ernährung in den Tagen vor dem Wettkampf kann mit Carboloading nicht erzielt werden. Jedoch wird der Zeitpunkt der Ermüdung hinausgezögert bzw. die Athleten können das hohe Wettkampftempo länger beibehalten (was im Endeffekt doch zu einer verbesserten Laufzeit führt).
Sinnvoll ist es in jedem Fall, in den letzten Tagen vor einem Wettkampf auf energiedichte Nahrung mit geringem Ballaststoffgehalt umzusteigen. Auch wenn in der Basis-Sporternährung Ballaststoffe sinnvoll und von gesundheitlichem Nutzen sind, können sie im Wettkampf selbst zu Magen-Darm-Beschwerden führen. Zudem erschwert ein hoher Ballaststoffanteil den Verzehr der erforderlichen, sehr hohen Kohlenhydratmenge von 10 g/kg/Tag. Das gelingt am ehesten durch bewusste Integration süßer Getränke und ggf. Süßspeisen mit geringem Volumen in den Vorwettkampf-Speisenplan.
Trinken und testen
Neben der Kohlenhydratversorgung sollte auch die Flüssigkeitszufuhr bzw. die Gewährleistung einer individuell bedarfsangepassten Getränkeversorgung in der Vorbereitung auf einen Langestrecken-Wettkampf berücksichtigt werden. Insbesondere bei langandauernden, aber intensiven Belastungen kann der Verlust an Flüssigkeit und Elektrolyten (vorrangig Natrium) über den Schweiß erheblich sein. Bereits bei einem Flüssigkeitsverlust von zwei Prozent der Körpermasse (entspricht 1,6 kg bei einem 80 kg schweren Athleten) treten Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten (Konzentration, Koordination) und der Ausdauerleistungsfähigkeit auf.
Daher ist es auch unter relativ thermoneutralen oder kühlen Bedingungen wichtig, auf einen möglichst ausgeglichenen Flüssigkeitshaushalt zu achten. Auch die Natriumverluste mit dem Schweiß während körperlicher Belastung sind erheblich (ca. 400-1.100 mg/Liter Schweiß). Sportler, die drei Kilogramm Gewicht durch Flüssigkeit während der Belastung abnehmen, haben einen Natriumverlust von ca. 1,2-3,3 g.
Da die Magenverträglichkeit zwar bei einem lockeren Trainingslauf gegeben sein kann, dies aber nicht unbedingt auch unter Wettkampfbedingungen (frühes Aufstehen, Nervosität usw.) gegeben sein muss, ist es ratsam, sein Getränk der Wahl im Vorfeld auch unter Wettkampfbedingungen zu testen. Dies kann z. B. bei Unterdistanzwettkämpfen (10-km- oder Halbmarathonläufe) stattfi nden. Daher sollten die Ernährungs- und Trinkpläne nicht zu spät in der Wettkampfvorbereitung erstellt werden, um aureichend Zeit zum Ausprobieren und ggf. Verändern der Ernährungspläne zu haben.
Fotos: LZ/ Weising
Beispiel 1 – „Klassisches 7-Tage-Modell" nach Bergström & Hultman (1966) bzw. Karlsson & Saltin (1971) 7.-4. Tag vor dem Wettkampf:
Entleerung der Glykogenspeicher durch intensives Training und geringe Zufuhr von Kohlenhydraten. In dieser „Entleerungsphase" werden überwiegend kohlenhydratarme, demzufolge eiweißhaltige bzw. fettreiche Lebensmittel verzehrt (z. B. Blattsalat mit Hähnchenbrust, Fisch oder Fleisch mit Salat oder Blattgemüse ohne Beilagen, Käse, ungesüßte Milchprodukte, Nüsse). Gleichzeitig erfolgen intensive Trainingseinheiten (z. B. noch ein langer Lauf oder Intervalltraining 7 bis 4 Tage vor dem Wettkampf), um die Glykogenspeicher der Muskulatur möglichst vollständig zu entleeren. 4.-1. Tag vor dem Wettkampf: Superkompensation der Glykogenspeicher durch Reduktion von Trainingsumfang und -intensität („taper training") sowie reichliche Zufuhr von Kohlenhydraten (überwiegender Verzehr von Pasta, Reis, Kartoffeln, Brot mit süßem Belag, gesüßte Getränke, Süßspeisen wie Grießbrei oder Milchreis mit Früchten, Obst).
Beispiel 2 – Modifiziertes Carboloading nach Shermanet al. (1981) 4.-1. Tag vor dem Wettkampf:
Superkompensation der Glykogenspeicher durch Reduktion von Trainingsumfang und -intensität („taper training") sowie reichliche Zufuhr von Kohlenhydraten (überwiegender Verzehr von Pasta, Reis, Kartoffeln, Brot mit süßem Belag, gesüßte Getränke, Süßspeisen wie Grießbrei oder Milchreis mit Früchten, Obst). Eine vorherige Entleerung der Kohlenhydratspeicher durch gezielt intensive Belastungen und entsprechende Diät ist nicht notwendig.
Beispiel 3 – Modifiziertes Carboloading nach Bussauet al. (2002) 3.-1. Tag vor dem Wettkampf:
Superkompensation der Glykogenspeicher durch Trainingspause sowie Zufuhr von 10 g Kohlenhydraten pro Kilogramm Körpergewicht (ca. 800 g Kohlenhydrate pro Tag für einen 80 kg Athleten). Möglicherweise genügen auch 36-48 h Pause bei sehr hoher Kohlenhydratzufuhr zur Superkompensation der Glykogenspeicher.
In Maßen trinken
Beachtung sollte finden, dass die veraltete Faustregel „Trinken, trinken, trinken" längst keine Gültigkeit mehr hat. Zwar kann die zu geringe Getränkezufuhr eine Dehydratation mit nachteiligen Effekten auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit hervorrufen. Spätestens seit der während des Boston-Marathons durchgeführten und 2005 im New England Journal of Medicine veröffentlichten Studie ist jedoch belegt, dass ein Zuviel an Wasser während eines Wettkampfes zur Hyponatriämie führen kann.
Eine ausgeprägte Hyponatriämie (Verdünnung der Natriumkonzentration im Blut durch hohen Natriumverlust bei gleichzeitig hohem Konsum natriumarmer Getränke) kann schwere Folgen für die Gesundheit der Athleten haben. Daher sollte für die letzten Tage vor einem Marathon ein individueller Trinkplan erstellt und dieser auch in der Vorbereitung ausprobiert und auf Verträglichkeit geprüft werden.
Vor und während des Wettkampfes eignen sich vor allem Getränke mit einem hohen Natriumanteil (ca. 400-1.100 mg/L, siehe Angaben auf dem Etikett) und einem Kohlenhydratgehalt von 30-60 g/L.
Dr. Anja Carlsohn in LAUFZEIT 6/2011
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Die Autorin
Dr. Anja Carlsohn (32) ist als Ernährungswissenschaftlerin an der Uni Postdam tätig. Sie war selbst eine erfolgreiche Läuferin. Unter anderem siegte sie beim Rennsteiglauf-Halbmarathon 2007. Nach zuletzt internationalen Einsätzen in der Berglauf-Nationalmannschaft beendete die Wahlpotsdamerin 2008 ihre aktive sportliche Laufbahn.