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03
01
2012

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold - Die Bedeutung des Gehirns bei Ausdauerleistungen ©privat

Die Bedeutung des Gehirns bei Ausdauerleistungen – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

By GRR 0

Das Gehirn ist als Befehlsgeber und Steuerungszentrale (Central Governor) für die Qualität, Quantität und Intensität der körperlichen Beanspruchung von Bedeutung. Die hierfür zuständigen Gehirnregionen sind grundsätzlich bekannt.

Durch Anwendung von bildgebenden Verfahren wie Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und funktionelle Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) sowie Anwendung von radioaktiven Isotopen, Elektroenzephalogramm (EEG) und Bestimmung von Neurotransmittern, Hormonen und endogenen Peptiden konnten Details über das Zusammenwirken von Hirnarealen gezeigt werden und neue Erkenntnisse über die Beziehungen zwischen Gehirn und körperlicher Arbeit gewonnen werden (Aderhold und Weigelt 2012).

Immer wieder wird die Motivation als ein leistungsbegrenzender Faktor für sportliche Beanspruchungen genannt. Darunter versteht man die Antriebsintensität für eine bestimmt Aufgabe, die als psychologische Größe der Großhirnrinde entstammt. Üblichweise wird die Ausdauerleistung durch die Kapazität des Herz-Lungensystems, die Kapillarisierung der Arbeitsmuskulatur und das Mitochondrienvolumen bestimmt.

Untersuchungen haben aber gezeigt, dass eine zusätzliche Willensanstrengung tatsächlich noch vorhandene Leistungsreserven mobilisieren kann. Hiermit wäre also die Psyche der entscheidend leistungsbegrenzende Faktor. Experimente haben bewiesen, dass eine zentrale Ermüdung eintritt, bevor sich eine lokale Ermüdung einstellt. Inwieweit eine „Neurotransmittererschöpfung" existiert, ist noch nicht ausreichend geklärt. Gleiches gilt für eine Ermüdungsauslösung durch „Tryptophanüberschwemmung" des Gehirns.

Tryptophan ist der Ausgangsbaustein für Serotonin, das in bestimmten Gebieten des Gehirns Müdigkeit und Schlafbedürfnis fördert. Wichtig dabei ist auch, dass das Gehirn fast die Hälfte der in das Blut freigesetzten Glukose verbraucht. Da das Gehirn keine Energievorräte anlegen kann, ist es gegenüber Glukose- und Sauerstoffmangel besonders empfindlich.    

Offenbar muss man sich von den bisherigen Vorstellungen über die Leistungsbegrenzung auf hämodynamischer und metabolischer Basis trennen und dem Gehirn mehr Aufmerksamkeit in seiner leistungsbegrenzenden Rolle widmen. Funktionen wie Absichtsentwicklung, Lenkung, Ausführung und Kontrolle einer muskulären Bewegung sind primäre Aufgaben des Stirnlappens des Gehirns. Dieser Bereich ist also der „Sitz der Exekutive" mit einer steuernden und leistungsbegrenzenden Rolle. Zentrale und periphere Ermüdungsfaktoren lassen die muskuläre Reaktion abnehmen, wobei eine intensive Verzahnung der Funktionen von Gehirn, Herz-Kreislaufsystem, Lungenfunktion und Skelettmuskulatur vorliegt (Hollmann et al. 2006).

Die Evolution hat uns mit einem Schutzmechanismus ausgestattet, der eine Leistungsreserve erhält, um in Extremsituationen (z.B. Kampf um das eigene Leben) handlungsfähig zu bleiben. Einen weiteren wichtigen Schritt zum Verständnis der Rolle des Gehirns haben Forscher der Universität Zürich gemacht (Pressemitteilung vom 05.12.2011). Es konnte nachgewiesen werden, dass Nervenimpulse des Muskels motorische Areale im Gehirn hemmen. Dafür konnten der Thalamus und der insuläre Kortex lokalisiert werden. Diese Bezirke vermitteln dem Organismus eine Bedrohung. Dabei wird die Kommunikation zwischen dem insulären Kortex und dem primären motorischen Areal mit fortschreitender Ermüdung immer intensiver.

Untersuchungen zeigten, dass Champions im Wettkampf positive, optimistische, zuversichtliche, gewinnorientierte Gedanken haben, während Verlierer bereits das eigene Versagen durchspielen (Draksal 2007).

Gewonnen wird im Kopf, verloren allerdings auch. Eine Steigerung im Grenzbereich der Leistungsfähigkeit entscheidet oft über Sieg oder Niederlage. „Und dies kann man auf diesem Leistungsniveau vor allem noch im Kopf" (Viktor Röthlin – Marathon-Europameister 2010).

Unsere Gedanken haben eine starke Wirkung darauf, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen. Mit der Steuerung unserer Gedanken besitzen wir ein wirkungsvolles Hilfsmittel, unsere Wirklichkeit zu beeinflussen. „Der Glaube an sich selbst und der Wille, gut zu sein, müssen immer an einem Strang ziehen" (Havener und Spitzbart 2010). 

Körper, Kopf und Umgebung unterstützen sich wechselseitig in ihrem Wirken. Dem Kopf kommt dabei die Funktion der zentralen Steuerungs- und Regelzentrale zu. „Es ist der Geist, der sich den Körper baut" (Friedrich Schiller). Man kann sich entweder Mut, Zuversicht und Stärke denken, oder sich auch der Mutlosigkeit, Zaghaftigkeit, Überforderung oder gar Bedrohung hingeben. Nur zu leicht verheddert man sich im Dschungel der Gedanken, Bewertungen, Ein- und Abschätzungen. Dies erschwert ein geordnetes und perspektivisches Handeln. Könner sind in der Lage, ihr Bewerten so zu regulieren, dass ihnen auch dann etwas gelingt, wenn sie mit höchsten Anforderungen konfrontiert werden (Eberspächer 2008). 

Durch diese Zusammenhänge wird der Einfluss der Psyche gerade bei den langen Ausdauerwettbewerben deutlich. Neben der körperlichen Fitness ist die mentale Stärke ein wichtiger Faktor. Erst gibt der Kopf auf und dann der Körper. Motivation, Willenskraft, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit zum „Kampf" machen häufig die Grundlage für den Erfolg aus und verdeutlichen die Bedeutung der Einstellung und mentaler Trainingstechniken. „Der Zweifel am Siege entschuldigt nicht das Aufgeben des Kampfes" (Marie von Ebner-Eschenbach)

 

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold 

 

Literatur:

Aderhold L, Weigelt S. Laufen! … durchstarten und dabeibleiben – vom Einsteiger bis zum Ultraläufer. Stuttgart: Schattauer 2012.

Draksal M. Mentale Marathon-Vorbereitung. Praktisches Arbeitsbuch für Laufeinsteiger & Fortgeschrittene. Leipzig: Draksal 2007.

Eberspächer H. Gut sein, wenn`s drauf ankommt. Erfolg durch mentales Training. München: Hanser 2008.

Havener T, Spitzbart M. Denken Sie nicht an einen blauen Elefanten. Die Macht der Gedanken. Reinbek: Rowohlt 2010.

Hollmann W, Strüder HK, Tagarakis CVM, King G, Diehl J. Das Gehirn – der leistungsbegrenzende Faktor bei Ausdauerbelastungen? Dtsch Z. Sportmed 2006; 57: 155-60.

Universität Zürich: Pressemitteilung vom 05.12.2011: Wie Muskelermüdung im Kopf entsteht. www.uzh.ch   

 

 

 

 

author: GRR

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