Dr. Dr. Lutz Aderhold - Foto: privat
Gesundheitsziele in Deutschland – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Gesundheitsziele sind ein ergänzendes Steuerungsinstrument im Gesundheitswesen zur Verbesserung der Gesundheit Einzelner oder bestimmter Gruppen und der Stärkung von gesundheitsfördernden Strukturen. Die Gesundheitsziele sind breit angelegt und umfassen präventive, kurative, rehabilitative, pflegerische und Public-Health-Aspekte.
Definition und Bedeutung
Gesundheitsziele dienen der Priorisierung von Gesundheitsproblemen und -risiken sowie gesundheitsbezogenen Belangen der Bürgerinnen und Bürger. Auf der Grundlage wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse werden für ausgewählte Zielbereiche Empfehlungen formuliert und Maßnahmenkataloge erstellt.
Die nachhaltige Entwicklung und Umsetzung von Gesundheitszielen sind oftmals als langfristiger Prozess angelegt. Gesundheitsziele sollen
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durch die Priorisierung den politischen Diskurs über die Weiterentwicklung von Gesundheitsförderung, Prävention, Kuration und Rehabilitation vorantreiben,
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die für Gesundheit zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel problemangemessen lenken und
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neue Impulse für das Gesundheitsmanagement und die Leistungserbringung vor Ort setzen.
Um die Fortschritte bei der Erreichung eines Gesundheitsziels zu bewerten, müssen Gesundheitsindikatoren definiert werden. Die Indikatoren können sich auf alle Ebenen der Zieldefinition beziehen.
Entwicklung der Gesundheitsziele
Die Ursprünge der Gesundheitszielprogramme reichen rund 50 Jahre zurück. In Deutschland wurden ab Mitte der 1980er Jahre Versuche unternommen, auf Bundesebene die Basis für die Definition von Gesundheitszielen zu legen. Im Jahr 2000 initiierte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zusammen mit den Bundesländern die Festlegung und Entwicklung von nationalen Gesundheitszielen und ihre Umsetzung im deutschen Versorgungsalltag. Seit 2007 ist gesundheitsziele.de ein langfristig angelegter Kooperationsverbund, der sich aus Mitteln der Beteiligten finanziert. Der Verbund gesundheitsziele.de bringt über 140 gesundheitspolitische Akteurinnen und Akteure zusammen aus Bund, Ländern, Kommunen, Bundesbehörden, Selbstverwaltungsorganisationen, Fachverbänden, Patienten- und Selbsthilfeorganisationen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Industrie und Wissenschaft. In einem Forum wurden inzwischen zehn Nationale Gesundheitsziele entwickelt, teilweise evaluiert und bereits überarbeitet. Die Nationalen Gesundheitsziele adressieren Krankheiten, Risikofaktoren, Lebensphasen und Kompetenzen:
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Diabetes mellitus Typ 2: Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln (2003)
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Brustkrebs: Mortalität vermindern, Lebensqualität erhöhen (2003; Teilaktualisierung 2011 und 2014)
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Tabakkonsum reduzieren (2003, Aktualisierung 2015)
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Gesund aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung, Ernährung (2003; Aktualisierung 2010)
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Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patient(inn)ensouveränität stärken (2003; Aktualisierung 2011)
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Depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln (2006)
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Gesund älter werden (2012)
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Alkoholkonsum reduzieren (2015)
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Gesundheit rund um die Geburt (2017)
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Patientensicherheit (2022)
Aufgrund ihrer gesundheitspolitischen Bedeutung wurden die Gesundheitsziele 1.-8. des Kooperationsverbundes (gesundheitsziele.de) in das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz) aufgenommen.
Aktuell stehen Bewegungsförderung und Reduzierung von Einsamkeit als neue Themen auf der Agenda. Ob sie aber in Gesundheitszielen münden werden oder in anderweitigen Maßnahmen, ist derzeit offen. Dass „Bewegungsförderung“ bisher nicht als Gesundheitsziel in Deutschland konzipiert wurde, ist schwerlich nachvollziehbar, zumal eine Arbeitsgruppe „überdeutlich“ die Notwendigkeit hervorgehoben hat (siehe hierzu mein Beitrag auf der Homepage: „Prävention und wirksame Medizin“).
Evaluation von Gesundheitszielen
Gesundheitsziele können nur wirksam sein, wenn ihre Umsetzung und Effekte überprüft werden. Evaluationskonzepte liegen bislang nur teilweise vor. Eine Herausforderung bleibt, den Erfolg von Gesundheitszielprogrammen zu bewerten. Die Programme wurden häufig nicht für die Umsetzung konzipiert, sondern eher um die öffentliche Debatte um eine gesundheitspolitische Strategie anzuregen. Außerdem wurde vielfach versäumt, die Öffentlichkeit und die unmittelbaren Leistungserbringer angemessen zu beteiligen. Auch waren an die Zielformulierung oft weder finanzielle Mittel noch Maßnahmen oder Koordinierungsmechanismen gebunden. „Modelle guter Praxis“ im engeren Sinne gibt es für Gesundheitsziele nicht.
Politische Bedeutung von Gesundheitszielen
Gesundheitsziele können von großer politischer und auch praktischer Bedeutung für die Prävention und Gesundheitsförderung sein. Sie bilden eine Ergänzung zur vorwiegend kurativen Ausrichtung der gesundheitlichen Versorgung.
Dass es bei der Umsetzung der Ziele bei allen Mitwirkenden keine Verbindlichkeit gibt, muss negativ bewertet werden. Zukünftig gilt es, auf den bisher gewonnenen Erkenntnissen aufzubauen und den Prozess der Evaluation und qualitätsgesicherten Umsetzung von Gesundheitszielen weiter voranzubringen. Ein Schritt in diese Richtung ist in Deutschland der nach dem Präventionsgesetz alle vier Jahre zu veröffentlichende Präventionsbericht, der die Dokumentation, die Erfolgskontrolle und die Evaluation der Nationalen Präventionsstrategie im Zeitverlauf zum Ziel hat. Erstmalig wurde der Präventionsbericht am 25. Juli 2019 vorgelegt. Der zweite Präventionsbericht erschien am 29. Juni 2023.
Die bestehenden Strukturen sollen nun überprüft werden, um zu klären, ob es insgesamt eine Neuaufstellung im Bereich „Gesundheitsziele“ braucht.
Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Literatur:
Aderhold L. Klartext Gesundheit! Ernährung – Bewegung – Entspannung – Denken. Die besten Strategien für mehr Gesundheit, Energie und Wohlbefinden. Jena: Vopelius Verlag, 2024.
Aderhold L. Prävention und wirksame Medizin. www.germanroadraces.de
Bundesministerium für Gesundheit (BMG): www.bundesgesundheitsministerium.de
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): www.bzga.de
Deutsches Ärzteblatt: Bewegungsmangel und Einsamkeit mögliche Themen für Gesundheitsziele (Tagesaktuelle Nachrichten 20.12.2024).
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