Dr. Hartmut Wewetzer vom Tagesspiegel fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin - Das Gewicht der Trägheit - Heute: Fitness verlängert das Leben. ©privat
Dr. Hartmut Wewetzer vom Tagesspiegel fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin – Das Gewicht der Trägheit – Heute: Fitness verlängert das Leben.
Der Onkel wurde ein Opfer der ersten Fresswelle, hieß es in unserer Familie immer. Nach Jahren des Mangels ließ er sich in den 60er Jahren Gänsebraten, Rheinwein und Frankfurter Kranz ebenso schmecken wie Schinken und Schmalz. Er legte an Gewicht zu und erlag in relativ jungen Jahren einem Schlaganfall.
Soweit die Familienüberlieferung. Aber es gibt noch eine andere Erklärung für den zu frühen Tod meines Onkels (abgesehen von seinem hohen Blutdruck). Er war Beamter in der Stadtverwaltung, saß den ganzen Tag am Schreibtisch und bewegte sich nicht mehr als unbedingt nötig. Vielleicht war es eher eine gewisse Trägheit, die ihm zum Verhängnis wurde.
Darauf deutet eine neue Langzeitstudie aus den USA hin, in der der Einfluss von Körpergewicht und Fitness auf das Überleben untersucht wurde. Körperlich fit zu sein ist danach ein hervorragendes Rezept, um dem vorzeitigen Tod ein Schnippchen zu schlagen.
An der als „Aerobics Center Longitudinal Study“ bezeichneten Untersuchung nahmen gut 14 000 Männer im Durchschnittsalter von 44 Jahren teil, wobei die Ergebnisse nach Meinung der Wissenschaftler auch auf Frauen übertragbar sind. Die Männer verkörpern in gewisser Weise den Durchschnitt: mittelalt, leicht übergewichtig, alles in allem aber relativ fit und beweglich. Sie wurden zwei Mal gründlich untersucht und mussten auf dem Laufband ihre körperliche Fitness unter Beweis stellen.
Zwischen den Tests lagen durchschnittlich sechs Jahre. Elf Jahre nach der letzten Untersuchung zogen die Forscher einen Schlussstrich und ermittelten, wie sich Fitness und Gewicht ebenso wie deren Veränderung auf das Überleben der Teilnehmer auswirkten.
Die Männer, die sich gut auf dem Laufband schlugen, hatten die deutlich besseren Überlebenschancen. Wenn sie noch fitter wurden, erhöhte das ihre Chance erheblich, nicht einem Herzleiden, Schlaganfall oder einer anderen Todesursache zu erliegen. Verschlechterte sich auf der anderen Seite das körperliche Leistungsvermögen, stieg das Sterberisiko. Wechselndes Körpergewicht spielte dagegen ebenso wie der Körperfettanteil eine untergeordnete Rolle, berichten die Forscher im amerikanischen Fachblatt „Circulation“. Allerdings waren stark Übergewichtige kaum in der Studie vertreten. Ob die Ergebnisse auch für sie gelten ist unklar.
„Das sind gute Nachrichten für Leute, die körperlich aktiv sind, aber Probleme mit dem Abnehmen haben“, sagt der Studienleiter Duck-chul Lee von der Universität von South Carolina in Columbia. „Sie müssen sich nicht soviel Sorgen um ihr Gewicht machen, solange sie ihr Fitness-Niveau halten oder sogar steigern.“
Auf das eine oder andere Pfund mehr oder weniger kommt es nicht so sehr an. Viel wichtiger ist es, in Bewegung zu bleiben. Dauerlauf schlägt Diät. Schade, dass zu Lebzeiten meines Onkels diese Tatsache noch so wenig bekannt war.
Er hätte seine fruchtlosen Bemühungen ums Abnehmen aufgeben und einfach losgehen sollen.
Dr. Hartmut Wewetzer leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegel. Sonntag, dem 11. Dezember 2011