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06
04
2023

Michael Reinsch - Foto: Horst Milde

Kritik an IOC und DOSB: Rumeiern in der Russlandfrage – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Bei der Debatte um den Sportbericht der Bundesregierung wird nicht nur parteipolitisch abgerechnet. Innenministerin Faeser kritisiert das IOC, die Opposition auch den DOSB.

Mit seiner Kritik an der Regierung hielt sich der Oppositionspolitiker Stephan Mayer zunächst zurück, als das Parlament am Donnerstag den 15. Sportbericht der Bundesregierung diskutierte. Von „goldenen Jahren der Sportpolitik Deutschlands“ sprach er und der Versuchung, zu loben, dass in den Jahren 2018 bis 2021 so viel Geld wie noch nie in den Spitzensport geflossen sei, der Anstieg der Sportförderung so steil wie noch nie gewesen sei, so viele neue Projekte wie noch nie begonnen worden seien.

Auf die Pointe seines Scherzes verzichtete der CSU-Abgeordnete. Er war im Berichtszeitraum Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium und damit für die Sportpolitik unter Innenminister Horst Seehofer von der CSU verantwortlich gewesen.

Für ihre in der Debatte wiederholte Kritik an der Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), russische Sportlerinnen und Sportler wieder zum internationalen Sportbetrieb zuzulassen, stimmte Mayer Innenministerin Nancy Faeser im Namen seiner Fraktion ausdrücklich zu. Eine ähnlich klare Haltung hätte er sich vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) gewünscht, sagte Mayer und warf ihm vor, rumgeeiert und erst im letzten Moment die Kurve gekriegt zu haben.

Was er zu kritisieren hatte, darüber hinaus, dass die Ministerin bei der Fußballweltmeisterschaft in Qatar die dem Team verbotene One-Love-Armbinde getragen habe, findet sich im Sportbericht, wenn überhaupt, im Futur. Mayer nahm deshalb den Koalitionsvertrag zum Maßstab und rechnete, wie das seine Aufgabe als erster Redner der Opposition war, mit der Sportpolitik der Ampelkoalition ab. Der Bewegungsgipfel: „ein Schlag ins Wasser“. Die 25 Millionen Euro für den „Restart“ der 87.000 Sportvereine nach der Pandemie: „stümperhaft“ und noch dazu allein vom Freistaat Bayern mit 40 Millionen Euro übertroffen. Das lobenswerte Zentrum für Safe Sport: die Fortsetzung des von der großen Koalition mitsamt Mayer begonnenen Projekts. Die unabhängige Agentur zur Finanzierung des Spitzensports: von den Ländern abgelehnt und nicht im Interesse des Gesetzgebers. Das Sportfördergesetz: strangulierende Fußfessel.

Es fehlen Hallen und Plätze, Betreuerinnen und Betreuer

Nancy Faeser hatte als erste Rednerin dieser ersten, eine Stunde langen Parlamentsdebatte aus Anlass des Sportberichts versprochen: „Die Ampel bringt Deutschland in Bewegung.“ Sport sei ein wichtiger Bestandteil ganzheitlicher Bildung. Ihr Befund, dass Vereine Mitglieder und Einnahmen verlören, dass es an Trainern und Übungsleitern mangele, stimmt allerdings nur zur Hälfte. Dieser Tage melden die Landessportbünde nicht nur erfreuliche Wachstumszahlen, sondern sogar einen solchen Ansturm, dass viele Vereine Wartelisten führen, weil Hallen und Plätze, Betreuerinnen und Betreuer fehlen. Berlin nahm am Donnerstag, am Tag der Parlamentsdebatte, die Spitzenposition ein: mit einem Plus von 6,6 Prozent auf knapp 730.000 Mitglieder, das liegt deutlich über dem Vor-Pandemieniveau. Frauen von 19 bis 26 Jahren sorgen mit 16,3 Prozent und Frauen von 27 bis 40 Jahren mit 9,7 Prozent für das größte Wachstum. Fast genau ein Drittel der Mitgliedschaften in den Sportvereinen Berlins ist nun weiblich. Den stärksten Zulauf haben in der Hauptstadt die beiden Fußball-Bundesligavereine Union (plus 21 Prozent auf 49.000) und Hertha (13/45.000).

Bau und Sanierung von Sportstätten nehmen unter den 226 Seiten Sportbericht lediglich zwei Seiten ein, beklagte André Hahn von der Linken. Für Sportstätten im Eigentum der Vereine – eine Entlastung der öffentlichen Hand – hat die Ampel noch keine Förderung geschaffen. Mehrere Rednerinnen und Redner zeigten sich immerhin für ehrenamtliches Engagement im Sport erkenntlich. „Danke, Leute. Ohne euch würde alles stillstehen“, rief die Grüne Tina Winklmann. „Ihr macht den Sport zu etwas ganz Besonderem“, lobte Philipp Hartewig (FDP).

Analyse des Scheiterns gefordert

Im Sportbericht fordert die Regierung, „mehr Kohärenz zwischen den Mitteln aus der öffentlichen Hand und den Potenzialen für Medaillen und Finalplatzierungen bei Olympischen und Paralympischen Spielen herzustellen“. Obwohl der Bund seine Fördermittel auf 373 Millionen Euro gesteigert habe (Stand 2022), sei bei den Olympischen Sommerspielen seit Barcelona 1992 mit 82 Medaillen ein konstanter Abwärtstrend zu verzeichnen (Tokio 2022: 37).

Die Olympischen Spiele bezeichnete die Regierung zwar als „großartige Idee“ und beruft sich darauf, vom Internationalen Olympischen Komitee zu einer Bewerbung aufgefordert worden zu sein. Sie fordert aber auch eine Analyse des Scheiterns von inzwischen sieben erfolglosen Anläufen – zuletzt mit der Vorstellung von Sommerspielen an Rhein und Ruhr, die DOSB und Bund als Privatinitiative behandelten.

Die Abteilung zur Olympiabewerbung des DOSB umfasst bald sechs Beschäftigte. Über den Ausgang des angestrebten Bürgerentscheids wird vermutlich im nächsten Sportbericht der Bundesregierung geurteilt werden.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 30. März 2023

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

author: GRR