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03
08
2025

Dr. Dr. Lutz Aderhold - Foto: privat

Zehn Jahre Präventionsgesetz – Ein Grund zum Feiern? Dr. Dr. med. Lutz Aderhold – Keineswegs, es besteht erheblicher Verbesserungs bedarf!

By GRR 0

Das am 25. Juli 2015 in Kraft getretene Präventionsgesetz (Offiziell: „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention“) soll die Grundlagen für Prävention und Gesundheitsförderung in jedem Lebensalter und in allen Lebensbereichen schaffen.

Was soll das Präventionsgesetz bewirken?

  1. Gesundheitsförderung stärken

    • Menschen sollen frühzeitig zu gesundem Verhalten motiviert werden (z. B. Bewegung, Ernährung, Stressbewältigung).

    • Fokus auf Lebenswelten wie Kitas, Schulen, Betriebe, Pflegeeinrichtungen.

  2. Krankheiten vermeiden, bevor sie entstehen

    • Ziel ist es, chronische Erkrankungen (z. B. Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen) durch Aufklärung und gesundheitsfördernde Maßnahmen zu reduzieren.

    • Vorsorgeuntersuchungen sollen weiterentwickelt und das Impfwesen gestärkt werden.

  3. Gesundheitliche Chancengleichheit fördern

    • Besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen sollen besser erreicht werden (z. B. Menschen mit geringem Einkommen, Bildungsferne).

  4. Zusammenarbeit verschiedener Akteure verbessern

    • Krankenkassen, Pflegekassen, Kommunen, Schulen, Arbeitgeber, etc. sollen enger zusammenarbeiten.

    • Es wurden gemeinsame nationale Präventionsziele eingeführt.

  5. Mehr Investitionen in Prävention

    • Gesetzlich Krankenversicherte haben Anspruch auf Präventionsleistungen.

    • Krankenkassen müssen einen festen Betrag pro Versicherten in Prävention investieren.

  6. Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) ausbauen

    • Unternehmen werden unterstützt, um die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu fördern.

  7. Qualität und Wirksamkeit messen

    • Maßnahmen zur Prävention sollen wissenschaftlich evaluiert werden.

Im Jahr 2015 wurde vom Gesetzgeber die Nationale Präventionskonferenz (NPK) ins Leben gerufen. Sie soll eine nationale Präventionsstrategie entwickeln und fortschreiben. Träger sind die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung sowie die soziale Pflegeversicherung. 2017 ist auch der PKV-Verband als Mitglied der NPK beigetreten. Außerdem ist nun das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) in der Nachfolge der BZgA begründet worden.

Faktencheck

Die durchschnittliche Lebenserwartung betrug in Deutschland 2024 für Frauen 83,5 Jahre und für Männer 78,9 Jahre. Damit erreichen beide Geschlechter wieder das Vor-Corona-Niveau von 2019. Deutschland gehörte 2023 aber in der EU zu den Schlusslichtern bei der Lebenserwartung (Durchschnitt in der EU 81,5 Jahre). Die Höchste Lebenserwartung hatte 2023 Spanien mit 84 Jahren (Frauen 86,7 Jahre, Männer 81,2 Jahre). Deutschland erreichte 2023 durchschnittlich 81,2 Jahre (Frauen 83 Jahre, Männer 78,3 Jahre). Auch bei den gesunden Lebensjahren (Gesundheitserwartung) im Alter von 65 bleibt Deutschland mit 8,4 Jahren hinter dem EU-Durchschnitt zurück. Spitzenreiter ist Schweden mit 13,9 Jahren, Schlusslicht Rumänien mit 3,9 Jahren (Zahlen von 2022). Dies liegt nicht an der Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems, sondern in erster Linie an mangelnder Prävention.

Internationale Vergleiche weisen auf einen Aufholbedarf bei der Prävention und der Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen hin. Ähnliches gilt auch für die Bereiche Tabak- und Alkoholprävention sowie gesunde Ernährung. Auch die Krankheitslast, die auf unzureichende körperliche Aktivität zurückzuführen ist, treibt die Kosten für Gesundheitssystem und Gesellschaft in die Höhe. Für einen gesunden Lebensstil scheinen vor allem wichtig zu sein: nicht rauchen, regelmäßige körperliche Aktivität, ausreichender nächtlicher Schlaf und gesunde Ernährung.

Nur 17 Prozent der Deutschen erfüllen die Kriterien für ein gesundes Leben. Falsche Ernährung und Bewegungsmangel kommen unserer Gesellschaft teuer zu stehen. 70 Prozent der Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden durch ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, Rauchen und Alkoholkonsum verursacht.

Nur 11 Prozent der Mädchen und 21 Prozent der Jungen bewegen sich ausreichend. Wir entwickeln uns zu einer Sitzgesellschaft („Sitzen ist das neue Rauchen“). Die sportlichen Fähigkeiten von Kindern in Bezug auf Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination nehmen immer mehr ab. Der Schulsport wird vernachlässigt, wenn er überhaupt stattfindet. Ohne das Angebot der Sportvereine wäre der Bewegungsmangel noch dramatischer. Die WHO empfiehlt für 5-17-Jährige täglich eine körperliche Aktivität von mindestens einer Stunde. Norwegen ist hier ein Vorbild, die tägliche Sportstunde ist dort Standard.

