Dr. Dr. med. Lutz Aderhold - Stressfraktur (Ermüdungsbruch) ©privat
Stressfraktur (Ermüdungsbruch) – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Die ersten Ermüdungsbrüche wurden im 19. Jahrhundert bei jungen Rekruten im Mittelfußbereich vermutet, daher auch die Bezeichnung „Marschfraktur". Eine Stressfraktur, auch Ermüdungsbruch genannt, entsteht als Folge einer lang andauernden und ständig sich wiederholenden Belastung des Knochens. Dabei wird im Sinne einer Materialermüdung die Toleranzgrenze des Knochens überschritten.
Es handelt sich um eine Störung des Gleichgewichts des sich ständig auf- und abbauenden Knochengewebes. Die Dauerbelastung führt zur Ausbildung eines Risses und schließlich zur Bruchbildung, wobei dieser Knochenbruch selten vollständig ist. Bei Sportlerinnen können auch Störungen des Menstruationszyklus mit verantwortlich sein. Ein niedriger Östrogenspiegel kann zur Verringerung der Knochenmasse (Osteoporose) führen und einen Ermüdungsbruch begünstigen.
Förderlich für die Entstehung von Stressfrakturen sind: die Zunahme des Trainingsumfangs oder der Trainingsintensität, fehlende Regeneration, ein unebener Boden, ungeeignete Schuhe und anatomische Fehlstellungen sowie Über- und Untergewicht bzw. Essstörungen (Vitamin D- und Kalziummangel).
Ein Verlust von 5% der Knochenmasse erhöht das Risiko einer Stressfraktur um 40%!
Im Vergleich zu anderen verletzungsbedingten Knochenverletzungen sind Ermüdungsbrüche relativ selten, machen aber gerade bei Läufern bis 15% der Verletzungen aus. Knapp 70% aller Stressfrakturen kommen bei Läufern vor (Rieger 2010). Stressfrakturen treten im Jugendalter häufiger als bei Erwachsenen auf. In abnehmender Häufigkeit sind davon betroffen: Schienbein (Tibia), Mittelfußknochen (Os naviculare, Ossa metatarsalia), Oberschenkel (Femurdiaphyse), Wadenbein (Fibula) und Becken.
Bei Läufern sind Stressfrakturen vor allem im Schien- und Wadenbein sowie im Bereich der Mittelfußknochen lokalisiert.
Die Beschwerden bei den Stressfrakturen beginnen meist schleichend. Der Sportler bemerkt anfangs nur einen leichten Schmerz unter Belastung, der in Ruhe wieder verschwindet. Bei einer Untersuchung zeigt sich ein punktförmiger Druck- und Klopfschmerz in diesem Bereich. Der einbeinige Hüpftest ist schmerzhaft.
Schwellungen über Knochenabschnitten, die sich über Wochen nicht zurück bilden und unter Belastung Schmerzen auslösen, sollten Sie untersuchen lassen, um eine Stressfraktur auszuschießen.
Überlastungsschäden des Bewegungsapparates in Form von Stressfrakturen werden oft erst spät erkannt, da sich auch auf Röntgenaufnahmen in der frühen Phase (2-3 Wochen) der Beschwerdesymptomatik oft keine Veränderungen feststellen lassen. Daraus resultiert dann in vielen Fällen die Fehldiagnose „Sehnenansatzschmerz- Tendinopathie" oder „Knochenhautentzündung".
Die Röntgenuntersuchung ist deshalb nach weiteren 2-4 Wochen zu wiederholen. Es ist dann im Falle eines Ermüdungsbruchs eine lokale Sklerosierung, eine periostale Kallusbildung oder eine Fissurlinie nachweisbar.
Die Knochenszintigraphie gilt heute nicht mehr als Methode der Wahl. Bereits wenige Tage nach Beginn der Beschwerden zeigt sie eine deutliche Anreicherung, ist also sehr sensitiv. Nur ist diese Untersuchung nicht spezifisch, so können entzündliche Prozesse ähnliche Befunde ergeben.
