Körperliche Aktivität kann bei Diabetikern im Frühstadium den Ausbruch der Krankheit verhindern – aber was ist das richtige Maß? © Neroli/Pixelio
Uni Stuttgart an EU-Projekt zur Prävention von Diabetes Typ 2 beteiligt
Diabetes vom Typ 2, einst als Alterszucker benannt, ist weltweit auf dem Vormarsch und betrifft heute schon Kinder und Jugendliche. Hauptursache für die dramatische Zunahme der folgenschweren Erkrankung ist Übergewicht. Fett- und zuckerreiche Ernährung sowie Bewegungsmangel tragen dazu entscheidend bei.
Gerade im Frühstadium des sich entwickelnden Diabetes wissen viele nichts von ihrem Erkrankungsrisiko, der Stoffwechselzustand wird oft zufällig im Rahmen von Routineuntersuchungen diagnostiziert. Dass Diabetes bei dieser Gruppe der Prädiabetiker erst gar nicht zum Ausbruch kommt, ist das Ziel des Europäischen Verbundforschungsprojekts „PREVIEW“, an dem auch der Lehrstuhl für Sport und Gesundheitswissenschaften der Universität Stuttgart beteiligt ist. Die Stuttgarter Wissenschaftler um Prof. Wolfgang Schlicht untersuchen gemeinsam mit ihren Partnern, wie intensiv eine regelmäßige körperliche Aktivität sein muss und welche Ernährung hilft, ein Entgleisen des Stoffwechsels zu verhindern.
Alleine in Deutschland erwarten Experten in den kommenden Jahrzehnten einen Anstieg an Diabetikern von heute neun auf 12 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Die Folgen für die Patienten sind gravierend. Zu den massiven Beschwerden kommen ernsthafte Begleiterkrankungen des Herzens, der Nieren, der Augen, Venenverschlüsse in den Gliedmaßen bis hin zu Behinderungen oder vorzeitigem Tod. Auch die volkswirtschaftlichen Kosten sind beträchtlich; die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beziffert sie auf bis zu 15 Prozent der jährlichen nationalen Gesundheitsausgaben.
Besonders diabetes-gefährdet sind Menschen mit Übergewicht und Körperfett um den Bauchraum. In Deutschland betrifft dies fast die Hälfte der Erwachsenen. Etwa 15 bis 20 Prozent gelten sogar krankhaft übergewichtig oder fettleibig. Damit aus diesen Risikoträgern keine echten Diabetespatienten werden, zielt „Prevention of Diabetes through lifestyle Intervention and population studies in Europe and around the World (PREVIEW) darauf ab, jene Inhalte der Ernährung und der körperlichen Aktivität zu identifizieren, die bei prädiabetischen Personen den Ausbruch des Diabetes verhindern und die Betroffenen dauerhaft zu einer Änderung ihres Ernährungs- und Bewegungsverhaltens zu motivieren. Hinter dem Projekt steht ein Konsortium von 15 Partnern aus elf Nationen. Es wird von der Europäischen Union im Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms mit insgesamt neun Millionen Euro gefördert; nach Stuttgart fließen rund 600.000 Euro.
„Es muss schon anstrengend sein“
An der Uni Stuttgart konzentriert sich Prof. Wolfgang Schlicht, der dem Steuerungskomitee von PREVIEW angehört, gemeinsam mit seinen Mitarbeiterinnen Dr. Daniela Kahlert und Annelie Reicherz zum einen auf die inhaltliche Gestaltung der körperlichen Aktivität. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass intensives Training die Insulinsensitivität der Muskelzellen steigert. Eine „gesunde“ Muskelzelle reagiert bereits auf eine geringe Dosis Insulin und schont die Bauchspeicheldrüse, die so länger „arbeitsfähig“ bleibt.
Bei Übergewicht nimmt die Sensitivität ab. Welche Aktivität die Betroffenen wählen, ist im Grunde gleichgültig – entscheidend sind die richtige Intensität und die Dauer. Für Prädiabetiker „muss es schon anstrengend sein“, vermuten die Stuttgarter. Wirksamer für die Verhinderung des Diabetes-Ausbruchs sei bei dieser Gruppe vermutlich, mindestens 75 Minuten Ballsport oder schnelles Joggen pro Woche zu betreiben, statt (mindestens) 150 Minuten pro Woche flott spazieren zu gehen.
Zum zweiten untersuchen die Stuttgarter Wissenschaftler die sozialstrukturellen und psychologischen Einflüsse auf das Verhalten und das Krankheitsgeschehen. Alter, Geschlecht, Berufsstatus, kulturelle Einflüsse oder auch chronischer Stress und Schlafverhalten scheinen die Entwicklung der Erkrankung und der Verhaltensänderung zu beeinflussen.
Schließlich schulen die Stuttgarter an acht Zentren weltweit, wie es gelingen kann, Prädiabetiker zu einer Änderung ihres Ess- und Aktivitätsverhaltens zu motivieren. „Um eine abschließende Bewertung der Daten vornehmen zu können, besteht die eigentliche Herausforderung darin, dass die Betroffenen das geänderte Verhalten fünf Jahre lang, bis zum Ende der Studie, durchhalten“, so Schlicht.
Für das Projekt wählen die PREVIEW-Partner ein weltweit abgestimmtes Forschungsdesign: Es besteht zum einen aus einer experimentellen Studie an acht Standorten weltweit mit insgesamt 2.500 Prädiabetikern (Kinder, Jugendliche und Erwachsene) sowie zum anderen aus einer Kohortenstudie mit insgesamt 170.000 Personen aller Altersgruppen aus den Niederlanden, Finnland, Neuseeland und Kanada.
Die Studien starten im Herbst 2013. Mit dem ersten Messzeitpunkt werden bereits Daten zeigen, ob sich bei Prä-Diabetikern Personen- und Sozialmerkmale finden lassen, die den Diabetes wahrscheinlicher machen.
Weitere Informationen: Prof. Dr. Wolfgang Schlicht, Universität Stuttgart, Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft, Tel. +49.711.685.63291, E-Mail wolfgang.schlicht[at]inspo.uni-stuttgart.de
Quelle: idw
vr