Die Quote der Kinder, die nicht schwimmen können, hat sich von zehn Prozent im Zeitraum zwischen 2010 und 2017 bis 2022 verdoppelt. Das liegt auch daran, dass in den letzten 20 Jahren ca. 1.800 Hallen- und Freibäder (ca. 20%) geschlossen wurden. 26 Prozent der 5-17-Jährigen sind übergewichtig und 9 Prozent davon sind adipös. Immer mehr Kinder und Jugendliche sind übergewichtig. Diese Zahlen zeigen, dass es am Gesundheitsverhalten der Kinder und Jugendlichen und dem Vorbildverhalten der Eltern mangelt.

Notwendige Maßnahmen

Wir brauchen mehr Prävention und Aufklärung! Die Möglichkeiten, welche die Gesundheitsförderung hat, sind lange nicht ausgeschöpft. Auch um unser Gesundheitssystem bezahlbar zu halten, ist neben dem epigenetischen Quartett der Lebensstilfaktoren (Ernährung, Bewegung, Entspannung und Denken) eine nachgewiesen wirksame Medizin ein wichtiger Faktor.

Um häufige oder behandlungsaufwändige Erkrankungen zu verhindern, ist eine sehr viel umfassendere Einbeziehung der Ärzteschaft nötig, denn Ärztinnen und Ärzte haben eine Schlüsselfunktion dabei, Menschen gesund zu machen und zu erhalten. Nach einer aktuellen Befragung der „Stiftung Gesundheit“ halten 48,8 Prozent der Ärzte den Stand der Prävention in Deutschland für schlecht. Es fehlt eine konsequente Umsetzung des Präventionsgedankens.

Vor allem in Schulen und in den vorschulischen Einrichtungen bestehen große Chancen, die Gesundheitskompetenz bei Kindern und Jugendlichen zu stärken. Wir müssen bei den Kindern und Jugendlichen anfangen, wenn Prävention lebenslang funktionieren soll. Im Gesundheits- und Bildungssystem (Schule!) brauchen wir mehr Aufklärung, insbesondere zu gesunder Ernährung und Bewegung durch körperliche Aktivität und Sport.

Die somatische und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen muss durch Stärkung der Gesundheitskompetenz gefördert werden. Das Gesundheitsverhalten, das in der Jugend erworben wird, beeinflusst das ganze Leben. Jeder kann durch Änderung des Lebensstils, dabei ohne zwanghafte Disziplin und Selbstoptimierung, sondern mit einem Gleichgewicht zwischen Lebensfreude, Fitness und angemessenem Verhalten, mehr Gesundheit, Energie und Wohlbefinden erlangen.

Bei der Nahrungsmittelherstellung muss eine Reduktion von Zucker, Salz und Fett in Fertigprodukten vorgenommen werden. Bei einigen Produkten hat sich der Zuckergehalt aufgrund der freiwilligen Selbstverpflichtung der Industrie bereits reduziert. Das reicht aber nicht! Es sollte eine Zuckersteuer eingeführt werden, in anderen Ländern (Großbritannien) hat dies positive Gesundheitseffekte gezeigt. Die WHO drängt auf eine Gesundheitssteuer für Tabak, Alkohol und gesüßte Getränke. Auch durch Werbeverbote, etwa bei Alkohol oder zuckerhaltigen Produkten, die sich an Kinder richten, kann viel bewirkt werden.

Die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) mahnte im Juni eine Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung an. Diese müssten als „zentrale Säulen des Gesundheitssystems“ ausgebaut werden. Der Bundesgesetzgeber kann gemeinsam mit den Trägern der Nationalen Präventionskonferenz (NPK) Rahmenbedingungen schaffen, von denen die landes- und kommunalpolitischen Akteure profitieren.

Das politische Vorhaben, das Gesetz weiterzuentwickeln, muss zu einer flächendeckenden wirksamen „Präventionsstrategie“ werden, die den bestehenden Herausforderungen Rechnung trägt und zu messbaren positive Public-Health-Effekten führt. Es bedarf einer schonungslosen Bilanzierung und eines Neustarts. Eine großangelegte Gesamtevaluation des Präventionsgesetzes steht noch aus, die Evidenzlage ist fragmentiert. Dabei müssen die verschiedenen auf allen Ebenen der Gesellschaft vorhandenen Präventionsansätze funktional integriert werden Wir brauchen einen präventionspolitischen Aufbruch, auch um einen Beitrag zur Finanzierbarkeit des Versorgungssystems zu leisten.

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

In diesem Zusammenhang sei auch auf den früheren Beitrag verwiesen:

Gesundheitsziele in Deutschland:

https://news.germanroadraces.de/gesundheitsziele-in-deutschland-dr-dr-med-lutz-aderhold/

Literatur:

Aderhold L. Klartext Gesundheit! Ernährung – Bewegung – Entspannung – Denken. Die besten Strategien für mehr Gesundheit, Energie und Wohlbefinden. Jena: Vopelius Verlag, 2024.

Kniearthrose: Leitlinie betont Eigen verantwortung und Bewegung – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

Dehnen – neue wissenschaftlich fundierte Empfehlungen – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

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author: GRR