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18
02
2012

2008 Olympic Games Beijing, China August 8-24, 2008 Photo: Jiro Mochizuki@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET

London Calling – Den Rückblick zum Ausblick machen – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Große und reiche Länder bringen mehr erfolgreiche Athleten hervor als arme kleine. Ihre Mannschaften gewinnen deshalb bei Olympischen Spielen die meisten Medaillen. Die Olympiamannschaften von China, den Vereinigten Staaten von Amerika und von Russland, zusammen Heimat eines Viertels der Weltbevölkerung, gewannen bei dem Olympischen Spielen von Peking etwa ein Drittel aller Medaillen, 283 Stück.

Doch Größe allein reicht nicht, wie das Milliardenvolk Indien mit neun Olympiasiegen seiner Hockeyspieler und insgesamt nur zwanzig Medaillen beweist – seit Paris 1900. Das größte Land, das noch keine einzige Medaille bei Olympischen Spielen gewonnen hat, ist Bangladesch. Dessen Talente unter 142 Millionen Einwohnern wenden sich Kricket zu, wenn sie überhaupt an Sport denken können.
 

London Calling: Macht Gold reich, berühmt und sexy?

Die Korrelation von Masse und Wohlstand, von Klima und Bildung, von bisherigen Erfolgen und kommendem Heimvorteil mit dem Abschneiden bei künftigen Olympischen Spielen haben die Wirtschaftswissenschaftler Wolfgang Maennig – er hat als Mitglied des Deutschland-Achters von Seoul 1988 persönliche Erfahrung mit Olympiasiegen – und Christian Wellbrock nun zum zweiten Mal für eine „Sozioökonomische Schätzungen olympischer Medaillengewinne“ genutzt, diesmal für die bevorstehenden Spiele in London.
 

Feierlaune bei Bolt und Powell: Jamaikas Sprinter sind besser, als es Status und Wirtschaftskraft des Landes erwarten lassen

Euro-Krise, amerikanische Schuldenkrise, russische Autoritätskrise und chinesische Wachstumskrise und vor allem die Überalterung der Gesellschaft scheinen demnach Spuren zu hinterlassen. Nach der Wissenschaft sind allein Großbritannien und Brasilien im Aufschwung. Der Gastgeber dieser Sommerspiele soll seinen phänomenalen Aufschwung von Peking fortsetzen und sich auf sechzig Medaillen steigern.

Brasilien bereitet sich mit einer Leistungsexplosion von achtzig Prozent – 27 Medaillen – auf die Heimspiele bei der Fußball-WM 2014 und bei Olympia 2016 vor, mit denen es seinen Boom krönen will. Kurzer Blick auf Griechenland: vier Medaillen, wie in der Wirklichkeit von 2008.

 

London Calling: Macht Gold reich, berühmt und sexy?

Die Korrelation von Masse und Wohlstand, von Klima und Bildung, von bisherigen Erfolgen und kommendem Heimvorteil mit dem Abschneiden bei künftigen Olympischen Spielen haben die Wirtschaftswissenschaftler Wolfgang Maennig – er hat als Mitglied des Deutschland-Achters von Seoul 1988 persönliche Erfahrung mit Olympiasiegen – und Christian Wellbrock nun zum zweiten Mal für eine „Sozioökonomische Schätzungen olympischer Medaillengewinne“ genutzt, diesmal für die bevorstehenden Spiele in London.
 

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Euro-Krise, amerikanische Schuldenkrise, russische Autoritätskrise und chinesische Wachstumskrise und vor allem die Überalterung der Gesellschaft scheinen demnach Spuren zu hinterlassen. Nach der Wissenschaft sind allein Großbritannien und Brasilien im Aufschwung. Der Gastgeber dieser Sommerspiele soll seinen phänomenalen Aufschwung von Peking fortsetzen und sich auf sechzig Medaillen steigern. Brasilien bereitet sich mit einer Leistungsexplosion von achtzig Prozent – 27 Medaillen – auf die Heimspiele bei der Fußball-WM 2014 und bei Olympia 2016 vor, mit denen es seinen Boom krönen will. Kurzer Blick auf Griechenland: vier Medaillen, wie in der Wirklichkeit von 2008.

Niedergang für Deutschland erwartet

Der deutschen Mannschaft sagen die Volkswirte einen weiteren Niedergang voraus: minus 7,32 Prozent, das bedeutet: 38 Medaillen, drei weniger als in Peking. 2008 war das deutsche Team mit 41 Medaillen nicht nur hinter den Erwartungen der Sportfunktionäre, sondern auch hinter der sozio-ökonomischen Prognose zurückgeblieben. Auch das wirft Fragen auf: Muss ein Fördersystem, das mit Eliteschulen und Sportkompanien eine Vielzahl von athletischen Karrieren ermöglicht, nicht mehr Ertrag abwerfen als nach den Parametern von Wirtschaft und Gesellschaft zu erwarten?
 
Was steckt hinter Kenias Erfolgen im Langstreckenlauf? Talent, Wille, Aufstiegschancen, Doping?

Der komplexen Berechnung stellten die Psychologen Markus Raab und Philipp B. Philippen vor vier Jahren die simple Methode „Take The Last Ranking“ entgegen: Der jüngste Medaillenspiegel ist die Prognose für die nächsten Spiele. Gerade bei kleinen Ländern empfiehlt es sich, den Rückblick zum Ausblick zu machen. Denn nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft sind Erfolge wie die der jamaikanischen Sprinter (elf Medaillen in Peking) sowie der Langläufer aus Kenia (vierzehn) und Äthiopien (sieben) so unwahrscheinlich wie unerklärlich.

Sozioökonomisch sind von diesen Teams nicht mehr als neun Medaillen zu erwarten – und zwar von allen drei zusammen. Das Maß, in dem die Läufer aus den Armenhäusern der Welt ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten übertreffen, macht die Dimension sportlicher Überraschung deutlich. Steckt dahinter Talent, der unbedingte Wille zum gesellschaftlichen Aufstieg, Doping?
 
Deutsches Erfolgsboot Ruderachter: Wie viel Ertrag muss ein Fördersystem abwerfen?

Für das Phänomen DDR, das kleine Land an der Spitze des olympischen Sports von 1972 bis 1988, haben Maennig und Wellbrock die Antwort geführt: Sozialismus und sozialistische Vergangenheit genießen in ihrer Rechnung einen Bonus.

Dennoch: Gegen den olympischen Niedergang Deutschlands empfehlen die Autoren, Familien, Zuwanderung sowie Innovation und Wachstum zu stärken. Sozialismus empfehlen sie nicht.

 

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 16. Februar 2012

author: GRR

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