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17
11
2013

Prof. Helmut Digel -Zur Zukunft des IOC ©Universität Tübingen

Zur Zukunft des IOC – Prof. Helmut Digel

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Der moderne Olympismus hat ohne Zweifel eine abwechslungsreiche Geschichte aufzuweisen. Von Erfolgen und Misserfolgen, von politischer Inanspruchnahme, von gut und schlecht organisierten Spielen, von guten und fragwürdigen Entscheidungen, von Fair Play und Betrug, und nicht zuletzt von großartigen sportlichen Leistungen ist dabei zu berichten.

Vor allem aber ist auch von der Gefahr der Selbstzerstörung zu reden. Boykotte waren es, die die Olympischen Spiele in Frage gestellt haben, denn 1980 lagen sie nahezu am Boden. Es gab kaum noch ausreichende Bewerberstätte und von einer erfolgreichen Vermarktung der Spiele konnte nicht die Rede sein.

Mit der Wahl von Samaranch begann die eigentliche Blütezeit der modernen Olympischen Spiele. Er veränderte mit seiner Diplomatie die olympische Welt. Sie wurde nicht zuletzt durch seine Hinwendung zu Asien eine globale Welt und mit den erfolgreichen Spielen von Los Angeles wurden Marketingerfolge und TV-Einnahmen möglich, wodurch die Spiele eine einmalige Attrak-tivität erhalten konnten. Jede Metropole dieser Welt zeigte Interesse an der Ausrichtung Olympi-scher Spiele. Ein Mangel an Bewerberstädten war nicht mehr zu beklagen.

Jacques Rogge konnte als IOC-Präsident die Blütezeit des modernen Olympismus erleben. In seiner zehnjährigen Amtszeit präsentierte mit China die größte Nation die größten Spiele aller Zeiten und die Spiele von London darf man wohl zu Recht als die schönsten Spiele der Neuzeit bezeichnen. Jacques Rogge arbeitete auf den Schultern eines Riesen, in gewisser Weise verwal-tete er die Erfolge von Samaranch. Doch er zeichnete sich auch mit besonderen Initiativen im globalen Kampf gegen Doping aus.

Er erkannte die Notwendigkeit der Einbindung des Sports in das digitale Zeitalter und er war bemüht, die Jugend an die Olympische Bewegung heranzufüh-ren, was zur fragwürdigen Gründung Olympischer Jugendspiele führte. Auch dem Wettbetrug, der Korruption und dem Match-Fixing sagte er den Kampf an. Unter finanziellen Gesichtspunkten konnte Rogge seinem Nachfolger eine gesunde Olympische Bewegung übertragen. Die Marke-tingerfolge von Peking, Vancouver und London haben Rücklagen ermöglicht, auf die sein Nach-folger aufbauen kann.

Doch Blütezeiten sind naturgemäß von kurzer Dauer und vieles deutet daraufhin, dass das IOC einer schwierigen Zukunft entgegensieht. Dr. Thomas Bach, der neugewählte Präsident des IOC steht vor den größten Herausforderungen, die sich der Olympischen Bewegung in der Neuzeit je gestellt haben. Ist das Haus unter finanziellen Gesichtspunkten noch gut bestellt, so haben sich in den letzten zehn Jahren Altlasten angehäuft, deren Bewältigung mit großen Schwierigkeiten verbunden sein könnte.

Da ist zunächst das Bewerbungsverfahren um Olympische Spiele, wie es sich in den letzten 20 Jahren herausgebildet hat. Die Anforderungen, die dabei an Bewerberstädte gestellt werden, zeichnen sich durch ein Übermaß an Bürokratie aus, was eine abschreckende Wirkung hat. Abschreckend sind dabei vor allem die Kosten, die die Bewerberstädte zu tragen haben, ohne dass eine angemessene Risikoabschätzung möglich wäre und ohne dass dabei die Kosten als sinnvolles Investment betrachtet werden können. Es kann kaum überraschen, dass sich immer weniger Bewerberstädte für die Ausrichtung der Olympischen Spiele interessieren und dass dabei vor allem solche Nationen der Ausrichtung eine Absage erteilen, in denen vor einer Bewer-bung ein demokratisch geprägtes Mandat einzuholen ist. Die Volksabstimmungen in Österreich und in der Schweiz sollten dabei als ein besonderes Warnsignal gedeutet werden.

