Der Breal-Cup - Foto: Hans Giessen
16. September 2024: Genau vor einem Jahr endete die Olympismus-Ausstellung des Louvre in Paris. Prof. Hans Giessen
Im vergangenen Pariser „Olympia-Jahr“ fand im größten Museum der Welt, dem Louvre, eine Ausstellung statt, die auch ein neues Licht auf den Marathonlauf und seinen „Erfinder“ warf.
Vor genau einem Jahr ging die Ausstellung zu Ende.
Fast zehn Millionen besuchen jedes Jahr den Louvre. Ein Teil von ihnen kommt nur wegen Leonardo da Vincis „Mona Lisa“, aber viele sehen sich auch die Sonderausstellungen an. Die Olympia-Ausstellung im Richelieu-Flügel war ebenfalls ein Publikumsmagnet. Sie hat zum ersten Mal ein neues Licht auf die Etablierung der Olympischen Spiele in den neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts geworfen.
Natürlich war allen, die bereits selbst Projekte organisiert hatten, schon immer – wenngleich oft unbewusst – klar, dass Coubertin die Olympischen Spiele unmöglich ganz alleine etabliert haben konnte. Die Ausstellung im Louvre schmälert Coubertins Verdienste nicht, verdeutlicht aber auch das Umfeld, das ihm bei der Realisierung seiner Idee half, etwa mit dem Griechen Dimitrios Vikelas oder der Schweizer Emile Gilliéron. Einer der wichtigsten Mitstreiter Coubertins war Michel Bréal, ein Deutscher, der aber in Paris als Hochschullehrer wirkte. Bréal hatte die Idee, aus Anlass der ersten Spiele einen Lauf von Marathon nach Athen zu organisieren.
Dass Michel Bréal der Erfinder des Marathonlaufs war, ist schon lange bekannt. Es ist die einzige Sportart, die eigens für Olympia erfunden und entwickelt wurde.

Das „Journal of Olympic History“ – Foto: Hans Giessen
Aber Bréal hatte weitere Ideen. Er hielt die erste Rede auf dem ersten Olympischen Kongress 1894 in der Sorbonne, der Universität von Paris, wo er direkt zur Rechten Coubertins saß. Dabei propagierte er das Olympische Motto „citius – altius – fortius“ – auch das geht also auf ihn zurück.
Wieso saß er direkt am Kopfende zur Rechten Coubertins, wieso hielt er die erste Rede? In der Tat war Bréal einer der prominentesten Wissenschaftler seiner Zeit, damals deutlich berühmter als Pierre de Coubertin selbst, der bis dahin nur als Präsident eines französischen Leichtathletikverbands in Erscheinung getreten war. Bréal dagegen war bereits berühmt wie heute allenfalls der Entdecker eines Pharaonengrabs oder der Autor einer „kurzen Geschichte der Zeit“.
Zu Ruhm gelangte er durch die Dokumentation und Übersetzung der Eugubinischen Tafeln. Das waren Bronzetafeln aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert mit einem Text in etruskischer Schrift, der sich als Beschreibung eines altumbrischen Jupiterkults entpuppte – alleine diese Kombination ist faszinierend und spannend. Heute sind die Eugubinischen Tafeln nur noch Fachleuten bekannt – damals aber hat Bréal ein immenses Aufsehen erregt. Er erhielt wegen dieses Werks beispielsweise die Ehrendoktorwürde der Universität Zürich im Rahmen eines besonderen Festakts, aus Anlass des 50. Gründungsjubiläums der Universität. Auch in Italien selbst war man begeistert. Die Universität Bologna verlieh ihm aus ähnlichen Anlass einen Ehrendoktortitel, zu ihrem 800jährigen Gründungsjubiläum – die Universität von Bologna gilt als die älteste Universität der Welt. Ansonsten wurde nur der erste italienische Literaturnobelpreisträger Giosuè Carducci aus diesem Anlass ähnlich prominent geehrt. Dann wurde Bréal in die Akademie von Turin berufen. Aber es gab nicht nur Aufsehen in der akademischen Welt, sondern weit darüber hinaus. Am eindrucksvollsten ist vielleicht die Tatsache, dass Leo Tolstoj 3000 Kilometer entfernt in Moskau gerade an seinem Roman „Anna Karenina“ schrieb, als Bréals Buch erschien – und eine Hauptfigur, Alexej Karenin, in Bréals Buch lesen lässt, sogar ohne zu erläutern, worum es sich bei dieser Lektüre handelte. Offenbar war dies damals nicht nötig, so bekannt war Bréal

Der Ballon über dem Louvre – Foto: Hans Giessen
Coubertin hat also gerne auf die Hilfe Bréals zurückgegriffen, als er die Idee der Olympischen Spiele umsetzen wollte. Heute ist natürlich der Marathonlauf die bekannteste Idee, die auf Bréal zurückgeht. Übrigens hat Bréal damals auch einen kleinen Pokal für den Sieger des ersten Olympischen Marathonlaufs gestiftet, der 2012 bei Christie’s in London versteigert wurde und der heute rund 600.000 Euro Wert ist – auch er wurde im Louvre gezeigt.

Michel Bréal
Dass die Gesamtbedeutung dieses Gelehrten bei der Etablierung der Olympischen Spiele nun in einem klareren Licht erscheint, ist der Ausstellung im Louvre zu verdanken. Auch die Geschichte der ,Erfindung’ des Marathonlaufs als Sportart wird noch klarer.
Auch wenn die Ausstellung nun selbst Geschichte ist, können ihre faszinierenden Ergebnisse doch nachgelesen werden, in einem Begleitbuch, das der Louvre eigens veröffentlicht hat. Das „Journal of Olympic History“ schrieb in seiner Rezension, es sei ein gewichtiges Werk, in jedem Wortsinn!
Farnoux, Alexandre ; Jeammet, Violaine ; Mitsopoulou, Christina (Éds.) (2024), L’Olympisme, une invention moderne, un héritage antique. Paris : Editions du Louvre, Hazan. 26 – 33. ISBN 978-2754113830
Prof. Hans Giessen
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