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08
09
2021

Läuferlegenden: Kemper, Adams, Norpoth und Tümmler, 1968 = Die Weltrekordstaffel über 4-mal-880-Yards – 7:14,6 13 min im Juni 1968 in Fulda in der Besetzung Bodo Tümmler, Walter Adams, Harald Norpoth, Franz-Josef Kemper - Foto: privat

Jürgen Mallow: Anmerkungen zu Dr. Wolfgang Blödorn – „Eine Studie zur Nachwuchsförderung im DLV“ – Mit ERGÄNZUNG: Warum gab es damals so viele überragende Athleten?

By GRR 0

VORSICHT! Der nachstehende Beitrag enthält Formulierungen, die, auch wenn sie ironisch verstanden werden, durchaus ernst gemeint sind.

Wir beginnen mit einer Rückschau, der DLV vor 40 Jahren. Der DLV wurde damals als Deutscher Läufer-Verband bezeichnet. Es war die Zeit, in der Willi Wülbeck, Hans-Peter Ferner, Thomas Wessinghage, Paul-Heinz Wellmann, Patriz Ilg, Rainer Schwarz und viele Weitere das hohe Niveau bestimmten (wer kennt noch Karl Fleschen? Christoph Herle?)

Die Spitzenzeiten lagen bei 1:43,65min (Peter Braun lief immerhin 1:44,03min), 3:31,58min (im gleichen Rennen liefen Harald Hudak 3:31,96 und Willi Wülbeck 3:33,74min), 13:12,78min, 8:11,93min und 8:15,06min (zwei Läufer, beide 1983).

Zahlreiche Titel bei EM und WM wurden gewonnen. Die Athleten kamen vermutlich damals von einem anderen Stern, denn neben ihren großartigen Leistungen fanden sie noch Zeit für anspruchsvolle Studien.

Diese Athleten sind einer Generation von Trainern zuzuordnen, die nur zum geringen Teil (Paul Schmidt, Lothar Hirsch) hauptamtlich beim DLV angestellt waren. Es war die Zeit, als das Leben noch analog verlief, da hatten die Trainer offensichtlich noch Zeit, sich nicht nur um ihr Kerngeschäft zu kümmern, Medaillengewinner und stärkste Konkurrenz zu trainieren.

Man stelle sich das im jetzigen Jahrzehnt vor: alle diese Trainer, Schmidt, Hirsch, Letzerich, Mallow waren jedes Jahr bei den Deutschen Jugendmeisterschaften (und selbstverständlich auch beim Cross).

Die Nachwuchstrainer waren natürlich ebenfalls anwesend. Heute kann es schon vorkommen, dass ein DLV-Nachwuchstrainer seine Zeit nicht in diesen Niederungen verbringt, weil er mit seinen Besten ja ganz nach oben will.

Und weil das Ganze schon so unglaublich ist, im Grunde schon weit außerhalb der Vorstellungswelt unserer heutigen Trainer:

Diese nahmen sich auch noch die Zeit, im Frühjahr die besten Kader der Landesverbände bei einem Sichtungslehrgang persönlich zu beobachten, von Freitag bis Sonntag, im Beisein aller Heimtrainer, für die zugleich Weiterbildung angeboten wurde.

Ja, haben die nicht ihr Kerngeschäft vernachlässigt? Durften die besten Athleten auch mal drei Tage ohne Aufsicht trainieren?

Wenn man den Aufwand und Erfolg bewerten will, mit dem die heutige Leistungsförderung im Mittel- und Langstreckenlauf erfolgt, der müsste schon wenigstens drei Komplexe bewerten

  • den Prozess der Auswahl (mit oder ohne Norm
  • der Prozess der Förderung (wie viele, welche Maßnahmen wurden den jungen Kadern und ihren Heimtrainern angeboten?)
  • die inhaltliche Steuerung (zu frühe, zu hohe, zu einseitige Belastungen, um bei EM/WM U18 und U20 erfolgreich sein zu können. Dazu gab und gibt es zahlreiche Beiträge insbesondere von Emrich/Güllich, die alle belegen, dass die enge frühe Spezialisierung keine positiven Effekte zeitigt, sondern das Gegenteil.

