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02
03
2012

Dr. Hartmut WEWETZER vom Tagesspiegel fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin. Heute: Die falsche Angst vor nützlichen Medikamenten - Runter mit dem Druck. ©privat

Dr. Hartmut WEWETZER vom Tagesspiegel fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin. Heute: Die falsche Angst vor nützlichen Medikamenten – Runter mit dem Druck.

By GRR 0

Mein Kollege war noch einmal davongekommen. Seit Monaten hatten wir nicht telefoniert, nun erzählte er mir, dass er dem Tode entronnen war. Ein Riss in seiner Hauptschlagader drohte sein Leben zu beenden, eine ausgedehnte Notoperation rettete es. Die wesentliche Ursache für den Gefäßriss war sein Bluthochdruck, wie er mir gestand. „Passen Sie auf Ihren Blutdruck auf“, riet er. „Ich habe es nicht getan.“

Mit seiner Ignoranz steht er nicht allein da. Bluthochdruck tut meist nicht weh. Umso mehr fürchten sich viele vor der „Chemie“ in Medikamenten, mit denen das schmerzlose Leiden in die Schranken gewiesen werden kann. „Die Leute sehen nicht ein, dass sie Tabletten nehmen müssen“, beschreibt der Herzspezialist Axel Schmermund vom Cardioangiologischen Centrum Bethanien in Frankfurt am Main die Situation.

„Viele verpassen die Chance, sich zu schützen.“

Dabei liegt der Nutzen auf der Hand: Ist der Blutdruck im Normbereich, sinkt die Gefahr eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls (und von Rissen in der Hauptschlagader). Was viele Leute nicht wissen, ist die Tatsache, dass Hochdruck auch dem Verstand zusetzt. Er führt dazu, dass Blutgefäße im Gehirn verkalken. Geistiger Verfall, Demenz durch winzige Hirninfarkte kann die Folge sein.

Anders als bei der Alzheimer-Demenz, gegen die viele zweifelhafte Rezepte kursieren, kann man bei Hirninfarkt-Demenz durchaus vorbeugen – nämlich den Druck aus dem System nehmen. Das steigert auch Lebensqualität und Leistungsfähigkeit, denn ein Hochdruck-Herz lässt seinen Besitzer rasch aus der Puste kommen.

Die Behandlung des Bluthochdrucks erhöht die Lebenserwartung. Allerdings ist das nicht leicht zu belegen, denn streng genommen müsste man Patienten über viele Jahre konsequent Medikamente vorenthalten, um einen Effekt im Vergleich zu behandelten Kranken zu messen.

Solche Studien gibt es nicht. Immerhin erschien vor kurzem eine Untersuchung, die 22 Jahre nach dem Ende einer viereinhalbjährigen Behandlungsphase mit dem Blutdruckmittel Chlorthalidon der Frage nachging, wie es den Patienten später erging. Erstaunlich war, dass sich die lange zurückliegende Therapie noch immer positiv auf das Überleben auswirkte, wenn auch in bescheidenem Maß: Jeder Monat Medikamenteneinnahme verlängerte das Überleben um einen Tag.

Schmermund schätzt, dass hoher Blutdruck etwa zehn Lebensjahre kostet, ebenso wie Rauchen oder träge Lebensweise. Eine Behandlung sollte erfolgen, wenn der Blutdruck dauerhaft bei 140/90 (sprich: 140 zu 90) oder darüber liegt. Meist ist keine Eile geboten. Man kann zunächst für einige Monate versuchen, nur mit Bewegung, Diät und Salzverzicht den Blutdruck nach unten zu korrigieren.

Oft sind dann aber doch Medikamente nötig. Die meisten Nebenwirkungen moderner Blutdrucksenker sind gut zu beherrschen. „Man kann heute für praktisch alle Patienten eine Lösung finden, die verträglich ist“, sagt Schmermund.

Schade, dass mein Kollege das nicht gewusst hat.

Dr. Hartmut Wewetzer leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegels.  Sonntag, dem 12. Februar 2012

author: GRR

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