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01
11
2011

Sport im TV - Suche frische Zuschauer, biete frisches Geld - Viele Bilder, gleicher Inhalt. Der Fernsehsport spiegelt in Deutschland nicht die Vielfalt des Breitensports wider. Joachim Huber im Tagesspiegel ©LSB - NRW - Andrea Bowinkelmann

Sport im TV – Suche frische Zuschauer, biete frisches Geld – Viele Bilder, gleicher Inhalt. Der Fernsehsport spiegelt in Deutschland nicht die Vielfalt des Breitensports wider. Joachim Huber im Tagesspiegel

By GRR 0

Sport hält jung. Sport hält auch die jung, die nur im Fernsehsessel Sport ausüben. Es gibt kaum ein Format, das verlässlich so viel junges Publikum anzieht wie Fußball, Formel 1 oder Boxen. Der durchschnittliche Zuschauer der öffentlich-rechtlichen Programme von ARD und ZDF ist 60 Jahre alt.

Die private Konkurrenz von RTL hält bei 46 Jahren, bei ProSieben ist der 35-Jährige der Prototyp. Für alle Sender gilt die goldene Regel: Sport senkt den Altersschnitt. Für ARD und ZDF, die ihre Gebühren ohne Nachweis der tatsächlichen Programmnutzung von Jung und Alt einziehen, schafft der Sport, den Generationenabriss im Publikum zu überbrücken.

Am vergangenen Wochenende erreichte die Kai-Pflaume-Show „Der klügste Deutsche“ 840 000 Zuschauer oder 7,2 Prozent im Segment der 14- bis 49-jährigen Zuschauer. Die Bundesliga-„Sportschau“ dagegen holte in dieser Zuschauergruppe glatt 19,7 Prozent. Auch der sportlich nicht so bedeutende Boxkampf zwischen Rogelio Omar Rossi und Marco Huck lag mit 9,1 Prozent über dem Wert der Familienshow. Und alle Werte übertreffen die Marktanteile, die das Erste und das Zweite gewöhnlich bei Jugend und Junggebliebenen einfahren: 5,9 Prozent fürs Erste, 5,8 Prozent fürs Zweite (Stand September 2011).

Der Sport ist für das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht nur ein bestimmender Programmfaktor, er ist Daseinszweck und Daseinsbegründung. Entsprechend ist die Sehnsucht nach attraktiven Übertragungsrechten. Das erklärt, warum ARD und ZDF die Konkurrenz mit ihren Gebühren bei den Sportrechten regelmäßig überbieten. Das Erste hat dabei die teuersten, die billigsten, die meisten Lizenzen.

Mit ihren gewaltigen Etats – gemeinsam können beide Sender zusammen mehr als eine halbe Milliarde Euro ausgeben – haben sich ARD und ZDF die Erstsenderechte an den Olympischen Spielen 2010 und 2012 (125 Millionen Euro) sowie an Olympia 2014 und 2016 (115 Millionen Euro) gesichert. Die Fußballeuropameisterschaft 2012 wurde für 120 Millionen Euro, die Fußball-WM 2014 für 150 Millionen Euro gekauft. In welch kosten- und wettbewerbsintensivem Bereich sich der attraktive Fernsehsport bewegt, mag folgender Vergleich illustrieren: Für ein Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft löhnen ARD oder ZDF jeweils 4,1 Millionen Euro an Rechtekosten, da sind alle anderen Kosten noch gar nicht eingerechnet. Die Produktion eines „Tatort“ ist mit 1,5 Millionen Euro komplett bezahlt – und der Krimi kann, anders als das Länderspiel, das nur live etwas zählt, viele Male wiederholt werden.

Die privaten Sender beklagen einen unfairen Wettbewerb – ein berechtigter Vorwurf, aber nur berechtigt ist er auch wieder nicht. Niemals würden sich RTL oder Sat 1 die Rechte für das Gewichtheben sichern. Dabei wären die sagenhaft günstig – lediglich 5000 Euro müssen ARD und ZDF pro Jahr überweisen. Das tun sie nicht aus Barmherzigkeit, sondern aus dem Kalkül heraus, dass Auftritte vom herkulischen Olympiasieger (und ehemaligem Witwer) Matthias Steiner das Publikum faszinieren.