Zu klären wäre auch, mit welcher personellen Kontinuität die Nachwuchskader geführt wurden. Insgesamt ein spannendes Feld.

Ich fürchte, PotAs wird uns keine Fortschritte bringen, aber viel Ressourcen verschlingen.

Mein einfacher Rat: probiert es doch einfach mal wieder analog!

Jürgen Mallow

Es war ja nicht anders zu erwarten: kaum stand der Artikel im Netz, schon kamen die ersten Nachfragen.

Warum gab es damals so viele überragende Athleten?

Der nachstehende Versuch einer Antwort ist übrigens ganz ohne Ironie.

Erstens

Die Athleten brachten in der Regel viel bessere Voraussetzungen mit, als sie, meist zwischen 16 und 17 Jahren, mit dem Laufen als Leistungssport begannen. Der Schulsport war oft auf einem guten Niveau, die späteren Läufer begannen im Turnen, im Handball, im Fußball, Christoph Herle sogar im hessischen D-H

Kader Ski alpin. Arne Güllich würde einen Beleg nach dem anderen für seine These gegen die frühe Spezialisierung finden.

Zweitens

Schon wieder der Verweis auf die analoge Welt. Es gab weder Twitter noch Instagram, niemand musste follower bedienen, der PC war noch lange nicht erfunden. Da war man froh, wenn im Trainingslager gruppendynamische Prozesse abliefen, wenn man nicht nur miteinander trainierte, sondern sich auch sonst in seinem Tun als Spitzensportler bestätigt fühlte. Jedenfalls gab es deutlich mehr Zeit zur Regeneration, zumindest viele nutzten sie.

Drittens

Nach der Schule wurde man nicht „Profiläufer“, sondern kümmerte sich parallel um die Zeit nach der sportlichen Karriere. Die Studiengänge waren vielfältig und anspruchsvoll, vom Lehrer für Sport und Werken über Architektur, Medizin, Wirtschaftswissenschaft. Auch jemand, der eine dreijährige Ausbildung zum Physiotherapeuten absolvierte (mit 40 Wochenstunden) erzielte „daneben“ einen deutschen Rekord.

Kurz gesagt, der Sport war sehr wichtig, aber er hatte nicht die ausschließliche beherrschende Position im Alltag.

Viertens

Ich weiß, es gibt auch erfolgreiche andere Wege, aber

Die Athleten trainierten deutlich geringere Umfänge als die heutigen. Sie bildeten ganzjährig unterschiedliche Qualitäten aus, die meisten starteten auch in der Halle, nahezu alle liefen viel und gern Crossläufe, auf der Bahn war ihr Streckenspektrum größer als das der heutigen Athleten.

Offensichtlich wurden dabei muskuläre Qualitäten entwickelt, so dass die Verletzungsraten sehr gering waren.

Fünftens

Irgendwann muss es ja auch ausgesprochen werden:

ES WURDE BESSER TRAINIERT.

Und damit kommen wir zur Nachwuchsförderung. Dieses Wissen, wie man Athleten über mehrere Jahre entwickelt, wie sie trainieren müssen, wurde an diejenigen, die den Ausleseprozess in den C-Kader erfolgreich absolvierten, unmittelbar weitergegeben, in zahlreichen Lehrgängen, in denen immer auch die Heimtrainer weitergebildet wurden.

Vielleicht sollte man die noch lebenden Zeitzeugen dazu befragen, wie Training ohne ständige KLD zum Erfolg führt., wie auf der Basis von Prinzipien erfolgreiche Individualisierung stattfand.

Wahrscheinlich würde es sich lohnen, einfach nur mal zuzuhören!

Jürgen Mallow

author: GRR