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03
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2017

Eliud Kipchoge lief im „Retorten-Rennen“ von Monza 2:00:25 und wollte sich nun beim Berlin Marathon in einem Regel konformen Rennen den Weltrekord holen. ©Helmut Winter

Wie der 44. BMW Berlin-Marathon am 22. September 2017 nach Eichwalde kam …

By GRR 0
Zu einem Kuriosum der (Lauf-)Geschichte gehört sicherlich ein Ereignis, das am Freitagnachmittag (22. September 2017) zwei Tage vor dem 44. BMW Berlin- Marathon über die Bühne ging und in der Gemeinde Eichwalde südöstlich von Berlin für einiges Aufsehen sorgte.

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Ohne vorherige Ankündigung tauchten dort plötzlich drei kenianische Läufer in der Waldstraße an der Stadtgrenze zu Berlin auf, um dort auf einem mit genau vermessenen Zwischenmarken vorbereiteten Kurs in dichter Formation 1000 m-Läufe in hohem Tempo zu absolvieren.

Ziel und Zweck dieses „Trainings“ war der Test für die Anfangsphase des Berlin-Marathon, in der möglichst schnell das angemessene Tempo gefunden werden sollte. Diesbezüglich war noch das Rennen aus dem Vorjahr in Erinnerung, bei dem die Tempomacher mit den Topläufern in viel zu schnellen 2:41 Minuten den ersten Kilometer absolvierten, was fast eine Viertelminute unter dem Tempo für einen Weltrekord lag.

Begonnen hatte die Geschichte bereits im Frühjahr auf der Autorennbahn im italienischen Monza, wo der kenianische Ausnahmeläufer Eliud Kipchoge (KEN) im Rahmen des „Breaking 2“-Projekts des NIKE-Konzerns nur knapp an der historischen Schallmauer im Marathon von 2 Stunden scheiterte.

Die wegen diverser nicht Regel konformer Maßnahmen in der Laufszene heftig diskutierte Leistung des Kenianers hinterließ bei Kipchoge die positive Einschätzung einer sehr gleichmäßigen von außen vorgegebenen Tempogestaltung. Alle 200 m wurden in Monza die Splits ermittelt und damit das Führungsfahrzeug auf Sollkurs eines 2-Stunden-Marathon gehalten.

Somit war es nur konsequent, dass Kipchoge sich ein ähnliches Prozedere auch bei einem Stadtmarathon vorstellen konnte. Schon bald nach seinem Umstieg von der Bahn auf die Straße sah er eine Präferenz für den Berlin-Marathon, wenn es darum ging, sehr schnell zu laufen. Konkret bedeutete dies für dieses Jahr eine (deutliche) Steigerung des aktuellen Weltrekords von 2:02:57 durch Dennis Kimetto auf dem schnellen Berliner Kurs. Deshalb kontaktierte sein Management (Global Sports) den Berliner Race Director Mark Milde in dieser Angelegenheit, um zumindest in der Anfangsphase alle 200 m, später dann alle 500 m Informationen über das aktuelle Tempo zu erhalten.

Anfang September, einige Wochen vor dem eigentlichen Ereignis, wurde nach umfangreichen Vorbereitungen die Machbarkeit dieses Konzepts bei einem regulären Straßenlauf im Rahmen des „Sport Scheck Halbmarathon“ im Berliner Stadtteil Steglitz erfolgreich getestet und kam dann auch in leicht modifizierter Form beim Berlin-Marathon am 24. September zum Einsatz.

Auf die Tempomacher der Spitzengruppe – despektierlich auch als „Hasen“ bezeichnet – kam vor allem auf den ersten Kilometern die hohe Verantwortung zu, mit Hilfe der auf einem LED-Display angezeigten Informationen die Weltklasseläufer Eliud Kipchoge, Wilson Kipsang (beide KEN) sowie Kenenisa Bekele (ETH) möglichst genau auf Weltrekordtempo zu bringen und dabei das Rennen nicht zu schnell anzulaufen.

Deshalb schien es angeraten, die Tempomacher mit dem System und den Abläufen vor dem eigentlichen Ereignis in gesonderten Testläufen vertraut zu machen. Und damit kam nun die Waldstraße in Eichwalde ins Spiel. Sicherlich wäre es günstiger gewesen, die Dinge am eigentlichen Schauplatz des Geschehens zu vertiefen, aber zum geplanten Zeitpunkt der Tests war an eine Nutzung der Strecke im Berliner Tiergarten vor und vor allem hinter dem Großen Stern nicht zu denken.

