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Tierisches oder pflanzliches Eiweiß, was ist gesünder? – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Eine Studie der McMaster University (Hamilton – Kanada: Papanikolaou et al. 2025) liefert neue Erkenntnisse über die Rolle von tierischem Eiweiß in einer gesunden Ernährung.
Wichtige Studienergebnisse
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Sie untersuchten, wie viel tierisches und pflanzliches Eiweiß die Teilnehmenden typischerweise zu sich nahmen, und setzten diese Mengen in Beziehung zu Sterblichkeit – gesamt, durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD) und durch Krebs.
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Ergebnis: Kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Eiweiß (tierisch oder pflanzlich) und einem erhöhten Sterberisiko (allgemein, Herz-Kreislauf, Krebs) sowie mit IGF-1 Konzentrationen wurde gefunden.
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Interessanterweise: Ein etwas geringerer Krebs-Sterblichkeitsrisiko für diejenigen mit höherem TierEiweißkonsum wurde beobachtet (also ein inverser Zusammenhang) — also ein kleiner, aber statistisch signifikanter “Schutz” gegenüber krebsbedingtem Tod.
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Die Studie betont ausdrücklich: Beobachtungsstudien wie diese können kein sicheres Ursache-Wirkungs-Verhältnis beweisen, sondern nur Zusammenhänge. Ernährungsstudien stehen aufgrund uneinheitlicher Essgewohnheiten oft vor Herausforderungen. Als Beobachtungsstudie kann diese Forschung keine Kausalität herstellen, sondern identifiziert signifikante Muster in großen Populationen.
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Der leitende Forscher Yanni Papanikolaou betonte, dass sowohl tierische als auch pflanzliche Proteine zur Gesundheit und Langlebigkeit beitragen. Die Ergebnisse beweisen nicht, dass Tier-Eiweiß „besser“ ist, sondern lediglich, dass in ihrem Datenset keine schädlichen Assoziationen gefunden wurden.
Kritische Bewertung: Was spricht für und gegen diese Interpretation?
Wenn eine Studie Ergebnisse bringt, die gegen die vorherrschende Meinung zu sprechen scheinen, ist Vorsicht geboten. Hier sind wichtige Aspekte:
Stärken der Studie
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Große Stichprobe – fast 16.000 Personen.
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Statistische Methoden – die Autoren verwendeten anspruchsvolle Verfahren (u.a. multivariate Modelle, Schätzmethoden zur Abschätzung des üblichen Eiweißkonsums zur Kontrolle von Messfehlern.
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Beachtung von Störfaktoren – sie kontrollierten z. B. Alter, Lebensstil, Rauchverhalten etc.
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Unterteilung nach Todesursachen – Gesamtmortalität, Herz-Kreislauf, Krebs getrennt analysiert.
Schwächen und Grenzen
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Beobachtungsdesign
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Wie bei allen Kohorten oder Querschnittsstudien: man erkennt Zusammenhänge, aber keine Kausalität.
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Es könnten versteckte Faktoren eine Rolle spielen (z. B. Qualität der Lebensmittel, Verarbeitung, allgemeiner Lebensstil), die nicht vollständig herausgerechnet werden können.
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Messung der Ernährung
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Die Studie basiert auf Fragebögen und Selbstauskünften (Ernährungsprotokolle). Solche Angaben sind anfällig für Fehler, systematische Verzerrungen oder Erinnerungslücken.
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Art des Eiweißes / Herkunft
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„Tierisches Eiweiß“ umfasst viele sehr unterschiedliche Quellen — verarbeitetes Fleisch, rotes Fleisch, Milchprodukte, Fisch, Geflügel usw.
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Unterschiedliche Quellen haben unterschiedliche Wirkungen (z. B. verarbeitetes Fleisch in vielen Studien eher negativ).
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Auch beim pflanzlichen Eiweiß gibt es große Unterschiede (Hülsenfrüchte, Nüsse vs. stark verarbeitete Produkte).
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Kontext vorhandener Literatur
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Viele andere epidemiologische Studien und Meta-Analysen (Song et al. 2016; Naghshi et al. 2020; Lim et al. 2021; Reid-McCann et al. 2025; Egert et al. 2025) sehen eher negative oder neutrale Effekte von hohem Tierproteinkonsum, besonders wenn viel rotes oder verarbeitetes Fleisch involviert ist (z. B. erhöhte Risiken für Herz-Kreislauf-Krankheiten, bestimmte Krebsarten).
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Interessen & Finanzierung
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In der Pressemitteilung wird angegeben, dass die Studie von der National Cattlemen’s Beef Association (NCBA) finanziell unterstützt wurde, allerdings ohne Einfluss auf Studiendesign, Datenerhebung oder Analyse.
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Solche Verbindungen können allerdings (bewusst oder unbewusst) die Wahrnehmung beeinflussen oder kritische Aspekte weniger betonen.
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Generalisierbarkeit
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Die Ergebnisse gelten für die untersuchten Populationen in den USA in einem bestimmten Zeitraum. Übertragbarkeit auf andere Länder, Kulturen oder Ernährungsgewohnheiten ist nicht automatisch gegeben.
