Michael Reinsch von der FAZ - Foto: Horst Milde
Sportreform vor dem Scheitern – „Das ist ein Vertrauensbruch“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Christoph Niessen, Vorstandsvorsitzender des LSB Nordrhein-Westfalen, kritisiert im Interview das Verhalten der Regierung im Reformprozess und fordert ein Ende der „Sprachlosigkeit“ auf beiden Seiten.
Herr Niessen, Sie und die 16 Landessportbünde werfen der Bundesregierung vor, sie verspiele das Vertrauen des Sports. Wie ist das möglich, da Sie und das Innenministerium seit fast zwei Jahren in fast einem Dutzend Arbeitsgruppen zusammensitzen?
Wir möchten den Spitzensport reformieren. Wir möchten Steuerung und Finanzierung aus einer Hand haben, möchten entbürokratisieren. Wir wollen weiter spitzensportliche Erfolge. Aber wir erleben eine gewisse Sprachlosigkeit zwischen unserem Dachverband, dem DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund/d. Red.) und der Bundesregierung. Es wird immer gesagt, dass hinter den Kulissen geredet werde. Dann dürfte es aber nicht zu solchen Überraschungen kommen wie dieser völlig unabgestimmten Veröffentlichung eines Gesetzentwurfs. Wir wollen ja ein Sportfördergesetz.
Wir wollen die Agentur. Dazu war viel verabredet; auch, dass man über den Entwurf spricht. Aber das passierte nicht. Dies ist ein Vertrauensbruch. Und symptomatisch für ein Grundmisstrauen der Bundespolitik gegenüber dem Sport. Möglicherweise rührt das aus der Vergangenheit. Aber wenn man anderthalb Jahre zusammengearbeitet und gemeinsame Ziele hat, müsste es doch möglich sein, das Ergebnis gemeinsam ins Ziel zu bringen.
Sie beklagen mangelnde Planungssicherheit. Ist dies die Übersetzung der Forderung nach einem gesetzlich festgeschriebenen Spitzensportbudget?
Genau das brauchen wir. Olympischer Spitzensport lässt sich nicht mit Jährlichkeit erzielen, sondern hat lange Planungshorizonte. Die müssen finanziell abgesichert sein. Mit überjährigen Budgets zu arbeiten wäre möglich. Ich kann nicht erkennen, was dagegen spricht.
Überjährigkeit ist in dem Entwurf vorgesehen. Eine Fördersumme fehlt.
Wir vermissen ein klares Bekenntnis dazu, dass die Spitzensportförderung tatsächlich stattfindet. Der Landessportbund Niedersachsen hat, zum Beispiel, einen gesetzlichen Anspruch auf eine bestimmte Summe Sportförderung. Ähnliche Klarheit vermissen wir in diesem Gesetzentwurf.
Die Fachverbände kritisieren, dass die Agentur private Mittel einwerben soll. Dies leiste dem Einstieg in den Ausstieg staatlicher Sportförderung Vorschub. Wie konkret ist diese Gefahr?
Ich teile die Verwunderung der Verbände. Wenn neben der Stiftung Deutsche Sporthilfe, neben den Sportorganisationen, neben lokalen, regionalen und Landesstiftungen auch noch eine Einrichtung zur Organisation der staatlichen Sportförderung um private Mittel konkurriert, wird der Sponsoring-Kuchen kleiner. Für mich wäre dies die Abkehr von der staatlichen Aufgabe, Spitzensport zu fördern.
Wie groß muss die Summe sein, die Sie erwarten? 300 Millionen Euro wie derzeit?
Es muss nicht zwingend eine Summe in das Gesetz. Es mangelt an einem klaren Bekenntnis, dass die Spitzensportförderung im bisherigen Umfang stattfindet. Der Entwurf lässt alles offen.
Sie beklagen auch die mangelnde Entscheidungsfreiheit der geplanten Agentur. Was fehlt Ihnen?