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Die Hauptakteure bei Testlauf in Eichwalde: In der Mitte die Tempomacher der ersten Gruppe, jeweils außen Mitglieder des Fahrdienstes vom Berlin Marathon, ferner Sean Hartnett (2.v.l.), Gerard van de Veen (3.v.r.) und Helmut Winter (2.v.r.). (c) B. Winter

Kurz nach 14 Uhr machten sich zwei Fahrzeuge des Fahrdienstes vom Berlin-Marathon auf den Weg vom Athleten-Hotel ins 25 km entfernte Eichwalde, wobei neben den drei Tempomachern für die erste Gruppe (mit Eliud Kipchoge) und dem Organisator der Aktion in dessen Heimatort, Helmut Winter, u.a. der bekannte Athletenmanager von Volare Sports, Gerard van de Veen, und der „Marathon-Professor“ aus den USA, Sean Hartnett, mit von der Partie waren.

Als Tempomacher für das Unternehmen Weltrekord hatte Renndirektor Mark Milde mit Sammy Kitwara, Geoffrey Ronoh sowie Gideon Kipketer (alle KEN) Athleten verpflichten können, die selbst zur erweiterten Weltlasse im Straßenlauf zu zählen sind. So lief Kitwara im Jahr 2014 beim Chicago Marathon hochklassige 2:04:28, Ronoh war beim Berlin Marathon 2016 bis fast 30 km die treibende Kraft und lief in 2:09:29 das Rennen zu Ende. Und Gideon Kipketer wurde im Februar in 2:05:51 beim Tokyo Marathon Zweiter.

Schon kurz nach 15 Uhr wurden alle 200 m entlang der 1000 m langen Strecke auf der Waldstraße in Eichwalde Markierungshütchen gesetzt, die wenigen Querstraßen mit Vorfahrt durch Ordner besetzt und die Tempomacher mit den Abläufen noch einmal vertraut gemacht. Wie in der Startphase beim Berlin-Marathon am folgenden Sonntag wurde für die Tempomacher alle 200 m aus der laufenden Zeit der entsprechende Schnitt für einen vollen Kilometer auf einer an der Rückseite des Führungsfahrzeugs montierten LED-Textanzeige angezeigt. In Bezug auf die (Tempo-)Wünsche von Kipchoge waren Kilometerabschnitte im Bereich von 2:52 bis 2:54 anzustreben.

b-mar-2017-eichwalde-second-runDie Tempomacher in Aktion auf der Waldstraße in Eichwalde: Sammy Kitwara, Gideon Kipketer sowie Geoffrey Ronoh (v.l.). Dahinter auf den Fahrrädern Gerard van de Veen (r.) und Sean Hartnett. (c) B. Winter

Dass es auch für Läufer vom Kaliber Kitwaras und Co. nicht selbstverständlich ist, aus dem Stand ein angemessenes Tempogefühl zu entwickeln, zeigte sich im ersten Testlauf, bei dem sich Kitwara und Ronoh schnell absetzten und bei 400 m auf Kurs zu einer Kilometerzeit um 2:30 Minuten lagen – dies war viel zu schnell.

Kipketer war dieses Tempo erst gar nicht mitgegangen und lief den beiden Führenden weit hinterher, die zwar das Tempo reduzierten, aber immer noch in viel zu flotten 2:45 Minuten die Teststrecke bewältigten.

b-mar-2017-eichwalde-pacers-on-courseDie Tempomacher für den Berlin-Marathon in voller Aktion beim Testlauf in Eichwalde. (c) B. Winter

Nach einer kurzen Diskussion der Defizite und einem lockeren Lauf zurück zum Startpunkt wurde ein zweiter Versuch gestartet. Da sich die Startlinie unmittelbar hinter einem beschrankten Bahnübergang befand, wurde wieder bis zum Schließen der Schranken gewartet, wonach die Strecke automatisch von hinten für gut 2 Minuten gesperrt war.

Der zweite Test verlief zwar auch mit einem zu hohen Tempo, insgesamt war die Fahrt aber ausgesprochen konstant. Gerard van de Veen gab das Startsignal und kontrollierte zusammen mit Sean Hartnett den Ablauf hinter Führungsfahrzeug und den Läufern auf dem Fahrrad. Bei 200 m lag man auf Kurs zu 2:49 Minuten, bei 400 war dies unverändert, bei 600 m lief man auf 2:50 Minuten und bei 800 m und 1 km lag man wieder auf 2:49 Minuten.

b-mar-2017-eichwalde-pacers-mit-gerardTempomacher und Mitglieder von Volare Sports nach dem Testlauf in Eichwalde. (c) B. Winter

Nach diesem Resultat wurde darauf vertraut, dass die Tempomacher am Sonntag noch etwas moderater das Rennen zusammen mit der Weltklasse anlaufen würden, und die Testläufe beendet.