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Meine Einschätzung
Die Studie ist kein Beweis, dass tierisches Eiweiß per se “gut” ist, oder dass alle vorherigen Studien falsch waren.
Aus meiner Sicht ist das vernünftigste Fazit:
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Die Studie zeigt, dass in dieser Datenauswertung kein erhöhtes Sterberisiko durch tierisches Eiweiß festgestellt wurde, und sogar ein kleiner inverser Zusammenhang mit krebsbedingtem Tod – aber das heißt nicht, dass tierisches Eiweiß generell “schützend” ist.
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Viele andere große Studien und Metaanalysen (s.o.) deuten eher darauf hin, dass Pflanzeneiweiß eher mehr Vorteile bringt, besonders in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Gesamtsterblichkeit.
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Vieles hängt ab von Art und Qualität der tierischen Eiweißquelle (z. B. unverarbeitet vs verarbeitet, fettarm vs fettreich, Herkunft, Begleitstoffe) sowie vom Gesamtkontext der Ernährung (Ballaststoffe, Gemüse, Fette etc.).
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Empfohlene Strategie: Eine ausgewogene Mischung, bei der überwiegend pflanzliche Quellen genutzt werden, mit moderaten hochwertigen tierischen Quellen (z. B. Fisch, Milchprodukte, Eier) scheint weiterhin eine vernünftige Strategie zu sein — es gibt keine “one-size-fits-all”-Antwort.
Anwendung der Ergebnisse auf Ihre Ernährung
Diese Studie bietet praktische Anleitungen zur Optimierung Ihrer Ernährung. Hier sind einige umsetzbare Tipps, um die Ergebnisse in Ihre Ernährung zu integrieren:
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Ausgewogene Proteinquellen: Kombinieren Sie tierische Proteine (z. B. Rindfleisch, Huhn, Fisch) mit pflanzlichen Optionen (z. B. Bohnen, Linsen) für ein ausgewogenes Nährstoffprofil.
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Wählen Sie hochwertiges Fleisch: Entscheiden Sie sich für mageres, minimal verarbeitetes Fleisch wie grasgefüttertes Rindfleisch oder Freilandgeflügel, um den gesundheitlichen Nutzen zu maximieren.
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Achten Sie auf die Portionsgröße: Streben Sie 85 bis 115 Gramm Fleisch pro Mahlzeit an, entsprechend den Ernährungsrichtlinien für eine ausgewogene Ernährung.
Diese Strategien stehen im Einklang mit den Ergebnissen der Studie und unterstützen eine Ernährung, die die langfristige Gesundheit fördert, ohne dass Risiken im Zusammenhang mit Fleisch zu befürchten sind.
Die Bedeutung von Protein in der Ernährung
Protein ist für die Muskelregeneration, die Immunfunktion und die allgemeine Gesundheit unerlässlich. Tierische Proteine, wie sie beispielsweise in Fleisch enthalten sind, liefern ein vollständiges Aminosäureprofil und bioverfügbare Nährstoffe wie Eisen, Zink und Vitamin B12, die in pflanzlichen Quellen weniger reichlich vorhanden sind. Diese Studie zerstreut Bedenken hinsichtlich des Fleischkonsums und zeigt, dass dieser das Sterberisiko nicht erhöht und sogar krebsvorbeugende Vorteile bieten kann.
Die Verwirrung um Proteine – wie viel man davon essen sollte und aus welcher Quelle – kann Ernährungsentscheidungen erschweren. Erwachsene sollten je nach Aktivitätsniveau und Alter 0,8 bis 1,2 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen. Für eine 70 kg schwere Person entspricht dies 56 bis 84 Gramm täglich, was mit zwei 113-Gramm-Portionen Fleisch oder einer Mischung aus tierischen und pflanzlichen Proteinen erreicht werden kann. Andere Untersuchungen bringen verarbeitete Fleischprodukte mit Gesundheitsrisiken in Verbindung, daher sollten Sie deren Verzehr einschränken und frisches, mageres Fleisch bevorzugen. Wählen Sie minimal verarbeitetes Fleisch aus seriösen Quellen, wie z. B. grasgefüttertes Rindfleisch oder Bio-Geflügel. Achten Sie auf einen niedrigen Natriumgehalt und vermeiden Sie Fleisch mit zugesetzten Konservierungsstoffen oder Füllstoffen.
Pflanzliche Proteine sind nahrhaft, aber es können bestimmte Nährstoffe wie Vitamin B12 oder bioverfügbares Eisen fehlen. Die Kombination von pflanzlichen und tierischen Proteinen gewährleistet ein vollständiges Nährstoffprofil, obwohl eine gut geplante vegetarische Ernährung mit Nahrungsergänzungsmitteln die meisten Bedürfnisse decken kann.
Eine Ernährung, die reich an buntem Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und gesunden Fetten (z. B. Olivenöl, Nüsse) ist, liefert Antioxidantien und Ballaststoffe, die das Krebsrisiko senken können. Regelmäßige körperliche Aktivität und die Aufrechterhaltung eines gesunden Gewichts spielen ebenfalls eine Rolle.