Als zweites muss möglichst schnell geprüft werden ob das Nebeneinander von zwei verschiedenen Olympischen Spielen auf Dauer Sinn machen wird. Die Olympischen Jugendspiele sind eine sehr teure Investition, deren Erfolg jedoch mehr als fragwürdig ist. Bislang wurden die angestreb-ten jugendlichen Zielgruppen mit diesen Spielen nicht erreicht. Massenmedial sind diese Spiele irrelevant und als Erziehungsmedium sind sie allenfalls für jugendliche Hochleistungssportler geeignet, die ihre jeweilige Sportart bereits auf höchstem Niveau betreiben.

Als drittes Problem bedarf die Ausgestaltung des olympischen Programms schon seit längerer Zeit einer nachhaltigen Lösung. Die Frage, was ein olympisches Sportprogramm von einer Ad-dition von Weltmeisterschaften unterscheidet, bedarf einer modernen Antwort. Dabei wäre eine bloße modernistische Orientierung an kurzfristigen Jugendinteressen sicher nicht der richtige Weg. Der Aufstieg nicht-olympischer Sportarten in den elitären Kreis der olympischen Sportarten muss erleichtert werden, der Abstieg von und die Verkleinerung der Traditionssportarten müssen aber auch möglich sein. Eine Ausrichtung an den Zuschauerinteressen ist dabei durchaus nahe-liegend und wird für den zukünftigen Bestand der Olympischen Spiele von höchster Bedeutung sein. Einschaltquoten, verkaufte Eintrittskarten in Relation zur Größe der Sportanlagen, Atmo-sphäre der Wettkämpfe, Zuschauerurteil und Unterhaltungswert müssen zu Recht nachvollzieh-bare Indikatoren sein. Sie dürfen dabei jedoch nicht alleine ausschlaggebend für die Qualitäts-definition des Programms sein.

Die Frage nach der Qualität und Quantität des Programms hängt aufs Engste mit der Frage nach der Größe der Spiele zusammen, die in gewisser Weise als die wichtigste Frage zu diskutieren ist. Wollen die Spiele überleben, so dürfen sie auf keinen Fall einem weiteren Wachstum unter-liegen. Sie müssen organisier- und finanzierbar bleiben auch für Nationen, die nicht zu den Reichsten der Welt gehören. Die Athletenzahl sollte möglichst unter der Marke von 10.000 fest-geschrieben werden, die Größe der IOC-Familie und die Anzahl der Betreuer bedarf dringend einer Reduktion und auch die massenmediale Begleitung der Spiele muss auf den Prüfstand gestellt werden. Die Qualitätsanforderungen an die Unterbringung müssen flexibler werden und die Dauer der Spiele darf auf keinen Fall ausgeweitet werden.

Die Größe und das Programm der Spiele verweisen auf die Kosten. Die Kosten für die Ausrich-tung sind längst zu einem unkalkulierbaren Spiel geworden, das unter Risikogesichtspunkten politisch kaum noch verantwortbar ist. Hinterlassen die Spiele dann noch weiße Elefanten, die als Schandmal der Olympischen Bewegung zu deuten sind, so ist dies nicht nur kontraproduktiv für zukünftige Ausrichter, es ist vor allem auch abschreckend. Die Kosten der Spiele könnten ganz erheblich gesenkt werden, wenn sich die Erwartungshaltung des IOC bezüglich der Quantität und Qualität der Spiele ganz wesentlich verändert. Luxusdienstleistungen könnten gestrichen, das aufwändige Transportsystem kann vereinfacht werden und temporäre Sportstätten können zu einer wesentlichen Kostenminderung beitragen.

Auf den Prüfstand zu stellen sind auch die derzeit noch wirksamen Marketingstrategien. Dazu gehört das „Top-Programm“, wie es vor Jahrzehnten eingeführt wurde. Auch hier bedarf es einer Modernisierung. Es gibt Anzeichen, dass die Fortführung der Strategie zukünftig nicht mehr die gleichen finanziellen Erfolge ermöglichen wird. Dies gilt für die Fernsehpartnerschaften gleicher-maßen wie für die Partnerschaften mit großen Wirtschaftsunternehmen. Das IOC hat sich damit abzufinden, dass hohe Wachstumsraten der Vergangenheit angehören und seine Mitglieder, insbesondere die NOKs und Internationalen Fachverbände müssen lernen, dass Sparsamkeit und Bescheidenheit sinnvolle Tugenden sein können. Eng mit der Vermarktung hängt auch die Kommunikationspolitik des IOC zusammen und auch hier kann nur gehofft werden, dass die ängstliche und zurückhaltende Kommunikationspolitik überwunden wird und das IOC sich vermehrt durch Selbstkritik auszeichnet, dass Kritik und Transparenz neue Vermarktungsmög-lichkeiten eröffnen können. Neue innovative, digitale Strategien sind deshalb dringend vonnöten. Dies gilt für die Kommunikation gleichermaßen wie für das Marketing.