Demgegenüber erlaubt die Kernspintomographie (Magnetresonanztomographie – MRT) ebenfalls einen frühzeitigen und spezifischen Nachweis einer Stressfraktur (Wolff 2001; Engelhardt 2009). Aufgrund der damit diagnostizierten Veränderungen kann eine Klassifizierung mit entsprechenden therapeutischen Konsequenzen vorgenommen werden.
Bei der Graduierung unterscheidet man: Grad I (periostales Ödem), Grad II (periostales Ödem, begleitendes Marködem in T2-gewichteten Bildern), Grad III (Marködem in T1- und T2-gewichteten Bildern), Grad IV (sichtbare Frakturlinie). Bei Grad I + II liegt eine Stressreaktion des Knochens vor und es kann mit einer schnellen Ausheilung gerechnet werden. Bei Grad III und IV handelt es sich um eine Stressfraktur im engeren Sinne mit einer entsprechend längeren Behandlungsdauer.
Therapie
Anfänglich steht eine Schmerztherapie mit Analgetika und ggf. Antiphlogistika im Vordergrund. Die Behandlung von Stressfrakturen hängt vom Zeitpunkt der Diagnose, dem Grad der Schädigung und der Lokalisation ab. Eine Laufpause ist für die Heilung unumgänglich.
Bei konservativer Behandlung müssen Sie alle sportlichen Aktivitäten unterhalb der Schmerzgrenze praktizieren, d.h. Radfahren, Schwimmen und Aqua-Jogging sind meist möglich (Aderhold und Weigetl 2012).
Stressfrakturen mit nachgewiesenem Frakturspalt im Bereich des Wadenbeins (Fibula), der Mittelfußknochen (II-IV), des Fersenbeins (Calcaneus) oder des Schambeins heilen unter Einhaltung einer Trainingspause nach 6-8 Wochen aus. Ermüdungsbrüche am Schenkelhals, Wirbelkörper, Oberschenkelknochen (Femur), mittleres Schienbein, Kahnbein und Mittelfußknochen des Kleinzehenstrahls (Metatarsalia V) benötigen eine längere Trainingspause (8 – 14 Wochen) und evtl. die Ruhigstellung in einem Gips oder auch eine operative Versorgung.
Magnetfeldtherapie kann die Knochenheilung günstig beeinflussen. Teilweise wird auch zur Förderung der Heilung empfohlen, Kalzium, Magnesium, Vitamin D und Enzympräparaten (Bromelain®, Wobenzym®, Traumanase®) einzunehmen.
Nach der Phase der Ruhigstellung kann unter physiotherapeutischer Behandlung mit einer Belastungssteigerung im Sinne eines Aufbautrainings begonnen werden. Bei Leistungssportlern ist eine sportmedizinische Betreuung ratsam. Sportlerinnen mit Zyklusstörungen benötigen eine frauenärztliche Beratung. Selbstverständlich ist auf eine ausgewogene Ernährung (Kalzium, Vitamin D) zu achten.
Vorbeugung
Um Stressfrakturen vorzubeugen denken Sie an ein angepasstes Trainings- und Regenerationsprogramm, ausreichend gedämpfte Laufschuhe und die entsprechenden Einlagen. Eine Reduktion der Schrittlänge mit Frequenzerhöhung kann die Belastung verringern (Edwards et al. 2009).
Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Literatur:
Aderhold L, Weigelt S. Laufen! … durchstarten und dabeibleiben – vom Einsteiger bis zum Ultraläufer. Stuttgart: Schattauer 2012.
Edwards WB, Taylor D, Rudolphi TJ, Gilette JC, Derrick TR. Effects of stride length and running mileage on a probabilistic stress fracture model. Med Sci Sports Exerc 2009; 41:2177-84.
Engelhardt M. Sportverletzungen. Diagnose, Management und Begleitmaßnahmen. München: Urban und Fischer 2009.
Rieger H. Sportverletzt. Was jetzt? Ursachen, Behandlung, Vorbeugung. Köln: Deutscher Ärzteverlag 2010.
Wolff R. Stressfraktur – Ermüdungsbruch – Stressreaktion. Dtsch Z Sportmed 2001; 52: 124-8.
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