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14
09
2016

MARACANA, OLYMPISCHES STADION, BRASILIEN - SEPTEMBER 14 Franziska Liebhardt (GER) vom TSV Bayer 04 Leverkusen/Nordrhein-Westfalen [Paralympische Klassifizierung: T/F37] und Maike Hausberger (GER) vom Postsportverein Trier/Rheinland-Pfalz [Paralympische Klassifizierung: T37] sind im Weitsprung aktiv. Heinrich Popow (GER) vom TSV Bayer 04 Leverkusen/Nordrhein-Westfalen [Paralympische Klassifizierung: T/F42] bestreitet die 100m Vorläufe und Uta Streckert (GER) vom TV Wattenscheid 01/Nordrhein-Westfalen [Paralympische Klassifizierung: T35] hat ihr 100m Finale am Vormittag des siebten Wettkampftages in der Leichtathletik. Credit: Ralf Kuckuck

Paralympics Rio 2016 – Franziska Liebhardt: Zwei Medaillen binnen 17 Stunden – Franziska Liebhardt stößt die Kugel zu Gold – 34-Jährige knackt im ersten Versuch den Weltrekord

By GRR 0

Franziska Liebhardt hat bei den Paralympics im brasilianischen Rio de Janeiro nach Gold im Kugelstoßen Silber im Weitsprung der Klasse T37 gewonnen und beendet damit ihre sportliche Karriere mit zwei Medaillen.

Die 34-Jährige, die beim TSV Bayer 04 Leverkusen von Steffi Nerius trainiert wird, sprang nicht mal 17 Stunden nach ihrem Gold-Stoß im ersten Versuch 4,42 Meter weit und sicherte sich damit die Silbermedaille. „Ich habe heute im Wettkampf schon gemerkt, dass die Spannung ein bisschen gefehlt hat, ich denke, das kommt von gestern. Dadurch war die Leistung heute nicht so gut, ich war nicht ganz zufrieden mit der Weite, aber jetzt ist es Silber und das zählt, alles super.“

Gold ging an die Chinesin Xiaoyan Wen mit Weltrekord in 5,14 Metern, Bronze an die Australierin Jodi Elkington-Jones mit 4,30 Metern. Maike Hausberger, die für den Post-Sportverein Trier startet und von Evi Raubuch trainiert wird, wurde Vierte mit 4,06 Metern. Sie sagte: „Vierte ist zwar immer doof, aber ich denke, ich kann sehr zufrieden mit mir sein.“

Liebhardt, die mit 4,73 Metern den Deutschen Rekord hält, hatte gestern Abend extra auf eine Feier verzichtet, um am Morgen noch mal fit zu sein. „Ich habe mir aber echt schwer getan einzuschlafen, es waren so viele Eindrücke, das Adrenalin ging bis in die Haarspitzen. Wir sind echt nur zurück, essen und dann ins Bett, aber ich konnte halt nicht einschlafen. Man trifft im Dorf so viele Leute, die einem gratulieren, es war eine kurze Nacht, aber ich habe ein paar Stunden geschlafen.“

Die ungewöhnliche Kombination aus Kugelstoßen und Weitsprung kommt daher, dass sie alles mit Schnellkraft gut kann, alles mit Technik macht ihr Spaß. Um sich nur noch auf das Kugelstoßen zu konzentrieren, wollte sie eigentlich vor zwei Jahren mit dem Weitsprung aufhören. Doch Bundestrainer Willi Gernemann überredete sie, den Weitsprung weiterzumachen, auch wenn der Schwerpunkt klar auf der Kugel lag. „Es ist mittlerweile halt so, dass ich für Weitsprung zu schwer bin und für Kugel zu leicht“, hatte die 34-Jährige vor dem Abflug gesagt. Zehn Kilo habe sie zugelegt, „aber mit der Muskelmasse kommt ja auch Kraft dazu.“

Ihr Ziel, die Spiele zu genießen, hat sie schon jetzt erreicht: „Ich finde es fast schöner, als man es sich vorgestellt hat, man hat ja im Vorfeld einiges Negatives gehört, davon hat sich nichts bewahrheitet. Es war beim Weitsprung auch total klasse, das Publikum hat mich angefeuert, das war Gänsehautfeeling, richtig schön, hat Spaß gemacht.“

Heute wird sie im Gegensatz zu gestern auch den Weg ins Deutsche Haus finden: „Ich werde feiern gehen, ich habe die Goldmedaille ja auch noch nicht gefeiert. Und dann die nächsten Tage in Rio auch mal was anschauen und einfach relaxen.“