Die Sportwelt der kommerziellen Stationen ist einfach. RTL hat nur die Rechte an der Formel 1 (70 Millionen Euro pro Jahr) und an den Klitschko-Boxbrüdern (drei Millionen Euro pro Kampf). Die Kriterien sind junges Publikum, Imagegewinn, Quoten alias Werbeeinnahmen zur Refinanzierbarkeit. Das macht RTL zur Heuschrecke des Fernsehens, ein Recht wird nur so lange gehalten, wie es die genannten Kriterien erfüllt. Der Sender hat so die Fußballbundesliga, die Champions League, Tennis und Skispringen durchgebracht. Und jede Lizenz zum Senden muss die Qualität zum Event haben – wie die Klitschko-Inszenierungen. Der Konkurrent Sat 1 hat sich deswegen für jeweils 1,3 Millionen Euro die Kämpfe von Felix Sturm gesichert. Gerade hat sich der Privatsender laut beschwert, weil er die Fußball-Champions-League (40 Millionen Euro pro Jahr) zum Ende der laufenden Saison ans ZDF abgeben muss.

Die öffentlich-rechtliche Station zahlt glatt 54 Millionen Euro pro Jahr – da ist Sat 1 raus. Das ZDF verzichtet für dieses Königsrecht mit Quotengarantie auf den DFB-Pokal und die in einem öffentlich-rechtlichen Umfeld umstrittenen Faustkämpfe. Im ZDF wird das als Opfer gesehen, anderswo schlicht als Quotenrechnung: Auch ein gebührenfinanzierter Sender wird dort sparen, um an ertragreicherer Stelle investieren zu können. Nicht zu Unrecht entzündet sich die Kritik am ZDF-Gebaren an der Tatsache, dass jede Champions-League-Saison immer im frei empfangbaren Fernsehen gezeigt wurde und würde – warum dann ausgerechnet im ZDF für mehr Geld als bei Sat 1? Das Zweite siegt im pekuniären Armdrücken, wo es gar nicht siegen muss.

 

Zwischen den Fernsehstationen herrscht ein harter Wettbewerb um Sport-Übertragungsrechte. Doch ein Großteil der Gelder entfallen auf nur wenige Sportarten.

 

Übertragungsrechte dieser Güte, übrigens mit eingekaufter Sendezeitverpflichtung, sind Mittel im Fernsehmarkt zum Zweck des Übertrumpfens, des Kleinhaltens der Konkurrenz. In den Top Ten der meistgesehenen Sendungen eines Jahres sind Fußball und Boxen immer ganz vorne vertreten, in einem Jahr von Fußball-EM oder Fußball-WM ist jedes andere Angebot chancenlos. Warum? Der Philosoph Karl Jaspers sah im Sport die Möglichkeiten für den schicksalslosen Menschen, der Langeweile, der Geheimnislosigkeit der Zeit zu entfliehen.

Andererseits existiert in keinem Fernsehgenre ein solches Missverhältnis zwischen den Inhalten. Gewichtheben kostet 5000 Euro im Jahr, alle Kanurechte gibt es für 10 000 Euro, für ein Jahr Fußball in der „Sportschau“ muss die ARD 100 Millionen Euro hinblättern. So brutal ist der Markt, trotzdem greifen die Gesetze von Angebot und Nachfrage nicht immer. Sport ist mehr als professioneller Spitzensport, er ist auch schichtenübergreifender Breitensport.

Nennen wir es zunächst die Diskrepanz zwischen Sportereignis und sportlicher Betätigung. Der Deutsche Olympische Sport-Bund (DOSB) meldet für 2010 sagenhafte 27 636 026 Mitglieder. Im Turn-Verband sind fast fünf Millionen Mitglieder registriert, beim Curling gerade mal 678 Mitglieder. Doch gefühlt ist die Fernsehpräsenz von Curling nicht viel schlechter als die des Turnens. Oder die der Sportschützen. Mehr als 1,4 Millionen Deutsche schießen im Verein, aber es muss schon die deutsche Kugel ums Olympiagold konkurrieren, um einen Schützen ins Fernsehbild zu bringen.

ARD und ZDF haben einen gesellschaftlichen Auftrag, ihr Gebührenprivileg müssen sie auch damit rechtfertigen, dass sie in „Sportschau“ oder „Sportreportage“ die Bandbreite der Sportarten reflektieren. Insbesondere in den dritten Programmen wird im Querschnitt berichtet und nach regionalen Besonderheiten. Der Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender wird durchaus ernst genommen, ernster genommen wird aber der selbst gestellte Konkurrenzauftrag. Die Balance zwischen den populären Sportarten und anderen Sportarten ist gekippt. Der Vorwurf ist also berechtigt, dass ARD und ZDF das große Reservoir an eingekauften Übertragungsrechten nicht ausschöpfen.