Ob tierisches oder pflanzliches Eiweiß „gesünder“ ist, hängt vom Kontext ab – also deiner gesamten Ernährung, ihrem Gesundheitszustand und den persönlichen Zielen (z. B. Muskelaufbau, Abnehmen, Krankheitsprävention). Hier ein objektiver Vergleich:
1. Biologische Wertigkeit & Aminosäureprofil
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Tierisches Eiweiß (z. B. aus Eiern, Fleisch, Milch, Fisch):
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Enthält alle essenziellen Aminosäuren in optimalem Verhältnis.
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Höhere biologische Wertigkeit – d. h., der Körper kann es effizienter zum Muskel- und Zellaufbau nutzen.
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Besonders Ei, Molke (Whey), Fleisch und Fisch sind da sehr hochwertig.
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Pflanzliches Eiweiß (z. B. aus Hülsenfrüchten, Getreide, Nüssen):
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Hat oft ein unausgewogenes Aminosäureprofil, z. B. zu wenig Lysin (Getreide) oder Methionin (Hülsenfrüchte).
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Kombiniert man verschiedene Pflanzenproteine, erreicht man ebenfalls eine hohe Wertigkeit (z. B. Bohnen + Reis).
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Fazit: Tierisches Protein ist „kompletter“, aber pflanzliches kann gleichwertig sein, wenn man gut kombiniert.
2. Gesundheitsaspekte
Pflanzliches Eiweiß:
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Senkt Risiko für:
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Herz-Kreislauf-Erkrankungen
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Typ-2-Diabetes
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Bestimmte Krebsarten (z. B. Darmkrebs)
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Kommt oft mit Ballaststoffen, Antioxidantien und gesunden Fetten.
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Geringer in gesättigten Fetten und Cholesterin.
Tierisches Eiweiß:
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Verarbeitetes Fleisch (Wurst, Speck, etc.) erhöht Risiko für:
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Herz-Kreislauf-Erkrankungen
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Krebs
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Rotes Fleisch in großen Mengen ist ebenfalls bedenklich.
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Unverarbeitetes, mageres Fleisch (z. B. Geflügel, Fisch) ist weniger problematisch.
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Milchprodukte: kontrovers diskutiert, aber meist neutral bis leicht positiv.
Fazit: Pflanzliches Protein ist im Allgemeinen mit besseren Gesundheitsergebnissen assoziiert.
3. Umwelt- und Ethikaspekte
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Pflanzliches Eiweiß hat:
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Geringeren CO₂-Fußabdruck
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Weniger Land- und Wasserverbrauch
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Keine Tierhaltung erforderlich
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Fazit: Aus Nachhaltigkeits- und ethischer Sicht klarer Vorteil für pflanzliches Eiweiß.
Gesunde Praxis
Die gesündeste Strategie ist oft:
Pflanzliches Eiweiß als Basis, ergänzt durch kleine Mengen hochwertiger tierischer Produkte (z. B. Fisch, Joghurt, Eier), wenn gewünscht.
Das entspricht den Empfehlungen der meisten Ernährungsgesellschaften (z. B. DGE, WHO). Weitere Informationen finden Sie auch in meinem Buch:
Aderhold L. Klartext Gesundheit! Ernährung – Bewegung – Entspannung – Denken. Die besten Strategien für mehr Gesundheit, Energie und Wohlbefinden. Jena: Vopelius 2014.
Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Literatur:
Egert S et al. Protein intake and cardiovascular diseases: an umbrella review of systematic reviews for the evidence-based guideline on protein intake of German Nutrition Society. European Journal of Nutrition 2025; 64: article number 254
Lim MT et al. Animal Protein versus Plant Protein in Supporting Lean Mass and Muscle Strength: A Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. Nutrients 2021; 13 (2) 661. Doi: 10.3390/nu13020661.
Naghshi S et al. Dietary intake of total, animal, and plant proteins and risk of all cause, cadiovascular, and cancer mortality: systematic review and dose-response metaanalysis of prospective cohort studies. BMJ 2020; 370: m2412. Doi: 10.1136/bmj.m2412.
Papanikolaou Y et al. Animal and plant protein usual intakes are not adversely associated with all-cause, cardiovascular disease–, or cancer-related mortality risk: an NHANES III analysis. Applied Physiology, Nutrition ans Metabolism 2025; 50: 1 DOI: 1139/apnm-2023-0594.
Reid-McCann RJ et al. Effect of Plant Versus Animal Proteinon Muscle Mass, Strength, Physical Performance, and Sarkopenia: A Systematic Review and Meta-analysis of Randomized Controlled Trials. Nutr Rev 2025; 83 (7): e1581-e1603. Doi: 10.1093/nutrit/nuae200.
Song M et al. Association of Animal and Plant Protein Intake With All-Cause and Cause-Specific Mortality. JAMA Intern Med 2016; 176 (10): 1453-63.
Nahrungsergänzung für Ausdauersportler – Teil 3 – Forschungsergebnisse – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
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