Schon vor ihrem Start bei den Paralympics war für Liebhardt klar, dass sie ihre Karriere beenden wird: „Das Gefühl, dass es jetzt vorbei ist, ist irgendwie strange. Ich habe schon beim Training mich ertappt, wie ich immer so dachte: Ah, das war das letzte Mal Hanteln, das waren die letzten Tempoläufe, aber schöner hätte es nicht enden können.“

Zweimal Gold, zweimal Silber, einmal Bronze

Handbikerin Dorothee Vieth gewinnt Gold Bild vergrößern Handbikerin Dorothee Vieth gewinnt Gold. © Oliver Kremer/DBS

Zweimal Gold, zweimal Silber, einmal Bronze: Die Straßen-Wettbewerbe hätten für die deutschen Paracycler in Rio de Janeiro am Mittwochvormittag besser kaum beginnen können.

Den Auftakt der Medaillenflut machte Michael Teuber (C1), der das Zeitfahren über 20 Kilometer 27:53,98 Minuten deutlich vor dem Kanadier Ross Wilson (28:47,34) Gold gewann. „Ich bin überglücklich. Es ist alles perfekt aufgegangen. Viel besser geht's nicht“, sagte Teuber. Nach 2008 und 2012 war es sein dritter Zeitfahr-Erfolg bei den Paralympics. Mehr noch: Teuber bejubelte bereits seine fünfte Goldmedaille bei Paralympischen Spielen. Erich Winkler dagegen hatte wie schon auf der Bahn erneut einen technischen Defekt und verpasste als Vierter in 29:37,37 Minuten eine Medaille.

Riesengroß waren die Erleichterung und der Jubel bei Denise Schindler. Nach ihrer Disqualifikation auf der Bahn über 3000 Meter sprintete die 30-Jährige auf der Straße zu Silber, obwohl sie ohne Erwartungen ins Zeitfahren gegangen war. Sie musste sich in einer Zeit von 30:18,99 Minuten nur der Niederländerin Alyda Norbruis (29:46,51) geschlagen geben – und konnte damit sehr gut leben: „Wie habe ich das denn gemacht? Nach dem Drama auf der Bahn ist das ein Geschenk für mich. Das ist die Erlösung“, schwärmte eine sichtlich erleichterte Schindler mit Tränen in den Augen.

Der krönende Abschluss der ersten Session am Vormittag war der deutsche Doppelerfolg der Handbikerinnen Dorothee Vieth und Andreas Eskau. Im Zeitfahren der Klassen H4 und H5 siegte die Hamburgerin Vieth in 31:35,46 Minuten vor ihrer Teamkollegin aus Magdeburg (32:15,42). "Das ist unglaublich, grandios. Die Freude ist riesengroß. Es war die Hölle auf der Strecke, so unglaublich heiß", sagte Vieth. Nach einmal Silber und dreimal Bronze ist es ihre erste Gold-Medaille bei Paralympischen Spielen. Andrea Eskau konnte mit dem zweiten Platz gut leben. „Auf diesem Kurs bin ich mit Silber sehr zufrieden. Ich liebe eigentlich die Berge, die waren hier eben nicht da. Ich gönne Dorothee den Sieg von Herzen.“ Christiane Reppe belegte mit einem Rückstand von 1:07.76 Minuten Rang 6.

Handbiker Vico Merklein holte Bronze. Der 39-Jährige musste sich in der Klasse H4 in 28:42,34 Minuten dem Polen Rafal Wilk (27:39,31) und dem Österreicher Thomas Frühwirth (27:49,31) geschlagen geben. Kerstin Brachtendorf (C5) holte nach 30:31.46 Minuten Platz 7. Max Weber (H3) kam als Neunter ins Ziel (31:20.94).

Franziska Liebhardt stößt die Kugel zu Gold  – 34-Jährige knackt im ersten Versuch den Weltrekord

Franziska Liebhardt mit ihrer Goldmedaille ©Ralf Kuckuck/DBS Bild vergrößern Franziska Liebhardt mit ihrer Goldmedaille ©Ralf Kuckuck/DBS

Franziska Liebhardt hat bei den Paralympics im brasilianischen Rio de Janeiro Gold im Kugelstoßen der Klasse F37 gewonnen und damit ihre eigenen Erwartungen erfüllt. Die 34-Jährige, die beim TSV Bayer 04 Leverkusen von Steffi Nerius trainiert wird, stieß die Kugel mit Weltrekord auf 13,96 Meter und ließ ihre chinesische Konkurrentin Na Mi hinter sich, die 2008 und 2012 jeweils die Paralympics gewonnen hatte. Bronze ging an die Tschechin Eva Berna mit 11,23 Metern.