Es hat seine Gründe, weshalb die knapp 40 Stunden Sport pro Tag, den im deutschen Free-TV-Genrekanäle wie Sport1 über die ARD bis hin zum privaten Kabel Eins zeigen, nicht Vielfalt, sondern die Einfalt des Fernsehsports offerieren. 75 Prozent der Sendezeit konzentrieren sich auf nur sechs Sportarten.

Wesentliche Kriterien für einen beliebten, attraktiven Sport im TV sind optische Übersichtlichkeit (Rechteck wie der Bildschirm), Übersichtlichkeit beim Resultat (einschalten und Bescheid wissen über den Spielstand), Regelwerk, Action, Spannung. Ach ja, und deutsche Helden mit Siegchancen sind immer förderlich. Nicht wenige Sportarten haben sich diesen Anforderungen unterworfen.

Zum Beispiel der Wintersport: ARD und ZDF können am Samstag und am Sonntag von morgens bis in den Nachmittag hinein einen Parcours von Ski alpin, Ski nordisch, Rodeln, Biathlon und so weiter und so weiter anbieten, weil sich die Veranstalter derart aufeinander abgestimmt haben, dass der Zuschauer neben Aufzeichnung und Zusammenfassung spannende Livewettbewerbe geboten bekommt. Bei Gott nicht jede Wintersportart bekommt dabei Fernsehgelder (siehe Rodeln oder Bob), manche müssen den TV-Stationen gar „Produktionshilfe“ leisten, aber alle bekommen sie Präsenz im Fernsehen. Und können damit Sponsoren akquirieren. Es ist alles andere als ein Zufall, dass der Deutsche Skiverband an diesem Freitag die Verlängerung seines Fernsehvertrages mit ARD und ZDF bis 2015 bekannt gegeben hat – und gleichzeitig auch die Verlängerung mit seinem Hauptsponsor.

Rudi Michel, der verstorbene Sportchef des Südwestfunks, hatte es früh erkannt: Fernsehen ist nicht alles – aber alles ist nichts ohne Fernsehen. Und wer sagt denn, dass Skirennen in den Alpen, Biathlon in den Wäldern stattfinden muss? Die Synchronisation des Wintersports am Wochenende ist auch anderen Sportverbänden aufgefallen, trotzdem sind Versuche, „Spielenachmittage“ mit Sportarten wie Volleyball und Handball fürs Fernsehen zu organisieren, Versuche geblieben.

Anderes ist geglückt. Beim Tischtennis werden Gewinnsätze nicht mehr bis 21 Punkte gespielt, heute reichen 11 Punkte, im Volleyball kann jede Mannschaft punkten und nicht nur die aufschlagende. Anders beim Tennis: Es kann Stunden dauern, bis es dramatisch wird, bis es zum Finale kommt. In der Zähigkeit seiner Entscheidung hat der Sport in der Gunst der jungen Zuschauer und der TV-Macher massiv verloren. Jetzt wird diskutiert: kürzere Aufwärmphasen, langsamere Bälle, sogar der Abschied vom zweiten Versuch beim Aufschlag ist in der Diskussion. Angehoben betrachtet, muss sich Tennis der neuen Lebensgeschwindigkeit anpassen, längst reicht es nicht mehr, dass langbeinige Beautys auf den Centre Court geschickt werden.

Einige Sportverbände haben verstanden, womit sich andere schwertun: Sie müssen dem Fernsehen etwas geben, wenn sie etwas haben wollen. Sie müssen akzeptieren, dass sie nur ein Player im magischen Dreieck aus Sport, Medien und Wirtschaft sind.

Nie wieder wird diese Verflechtung aufzulösen sein. Das Gesetz des Marktes wird immer herrschen. Die Großsportarten sind im Programm gesetzt, der Rest muss sich um die übrigen Plätze balgen. Und diese Spirale hat jetzt selbst den Fußball erfasst. Für den DFB-Pokal ab der Saison 2012/13 hat sich außer der regional verpflichteten ARD kein Free-TV-Sender interessiert, für die Europa League hat sich bislang kein Interessent bei der Uefa gemeldet. Merke: Je teurer das Sportrecht, desto höher die Erwartung des Käufers.

Der sich ans Fernsehen verkaufende Fußball frisst seine Kinder.

 

Joachim Huber im Tagesspiegel, Sonntag,dem 30 Oktober 2011

author: GRR

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