Das siebte Problem mit dem sich der IOC-Präsident zukünftig zu beschäftigen hat, zielt auf die Mitgliederstruktur des IOC ab. Will das IOC seine fachlichen Probleme lösen, so bedarf es vermehrter fachlicher Kompetenz. Das heisst, die Rekrutierung neuer Mitglieder ist dringend an eine fachliche Überprüfung zu binden. Nur auf diese Weise wird ein neuformiertes IOC den Herausforderungen gerecht werden können. Adelige Herkunft allein bedeutet nicht gleich Kompetenz. Gleiches gilt für das Merkmal der politischen Macht. Aber auch Athleten sind nicht alleine dadurch kompetent, da sie praktische Erfahrungen im Sport aufweisen und weil sie eine Medaille gewonnen haben. Man darf hoffen, dass die Kriterien, die der neue IOC-Präsident bei seiner Kandidatur in die Waagschale werfen konnte, auch für die Definition zukünftiger Kompetenzen von entscheidender Bedeutung sein werden.

Waren die bislang genannten Probleme eher ökonomischer, finanzieller, organisatorischer und personeller Natur, so sind für die zukünftige Entwicklung drei weitere Probleme von entscheidender Bedeutung, die man als den ethischen Komplex der Olympischen Spiele bezeichnen könnte.

Im Zentrum steht dabei das Doping-Problem. Kommt es bei der Bekämpfung des Doping-Betruges nicht zu einem Strategiewechsel, so wird das IOC mit seinen Olympischen Spielen alleine schon aus Kostengründen scheitern. Ein immer teurer werdendes Anti-Doping-Kontroll-System, das präventiv nicht erfolgreich ist hat keine Zukunft. Im Gegenteil, es ist heute schon zu erkennen, dass es den Betrug zumindest sogar teilweise mitbedingt. Wenn auf Dauer der Betrug im Hochleistungssport einer Epidemie gleichkommt, kann das kein tragfähiger Weg in die Zukunft sein.

Bedrohlich ist auch der zweite Teil des Ethik-Komplexes, die immer noch vermehrt auftretenden Korruptionsfälle in der Olympischen Bewegung. Dies hängt aufs Engste mit der Rekrutierung der IOC-Mitglieder zusammen, vor allem machen diese Fälle deutlich, wie attraktiv die Olympische Bewegung unter finanziellen Gesichtspunkten für eine persönliche Bereicherung ihrer Mitglieder ist. Hier bedarf es entscheidender Aufklärungsmaßnahmen und Sanktionen, will das IOC in Zukunft seine Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

Eine besonders schwierige Herausforderung für das IOC stellt schließlich die Frage der Menschenrechte dar. Bislang ist es dem IOC nicht gelungen, eine nachvollziehbare Position in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen einzunehmen. Dies gilt vor allem dann, wenn es angebracht gewesen wäre, sich auf die Seite der Schwächeren zu stellen, ohne Rücksicht auf autoritäre Politiksysteme, mit denen man aus naheliegenden Gründen bei der Durchführung Olympischer Spiele eine zeitlich begrenzte Partnerschaft einzugehen hat.

Für die Entwicklung moderner Gesellschaften ist deren ständige Veränderung wünschenswert und Wertewandel bedeutet nicht notwendigerweise Verfall. Vielmehr befinden sich moderne Gesellschaften unter einem ständigen Modernisierungsdruck, kreative Lösungen in Bezug auf auftretende Probleme sind zwingend erforderlich. Das IOC befindet sich in diesen Tagen ohne Zweifel unter einem enormen Modernisierungsdruck. Eine ethisch fundierte strategische Führung ist dringend vonnöten. Wichtig wird jedoch auch sein, dass man sich einem visionären Leitbild stellt, das für das alltägliche Handeln praktische Richtschnur und Maßstab ist.

Dr. Thomas Bach ist zu dieser strategischen Führung durchaus befähigt und er ist sich jeder der genannten Herausforderungen bewusst. Er verfügt über die notwendige Macht und die wichtigsten Entscheidungsbefugnisse. Im Interesse des modernen Olympismus ist ihm Glück und Erfolg zu wünschen.

 

 Prof. Helmut Digel in der DOSB Presse

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