Für uns war es einer der Kernpunkte, dass in dieser Agentur ein hauptberuflicher Vorstand sportfachliche Entscheidungen trifft. Diese sollten rein erfolgsorientiert bewertet werden. Der Vorstand entscheidet, eine Sportart zu fördern, wenn er Potential darin erkennt. Er entscheidet, eine Sportart nicht zu fördern, einen Standort anzuerkennen oder nicht anzuerkennen. Solange aber ein mit Mandatsträgern besetzter Stiftungsrat dies alles rückgängig machen kann, haben wir dieselbe Situation wie heute, dass nämlich sportfachliche Entscheidungen zu häufig politisch abgeändert werden.
Ist die Entscheidung zwischen unbedingtem Medaillenerfolg, der die Konzentration auf Sportarten wie Kanu und Bahnradsport, auf Bob und Rodel notwendig machen würde, und dem Erhalt einer Vielfalt des Sports nicht eine so grundsätzliche, dass sie weit über die Kompetenz des Geschäftsführers einer Spitzensportagentur hinausgeht?
Es wäre Aufgabe des DOSB, diese Frage endlich proaktiv zu klären und sich nicht von Interessengruppen treiben zu lassen. Es ist eine einfache, binäre Entscheidung. Wenn ich bei gleichbleibenden Mitteln weiterhin international spitzensportlichen Erfolg haben will, muss ich konzentrieren. Das ist logisch. Dann können einige Sportarten nicht mehr gefördert werden. Oder man will die Breite erhalten. Das wird dazu führen, dass die internationalen Erfolge des deutschen Sports weniger werden. Wenn ich aufhöre, Bester sein zu wollen, davon bin ich überzeugt, habe ich im Spitzensport schon verloren.
Sprechen Sie ausschließlich von Olympischen Spielen?
Auch Europameisterschaften sind internationale Wettkämpfe. Ich bin ein Gegner der Verabsolutierung von Olympiamedaillen als Maßstab.
Wie steht es nun um die Reform?
Wir wollten die Verkrustung aufbrechen, dieses Bermudadreieck der Spitzensportverwaltung von Bundesverwaltungsamt, Bundesinnenministerium und DOSB. Wir wollen schnellere, einfachere sportfachliche Entscheidungen, bei denen sich zwei Partner gegenüberstehen: die Agentur und der Sport. Ohne politische Einflüsse, ohne dieses groteske Überregulieren in kleinteiligen Anträgen und Nachweisverfahren. Stattdessen soll es ein Viereck geben, die Agentur kommt dazu, ohne dass irgendetwas schneller und einfacher wird. Die Athleten, die Trainer sind nur noch frustriert. Seit zehn Jahren wird über diese Reform geredet, und nichts wird besser. Planungssicherheit soll dem Zweck dienen, dass Menschen an der Basis sich auf ihren Job konzentrieren können und nicht jedes Jahr zu Weihnachten fragen: Werde ich nächstes Jahr noch beschäftigt sein?
Bei jeder anderen gesellschaftlichen Gruppe würde man von einem Bruch sprechen. Sie aber finden niemand anderen als den Staat, der den Spitzensport mit 300 Millionen Euro jährlich fördert. Wie ist die Situation zu retten?
Ein endgültiger Bruch ist das nicht. Aber man kann sagen, dass viel Porzellan zerschlagen wurde. Mir bleibt unerklärlich, wie man auf Bundesseite so agieren kann. Vielleicht tut es gut, wenn man sich eine Pause von ein paar Wochen gönnt, damit die Gemüter abkühlen können. In ein paar Wochen sollte man sich selbstverständlich wieder zusammensetzen, am besten nicht in großer, ergebnisoffener Runde, sondern mit wenigen Personen von DOSB, vom BMI, seitens der Länder.
Man sollte sich einschließen und daran erinnern, dass man gemeinsame Ziele hatte. Wenn das immer noch so ist, sollte man zusammenkommen können. Ich halte das nach wie vor für möglich, aber dafür müssen DOSB und Innenministerium nicht über einander reden, sondern miteinander arbeiten.
Das Gespräch führte Michael Reinsch. Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 18.3.2024