Liebhardt sagte glücklich: „Beim Einstoßen ging schon einer richtig weit, und es war auch die Taktik, gleich im ersten einen rauszuhauen, um die Chinesin zu beeindrucken. Dass es dann 13,96 Meter werden, hatten wir nicht auf der Rechnung. Die Chinesin war im Callroom schon unglaublich nervös, da habe ich gemerkt, dass sie ihrer Sache heute nicht so sicher ist, weil sie ja eigentlich immer alles gewonnen hatte.“

Liebhardt, die sich mit 13,82 Metern im Mai den Weltrekord geschnappt hatte und auch Europameisterin ist, zeigte von Anfang an, dass sie sich den Sieg fest vorgenommen hatte: Gleich im ersten Versuch landete ihre Kugel bei 13,96 Metern – Weltrekord. Mi, die bei den Weltmeisterschaften in Doha noch weiter als Liebhardt gestoßen hatte, konterte zwar direkt mit 13,73 Metern und Asienrekord, danach kam aber nicht mehr viel von ihr. Liebhardt konnte ihre Freude kaum in Worte fassen:

„Ich bin total durch den Wind, ich kann es noch gar nicht so richtig glauben. Ich habe mich immer gedacht, dass die noch kontert, dass sie mir vor dem letzten Versuch noch einen vor den Latz haut.“

Trotz einiger kleinerer Verletzungen und einem Ermüdungsbruch im Becken endete die Kugelstoß-Saison für die Kinderphysiotherapeutin optimal. Seit sie bei Steffi Nerius trainiert, konnte sie ihre Bestleistung von 10,90 Metern aus kontinuierlich steigern, nur die 14-Meter-Marke wollte in Rio nicht fallen. „Das stört mich jetzt aber nicht, schließlich habe ich paralympisches Gold. Als ich vor zwei Jahren nach Leverkusen gezogen bin, gab es für mich nur volle Pulle, aber da haben wir noch gar nicht über Medaillen gesprochen. Ich habe mich entschlossen, alles zu investieren, aber dass das heute so belohnt wird, hätte ich nie gedacht. Ich habe mich unter Steffi so super entwickelt, die Medaille geht auch zu einem großen Prozentsatz an sie.“

Trainerin Steffi Nerius, die mit Markus Rehm vor Ort war, hatte Tränen in den Augen und genoss den Moment sichtlich: „Gerade Markus und Franzi liegen mir besonders am Herzen. Ich bin so glücklich, dass sie sich ihren Traum erfüllen konnte, einmal bei Paralympics dabei zu sein und dann auch noch Gold – das ist der Wahnsinn.“

Liebhardt, die aufs Siegerpodest tänzelte, hatte vor ihrem Flug nach Rio auch nichtsportliche Ziele formuliert: Das erhöhte Interesse an ihrer Person wollte sie nutzen, um auf ihre „Herzenssache Organspende“ hinzuweisen, für die sie sich seit einigen Jahren einsetzt. 2005 wurde eine Autoimmunerkrankung bei ihr diagnostiziert, eine Nieren- und eine Lungentransplantation ermöglichten es ihr, weiterzuleben.

„Ich möchte das gar nicht groß aufbauschen. Aber das Bild der Organspende ist nicht so positiv behaftet in Deutschland, dem möchte ich entgegenwirken. Wenn nur zehn Leute einen Spenderausweis ausfüllen, hat sich das schon gelohnt.“

Nach dem Weitsprung-Wettkampf morgen um 11.05 Uhr (Rio-Zeit) wird sie dann ihre Karriere beenden: „Ab Januar werde ich in mein altes Leben in Würzburg zurückkehren und mich um Freunde und Familie kümmern, die in den letzten zwei Jahren viel zurückstecken mussten.“

Die Feier fällt wegen des Weitsprungs daher kleiner aus: „Ich habe schon die Ansage, heute ins Bett zu gehen. Es wäre schön, wenn morgen im Weitsprung auch eine Medaille rausspringt, aber da kann alles passieren. Wenn es dann noch persönliche Bestleistung wird, wäre das ein mega Abschluss für mich.“

Quelle:

 Deutscher Behindertensportverband e.V.

Die Newsletter-Ausgabe "Paralympische Momente 6" aus dem Deutschen Haus in Rio de Janeiro steht unter https://www.deutsche-paralympische-mannschaft.de/de/events/rio-2016.html zur Ansicht bereit.

author: GRR

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