Zu einer abschließenden Diskussion fand sich das gesamte Team in „Marios Eiscafé“ unweit der Teststrecke ein, wobei die kenianischen Freunde vor allem durch die Unmengen von Zuckerrationen in ihren Milchkaffees für einige Irritation bei den weiteren Anwesenden sorgten. Da das „Ereignis“ relativ kurzfristig geplant wurde, gab es keine Ankündigung in der Öffentlichkeit, so dass im Café sowie aber auch schon zuvor an der Strecke die Verwunderung über die Geschehnisse bei den zufälligen Zeugen als auch den Anwohnern am Streckenrand nicht unerheblich war.

b-mar-2017-eichwalde-eisdieleBeim Milchkaffee in Marios Eiscafé: Gideon Kipketer, Sammy Kitwara, Geoffrey Ronoh und Sean Hartnett. (c) B. Winter

Als es nach den perfekten Bedingungen bei den Testläufen bei der Nachsitzung kühler wurde, wurden sogleich Decken vom Besitzerehepaar des Cafés für die leicht frierenden Hauptakteure gebracht, die diese gerne nutzten. Dass dann am Sonntag das Wetter ungleich ungünstiger und wesentliche Teile des Marathon bei Regen und Kälte zu absolvieren waren, konnte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht erahnen.

Vor allem den äußeren Bedingungen war es schließlich geschuldet, dass der Angriff auf den Weltrekord im Marathon der Männer nicht vom Erfolg gekrönt wurde. Die Siegerzeit von Eliud Kipchoge war aber angesichts dieser Umstände herausragend.

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Die auf einen vollen Kilometer projizierte Zeit auf den ersten 2 km für die Spitzengruppe der Männer beim Berlin Marathon 2017. (c) H. Winter

Auch unsere Tempomacher machten am Sonntag ihre Arbeit bestens. Nach einem etwas zu schnellen Beginn mit einem Tempo auf 2:46 Minuten nahm man an der Spitze die Fahrt schnell heraus und agierte bald darauf im Bereich von 2:52 Minuten.

Im Vorjahr hatte man den ersten Kilometer noch in viel zu schnellen 2:41 Minuten absolviert. Damit hatte sich das Konzept der aufwendigen Tempokontrolle in der frühen Phase sicher bewährt, zu dem der Vermessungsexperte Siegfried Menzel mit den exakt vermessenen und gut sichtbar markierten Zwischenmarken einen wichtigen Beitrag lieferte.

Dies galt im übrigen auch für den weiteren Verlauf der Strecke, bei der bis 30 km alle 500 m Abschnitte ausgewiesen wurden. Erwähnt werden sollte sicher auch, dass die Elite-Koordinatorin des Boston Marathon, Mary Kay, bei 200 m mit einem Megaphon die Zwischenzeiten auch für die nachfolgenden Läufer zurief.

Mit der gesamten Aktion hat der Berlin-Marathon seine Vorreiterrolle in der globalen Laufszene erneut demonstrieren können.

Schon in naher Zukunft dürfte sich zeigen, ob diese Prozedur Schule macht. Eliud Kipchoge wurde jedenfalls zitiert, im nächsten Jahr wieder nach Berlin zu kommen, um bei hoffentlich besseren Bedingungen auf Rekordjagd zu gehen.

Der 45. Berlin Marathon wird bereits am 16. September 2018 gestartet.

Helmut Winter

Bewegte Bilder von der Aktion gibt es unter dem Link: youtube

Test für die Anfangsphase des 44. Berlin-Marathon in Eichwalde

Tests on September 22, 2017 with pacers for Berlin Marathon on September 24, 2017 on Waldstrasse at Eichwalde (Germany).

The three pacers in the test were: Sammy Kitwara, Gideon Kipketer and Geoffrey Ronoh The assistance of Gerard van de Veen and Sean Hartnett during the event is gratefully acknowledged.

Segments: 200 m: pace for 1 km 2:49 min, 400 m: 2:49, 600 m: 2:50, 800 m: 2:49, 1000 m: 2:50 (finish)

Watch GPS-clock at right bottom

Source: youtube

author: GRR

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