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06
2012

2012 USA Olympic Track and Field Trials Eugene, Oregon    June 21-July 1, 2012 Photo:Andrew McClanahan@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET

US TRIALS – Zehnkampf-Weltrekord – zwei Tage wie ein ganzes Leben – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

25.06.2012 ·  Der Amerikaner Ashton Eaton stellt mit 9039 Punkten einen Zehnkampf-Weltrekord auf. Und fügt dem magischen Wettkampf noch Poesie hinzu: „Jeder liebt das Leben, und deshalb liebt jeder den Zehnkampf.“

„Das Reizvolle am Zehnkampf ist, dass er das ganze Leben in zwei Tagen widerspiegelt: das Auf und Ab, das Zurückkommen. Jeder liebt das Leben, und deshalb liebt jeder den Zehnkampf.“ Lang ist es her, dass es olympische Medaillen für Dichtung gab. Ashton Eaton hat am Samstag bei den amerikanischen Trials, der Qualifikation für die Olympiamannschaft der Vereinigten Staaten, immerhin dem Zehnkampf Magie und Poesie hinzugefügt:

Erst verbesserte der 24-Jährige den Weltrekord auf 9039 Punkte, elf Jahre nachdem der Tscheche Roman Sebrle als Erster und bislang Einziger die 9000er-Marke übertroffen und den Rekord auf 9026 Punkte gesteigert hatte. Dann brachte er Oden auf den Zehnkampf aus.

Das Leben, abgebildet im verregneten Zehnkampf von Freitag und Samstag, meinte es nicht gut mit Olympiasieger Bryan Clay. Nachdem er im Hürdensprint die letzten beiden Hürden niedergerannt hatte, erst disqualifiziert und dann mit einer miserablen Punktzahl für seine Zeit von 16,81 Sekunden wieder zugelassen wurde, leistete er sich im Diskuswerfen drei Fehlversuche: null Punkte. Daraufhin nahm ihn sein Trainer noch vor dem 400-Meter-Lauf, dem Finale des ersten Tages, aus dem Rennen.

In Abwesenheit von Clay dürfte bei den Olympischen Spielen von London die Bronzemedaille das höchste Ziel für die Zehnkämpfer aus aller Welt sein. Gold und Silber dürften an die Amerikaner Ashton Eaton und Trey Hardee gehen. „Ich habe das alles noch nicht ganz realisiert“, sagte Hardee, der Weltmeister von Daegu 2011, als er mit 8383 Punkten Zweiter geworden war. „Ich werde allen Leuten erzählen, Kindern und Neffen: Es gibt einen neuen Zehnkampf-Weltrekord, und ich war dabei. Ich habe sogar Bilder, um das zu beweisen.“

Der beste Moment des zweitägigen Wettkampfes, erzählte Eaton, sei jener gewesen, als er zwischen Stabhochsprung und Speerwerfen, der vorletzten Disziplin, mit seinem Trainer Harry Marra gesprochen und dessen Anweisungen salopp zusammengefasst habe in dem Satz: „Ich weiß, ich muss noch werfen, und ich muss noch rennen, dann habe ich den amerikanischen Rekord.“

Er meinte die 8891 Punkte, die Dan O’Brien vor zwanzig Jahren erreicht hatte. Der Coach habe geantwortet: „Ashton. Weltrekord!“ Da habe er realisiert, wie sehr der Trainer an ihn glaube und habe sich gesagt: „Auf, ich mach es.“ In den vergangenen drei Wintern hat Ashton den Hallenweltrekord im Siebenkampf verbessert, zuletzt, als er bei den Hallen-Weltmeisterschaften in Istanbul mit 6645 Punkten siegte.

 

 „Es ist immer der Zehnkampf, der dich wählt, nicht du ihn.“

 

Im abschließenden 1500-Meter-Lauf musste Eaton seine Bestzeit von 4:18,94 Minuten für den Rekord um vier Sekunden unterbieten; 600 Meter vor dem Ziel lag er nur noch zwei Sekunden zurück. „Da war ich sicher, dass ich den Rekord hatte.“ Mit einem Spurt über die letzte Runde, angefeuert von mehr als 20.000 Zuschauern in Hayward Field, dem Stadion der University of Oregon in Eugene, gelang ihm das schier Unmögliche. Nach 4:14,48 Minuten war er im Ziel und ließ sich, vor Glück weinend, auf die Bahn fallen. „Ich glaube jetzt sicher, dass es die Magie von Hayward Field gibt“, sagte er.

Die familiäre Anlage ist praktisch das Nationalstadion der amerikanischen Leichtathletik, hier finden alle zwei Jahre die Trials statt, hier hat sich, in der Nachbarschaft des Sportartikel-Giganten Nike, eine Lauf- und Leichtathletik-Kultur gebildet, die in Amerika ihresgleichen sucht. Und hier ist die Heimat von Eaton, der im Januar 1988 in Portland geboren wurde, hier hat er bis vor zwei Jahren Psychologie studiert.

 

„Er hat einfach nicht aufgegeben“

 

Zum fachkundigen Publikum gehörten am Samstag, weil sie gemeinsam 100 Jahre olympischen Zehnkampf feierten, die amerikanischen Zehnkampf-Olympiasieger Milt Campbell (Helsinki 1956), Rafer Johnson (Rom 1960), Bill Toomey (Mexiko-Stadt 1968), Bruce Jenner (Montreal 1976) und Dan O’Brien (Atlanta 1996). „Er hat einfach nicht aufgegeben“, lobte O’Brien. „Ich weiß nicht, ob ich mir in seiner Situation so die Seele aus dem Leib gerannt hätte. Aber er hat’s unbedingt gewollt. Das unterscheidet ihn von allen anderen.“

Eaton siegte über 100 Meter in 10,21 Sekunden und im Weitsprung mit 8,23 Metern. Im Kugelstoßen erreichte er 14,20 Metern, siegte im Hochsprung mit 2,05 Meter und über 400 Meter in 46,70 Sekunden. Am zweiten Tag machte er weiter so: mit einem Sieg über 110 Meter Hürden in 13,70 Sekunden. Im Diskuswerfen kam er nur auf 42,81 Meter, machte dies aber mit einem Sieg (und persönlicher Bestleistung) im Stabhochsprung mit 5,30 Metern mehr als wett. Den Speer warf er 58,87 Meter weit und verbesserte sich dann bei seinem Sieg über 1500 Meter auf 4:14,48 Minuten.

Auf die Frage, wie er vor zehn Jahren auf den Zehnkampf gekommen sei, antwortete Eaton: „Ich war es nicht, der sich den Zehnkampf ausgesucht hat. Andere Leute haben gesehen, dass ich vielleicht etwas erreichen könnte. Ich war vom ersten Moment an fasziniert. Aber es ist immer der Zehnkampf, der dich wählt, nicht du ihn.“

 

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag dem 25. Juni 2012

author: GRR

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