Blog
03
09
2017

Steve Prefontaine ©Wikipedia/Wikimedia - Athlepedia, The Athletics Wiki | FANDOM ...

Sie nannten ihn «Pre» – Die «Prefontaine Classic» in Eugene (Oregon), jedes Jahr eines der besten Leichtathletik-Meetings der Welt, ist nach ihm benannt. Von Jürg Wirz

By GRR 0

Es war im Winter 1974. Steve Prefontaine, der auch ein wenig für die junge Firma Nike im Shop arbeitete und mit Nikes erstem Angestellten Geoff Hollister Schulen, Athleten und Laufveranstaltungen besuchte, hatte monatelang mit seinem finnischen Freund Jaakko Tuominen korrespondiert und telefoniert.

Er wollte, dass Tuominen eine Athletengruppe nach Eugene schickte und freute sich bereits auf die Duelle mit Lasse Viren, 1972 in München Doppel-Olympiasieger und einer der ganz Grossen im Geschäft. Ende April traf die Gruppe am Mahlon Sweet-Flughafen in Eugene ein – aber ohne Viren. Er hatte Achillesehnenbeschwerden.

Pre war am Boden zerstört. Gegen Viren zu laufen, war der Hauptgrund für die Einladung gewesen. Er hatte sich den Veranstaltern gegenüber verpflichtet, aber jetzt fehlte das Highlight.

Die Tournee fand trotzdem statt. Zuerst in Madras, dann in Pres Heimatstadt Coos Bay. Pre organisierte für die Finnen einen Anglerausflug, er nahm die Gruppe mit zu sich nach Hause und führte, nur zwei Häuserblocks entfernt, das Abendmeeting in seinem Heimstadion durch. Trotz all dem war Pre bereit und lief einen amerikanischen Rekord über 2000 Meter, eine Distanz, die selten gelaufen wird, die aber Rundenzeiten von 60 Sekunden erfordert, um das Ziel in 5:01,4 Minuten zu erreichen. Sechs Tage später hatten Pre und die Finnen ihren nächsten Wettkampfeinsatz im Swangard-Stadion in Burnaby, einem Vorort von Vancouver in British Columbia. Die Schlussveranstaltung fand im Hayward Field-Stadion in Eugene statt.

Pre war nervös, was den Ticketverkauf betraf, weil Lasse Viren nicht dabei war. Weil er unbedingt ein weiteres Duell haben wollte, rief er Frank Shorter an, den Marathon-Olympiasieger von 1972, und fragte ihn, ob er von Boulder herunterkommen könne für einen Start über 5000 Meter.

Shorter war einverstanden und Pre konnte mindestens kurz aufatmen. Die Journalisten des «Register-Guards» rührten die Werbetrommel und sorgten für gefüllte Tribünen. Der Abend des 29. Mai wurde abgeschlossen mit dem Rennen, in dem Shorter seinen Teil zu einer guten Pace leistete. Ziemlich spät spurtete Pre in einem schwarzen Singlet aus Norditalien, das er in Mailand getauscht hatte, an die Spitze. Die letzte Runde legte er in 60 Sekunden zurück und verpasste seine Bestzeit nur um zwei Sekunden. Es war das einzige Mal, dass er in einem schwarzen Trägershirt lief. Im Ziel zog er es aus und begab sich auf eine Ehrenrunde. Er winkte der Menge zum Abschied.

Er schien doch unzerstörbar zu sein

Der Abschiedsabend im Hause von Hollister war ein voller Erfolg. Die Athleten waren da, Pres Eltern Ray und Elfriede Prefontaine, Freunde und Vereinsmitglieder. Zu später Stunde holten die Finnen eine Flasche Wodka hervor. Geoff Hollister verliess die Runde, nachdem sich auch Ray und Elfriede Prefontaine auf die Heimfahrt gemacht hatten, und er vereinbarte mit Pre, sich am Morgen im Laden zu treffen, um nochmals über die Tour zu sprechen und den Transport der Finnen zum Flughafen zu koordinieren.

Am nächsten Morgen, es war vor 6 Uhr, klingelte das Telefon im Haus von Hollister. Es war Nike-Firmengründer Phil Knight. «Ein Freund hat mich soeben angerufen, der im Radio hörte, dass Pre letzte Nacht bei einem Autounfall ums Leben kam.»

Hollister glaubte nicht richtig zu hören und rief sofort Bill Bowerman an, der andere Nike-Mann der ersten Stunde und Coach von Pre, um mehr herauszufinden. Dieser bestätigte, Einzelheiten wisse er aber auch nicht. Pre tot? Der Gedanke daran war so unwirklich. Von allen war er doch derjenige, der unbesiegbar und unzerstörbar schien.

In der örtlichen Zeitung «Register-Guard» dominierte ein Porträt von Pre die Frontseite. Die dunklen Augen schauten in die Ferne. Der Unfall hatte auf dem Skyline-Boulevard stattgefunden, eine der bevorzugten Laufstrecken in Eugene. Pre war mit seinem MG Coupé in eine Felswand gekracht, der Wagen überschlug sich und begrub ihn unter sich.

Hollister ging zur Unfallstelle. Auf der Strasse befand sich immer noch Flüssigkeit, die aus dem Auto ausgelaufen war. Man sah keine Bremsspuren. Dann ging Hollister zum Areal, wo die Schrottautos hingebracht wurden. Der linke Kotflügel war bis zum Rad eingedrückt. Wie nur konnte das passieren? Hatte er doch mehr getrunken, vielleicht nach dem Ende der Abschiedsparty an einem anderen Ort? Vielleicht mit einer seiner Freundinnen? Ein Anwohner gab gegenüber der Polizei zu Protokoll, dass er Pre unter dem Auto auf dem Rücken liegend vorfand, immer noch am Leben, aber eingeklemmt unter dem Wrack. Als der Rettungsdienst eintraf, war er tot. Der Polizeirapport sprach von einem Blutalkohol von 0,16, aber dieser Wert wurde von anderen bestritten.

An der Stelle, wo Pre sein Leben verlor, am Felsen auf dem Skyline-Boulevard, befindet sich eine Gedenktafel mit der Inschriftt:

«Für deine Hingabe und Treue zu deinen Prinzipien und Überzeugungen, für deine Liebe, deine Wärme und Freundschaft, von deiner Familie und deinen Freunden wirst du sehnlichst vermisst, aber du wirst nie vergessen werden.»

Zum Zeitpunkt seines Todes hielt Pre alle US-Rekorde von 2000 bis 10 000 Meter.

In seiner Heimatstadt Coos Bay, wo er damals an der Marshfield High School sein Talent entdeckte, findet jedes Jahr im September zu seinen Ehren ein 10-Kilometer-Strassenlauf statt, der Prefontaine Memorial Run. Das Ziel befindet sich auf der 400-Meter-Bahn der Schule, wo Steve die ersten Rekorde brach.

Er wollte immer mehr als den Sieg

Pre hatte keine Ahnung, dass er nur 24 Jahre alt werden würde, aber er wusste das Leben voll auszukosten, ohne Kompromisse. Er trainierte oft dreimal am Tag, er lief schnell, er redete schnell und er war auch schnell, wenn es um die Mädchen ging. Steve Prefontaine gewann 119 von 151 Bahnrennen, er gewann sechs NCAA-Titel und verbesserte in den wenigen Jahren, die ihm als Läufer beschieden waren, 15 US-Rekorde.

An den Olympischen Spielen 1972 in München wurde er im 5000-Meter-Endlauf Vierter. Für ihn eine riesige Enttäuschung. Pres Taktik war klar: Hinter Dave Bedford laufen, von dem jeder ein schnelles Tempo erwartete, und dabei möglichst wenig Energie verschwenden. Doch Bedford ging nicht an die Spitze, sondern Läufer, die keine Chance auf den Sieg hatten. Pre wurde gestossen und bekam gegnerische Ellbogen in die Rippen. Das Rennen war taktisch, eine Schlacht mit verschiedenen Strategien, in der Pre die Unerfahreheit zum Verhängnis wurde. Er liess sich immer wieder auf Bahn zwei oder drei abdrängen. Vier Runden vor Schluss übernahm er die Führung, aber da hatte er schon zu viel Kraft verbraucht. Er war ja erst 21.

Die Welt kann nur spekulieren, was gewesen wäre, wenn.

An seinem Begräbnis sagte Bill Bowerman: «In meinem Leben ging ich immer davon aus, dass es beim Laufen darum geht, das Rennen zu gewinnen. Ich habe das all meinen Athleten beizubringen versucht, auch Pre. Aber Pre lehrte mich, dass das falsch ist. Er wusste, dass man ein Rennen auch mit einem mittelmässigen Einsatz gewinnen und mit einer grossartigen Leistung verlieren kann. Ein Rennen zu gewinnen, bedeutete nicht unbedingt, dass man alles gegeben hatte. Pre gab immer alles vom Start bis ins Ziel. Er setzte für sich einen höheren Massstab als den Sieg. Natürlich wollte er immer gewinnen, aber wie er gewann, war für ihn wichtiger.»

Ray und Elfriede Prefontaine liessen ihren Sohn in seinen Teamanzug von München einkleiden, seinen Waffel-Trainingsschuhen und dem schwarzen Norditalien-Singlet, das er nur einmal, bei seinem letzten Sieg, getragen hatte.

Zitate von Prefontaine

«Talent ist ein Mythos. Es hatte in unserem Team ein Dutzend Jungs mit mehr Talent im kleinen Finger. Der Unterschied: Ich kann mehr Schmerzen aushalten.»

***

«Ich sage nicht, dass ich unschlagbar bin. Es kann einer kommen und vor mir ins Ziel laufen, aber er wird dafür bluten müssen.»

***

«In jedem Rennen kommst du zum Punkt, wo du dich fragst, ob sich all die Mühen wirklich lohnen und du denkst, du könntest doch auch langsamer laufen. Das ist der Moment, wo ich an die Zuschauer denke. Sie treiben mich an.»

*** 

«Wenn du weniger gibst als dein Bestes, verschwendest du dein Talent.»

***

«Es gibt Leute, die mit Wörtern, mit Musik oder mit Farbe und Pinsel kreativ sind. Ich möchte, dass die Menschen innehalten und sagen: ‘Ich habe nie jemanden so laufen sehen.' Es ist meine Art, Kunst zu schaffen.»

Pres Fact Sheet

Geboren: 25. Januar 1951 in Coos Bay (Oregon). – Gestorben: 30. Mai 1975 in Eugene (Oregon)

Grösste Erfolge:

1968 (17): US-High School-Rekord 2 Meilen. – 1969 (18): Erster internationaler Wettkampf (USA-UdSSR, 5000 m). – 1970 (19): Erste «Traummeile» (3:57,4). – 1971 (20): College-Rekorde über 2 und 6 Meilen, US-Rekorde über 3000m (7:45,8) und 5000 m (13:30,4 und 13:29,6). – 1972 (21): 1. mit US-Rekord an den Olympia-Trials über 5000 m (13:22,8), 1. mit US-Rekord an den Bislett-Games in Oslo über 3000 m (7:44,2), 4. an den OS in München über 5000 m (13:28,4). – 1973 (22): US-Rekorde über 5000 m (13:22,4) und 10 000 m (27:43,6). – 1974 (23): US-Rekorde über 3000 m (7:42,6) und 5000 m (13:21,9) sowie über 2 Meilen und 3 Meilen. – 1975 (24): US-Rekord über 2000 m (5:01,4), letztes Rennen einen Tag vor seinem Tod: 1. über 5000 m in Eugene (25. Sieg in Serie über eine Distanz von 1 Meile und mehr). – NCAA-Meisterschaften: 1. Cross-Country 1970, 1971 und 1973, 1. 3 Meilen 1970, 1971 und 1973, 1. 5000 m 1972.

Bestzeiten:

1500 m: 3:38,1 (73), 1 Meile: 3:54,6 (73), 2000 m: 5:01,4 (75), 3000 m: 7:42,6 (74), 5000 m: 13:21,9 (74), 10 000 m: 27:43,6 (74) 

Jürg Wirz in LAUFZEIT&CONDITION 9/2017

Weitere Beiträge auf GRR von Jürg Wirz:

«Burro Racing» mit 70-jähriger Tradition – Paarlauf mit Esel – Von Jürg Wirz

Neuer Dopingfall in Kenya – Marathon-Olympiasiegerin Sumgong positiv auf EPO getestet – JÜRG WIRZ, ELDORET in der NZZ

Die schnellste Familie der Welt – Die Dibaba-Schwestern – Äthiopiens Golden Girls – Jürg Wirz

Sie träumen von einem besseren Leben – Die jungen Läuferinnen und Läufer trainieren in Kenia nicht für Ruhm oder Medaillen, sondern für ein besseres Leben und eine bessere Zukunft. Jürg Wirz in LAUFZEIT&CONDITION

Marathonland USA – Jürg Wirz

Sind Frauenläufe noch zeitgemäss? Starker Anstieg des "schwachen" Geschlechts – Jürg Wirz

Von guten Managern und anderen – Ein Blick hinter die Kulissen der Leistungs-Laufszene – Von Jürg Wirz

Die 10 verrücktesten Marathonläufe – Auf dem Everest, in Nordkorea oder gegen ein Pferd – Von Jürg Wirz

Der einsame Speerwerfer im Land der Läufer – Jürg Wirz berichtet

42. BERLIN-MARATHON 2015: Eliud Kipchoge denkt an den Weltrekord – und an den Olympiasieg

Im Schaufenster – Die USA, das Mutterland des Marathons – Jürg Wirz berichtet

Die ältesten Laufveranstaltungen – In Verona wurde nackt um ein Stück Stoff gekämpft – Jürg Wirz in LAUFZEIT & CONDITION

Fragliche Arztbesuche – Der Dopingfall Rita Jeptoo – Jürg Wirz, Eldoret in der Neuen Zürcher Zeitung

Das Oregon-Projekt von Alberto Salazar – Mit Hightech an die Spitze – Von Jürg Wirz

Nur zum Laufen geboren? Sind die Gene dafür verantwortlich, dass die besten Sprinter aus Westafrika, Jamaika und den USA kommen, die besten Mittel- und Langstreckenläufer aber aus Ostafrika? Was sagt die Wissenschaft dazu? Jürg Wirz

Der lange Weg zum grossen Geld – Jürg Wirz in CONDITION

Wie viel LAUFEN ist sinnvoll? – Jürg Wirz in CONDITION

 

  

author: GRR

Comment
0

Leave a reply