
Robin Schembera ©PSD Meeting Düsseldorf - Gehring
800-Meter-Läufer Schembera „Der Sinn des Laufens ist der Sieg“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Am Wochenende ist die deutsche Meisterschaft der Leichtathleten in Nürnberg. Sie gelten als Meisterschafts-Läufer. Warum eigentlich?
Bei Meetings läuft man praktisch gegen die Uhr und nicht wirklich gegen Konkurrenz. Da rennt ein Hase vorneweg, ein ziemlich guter Läufer hinterher, und danach reiht sich das Feld ein wie eine Perlenkette. Alle versuchen nur, nicht abzukacken. Das ist nichts für mich, ich bin kein Front-Läufer. Ich bin eher der Zweikämpfer. Solange jemand vor mir läuft, will ich den niedermachen. Die Uhrzeit ist mir egal. Deshalb gefallen mir Meisterschaftsrennen. Da wird ein bisschen gebummelt, alle warten auf die letzten 200, vielleicht 100 Meter, um zu spurten. Das ist spannend. Man muss wach sein. Der Sinn des Laufens ist für mich der Sieg über andere, nicht die Herstellung einer schnellen Zeit.
Aber in der Leichtathletik geht es um vergleichbare Daten, um Zeiten, Weiten, Höhen.
Ich finde das suspekt. Leistungssport hat nichts damit zu tun, wer absolut der Schnellste ist oder den weitesten Sprung macht. Meisterschaftsrennen, Duelle sind fast bis über die Ziellinie hinaus spannend. Bei der deutschen Hallen-Meisterschaft habe ich Sebastian Keiner um gerade mal vier Hundertstelsekunden niedergerungen. Da gehen die Zuschauer doch viel mehr ab, als wenn irgendwer ständig mit fünf Meter Vorsprung führt und am Ende mit 1:44 tief siegt.
Aber die Zeit definiert, wer internationale Spitze ist, nationale Klasse oder eben der Lokalmatador.
Wenn man einmal in der Diamond League drin ist, muss man nur mitschwimmen und kommt mit einer 1:45 ins Ziel. Das Problem ist: Um überhaupt dort reinzukommen, brauche ich eine 1:44. Also: keine Chance.
Woran krankt das System?
Es gibt zu wenig Rennen, weil es zu wenig Geld gibt, weil es zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit gibt. Unsere Sportart ist nicht mehr in den Köpfen des Publikums und damit auch nicht mehr in denen der Sponsoren. Und der Wahnsinn mit den Zeiten schlägt auch schon auf die kleinen Sportfeste durch. Okay, ich kriege mein Startgeld. Aber bei der Prämie, die obendrauf kommt, geht der Trend weg von der Plazierungs- hin zur Leistungsprämie. Der Veranstalter stellt einen Tempomacher. Wenn du die Vorgabe nicht erfüllst, bekommst du weniger Kohle oder gar keine.
Werden nicht auch die Qualifikationsnormen immer härter?
Für die Olympischen Spiele 2000 in Sydney, bei denen Nils Schumann gewann, war die Qualifikationszeit 1:46,00 Minuten. Wir werden nächstes Jahr eine halbe bis eine Sekunde schneller rennen müssen, um nach Rio zu dürfen.
Sie haben zum ersten Mal seit sechs Jahren Ihre Bestzeit verbessert, auf 1:45,48 Minuten in Hengelo. Was hat sich verändert?
Ich bin im Kopf absolut klar. Früher hatte ich Ängste. Wer jemals an so einer Linie stand, weiß, da ist irgendwas. Man hat Angst dort draußen. Vor sich selbst, davor, dass man verliert. Und davor, dass man Erwartungen nicht erfüllt. Irgendwann wird’s zu viel.
Hat Sie das nur im Wettkampf berührt?
Am Anfang war das nur auf der Laufbahn, nur gegenüber der Konkurrenz. Aber irgendwann wurde es existentiell. Mit Bayer Leverkusen im Rücken, meinem Verein, mit der Polizei Köln, meinem Arbeitgeber, hätte ich jemanden gehabt, der mich auffängt. Aber man fühlt sich schrecklich. Deshalb bin ich froh, dass es jetzt so läuft und ich sagen kann: Danke, dass ihr mich unterstützt habt.
Mit Ihnen sind immer große Erwartungen mitgelaufen, es hieß: Jetzt muss Schembera aber den Durchbruch schaffen, sonst wird das nichts mehr. Haben Sie das gespürt?
Das hat alles verschlimmert. Das ging so weit, dass ich die Sinnfrage gestellt habe. Warum stelle ich mich hierhin, warum laufe ich diese zwei Runden? Warum bin ich danach völlig kaputt, was reitet mich, mir das anzutun?
Sind Sie zum Psychologen gegangen?
Ich hatte zwei gute Sitzungen. Aber der Psychologe kann nur einen Samen ins Hirn pflanzen, zum Nachdenken anregen. Du selbst bist derjenige, der sagen muss: Okay, ich fange noch mal an, oder ich kann’s sein lassen.
Was haben Sie mitgenommen?
Man muss stolz auf sich sein. Dann ist es einerlei, ob man in 1:48 oder 1:44 ins Ziel kommt. Und wenn dann die Leute kommen, nachdem ich 1:45,48 gerannt bin, und sagen, ey, ich habe immer an dich geglaubt, dann weiß ich, dass das bei den meisten nicht stimmt. Und es ist mir völlig egal. Es geht darum, zu begreifen, dass das gut ist, was man macht. Dort bin ich angekommen. Ich habe die Qualifikation für die WM in Peking. Ich kann mir vor jedem Lauf sagen: Heute rockst du das Ding. Vielleicht ist ein Sieg drin, vielleicht ist die Zeit schlecht, aber ist doch egal. Ich will Spaß haben.
Sind 800-Meter-Lauf und Spaß nicht ein Widerspruch in sich? Ich denke da an Ihren Sieg bei der deutschen Meisterschaft in Ulm vor zwei Jahren.
Homiyu Tesfaye ist mit 23 Sekunden über 200 Meter angegangen, mit 49 über 400 Meter. Das war krank. 1:16 Minuten über 600 Meter, und dann sind wir 200 Meter lang gestorben. Es ging nur darum, wer den stärkeren Willen hat. Ich war die ganze Zeit im schwarzen Tunnel. Ich habe nur noch eine irre Lautstärke in Erinnerung, weil alle geschrien haben. Ich bin im Ziel auf alle viere gegangen, und dann lag ich da.
Wird, wenn man sich die Existenzfrage stellt, Doping eine Option?
Nein. Aber das Anti-Doping-System ist viel zu schlecht. Wir Deutsche gehen mit gutem Beispiel voran. Aber solange es nicht weltweit einheitlich ist, solange man nicht eine Blutprobe, ohne dass sie verdirbt, aus Afrika in ein akkreditiertes Labor fliegen kann und solange Korruption in solchen Ländern eine übergeordnete Rolle spielt, kann man das vergessen. Es gibt Länder, da schließen sich die Athleten in Militärkasernen ein, und die Tester kommen nicht rein. Vor zwei Jahren ist es in Iten in Kenia passiert, dass vorn am Camp Kontrolleure auftauchten, und hinten ist praktisch die ganze Mannschaft über den Zaun gesprungen und verschwunden. Dass so etwas möglich ist, ist eine Frechheit.
Schlägt Doping auf die Zeiten und die Rennen durch?
Als ich aus der Jugend kam, merkte ich, was die Jungs, die vorher auf meinem Niveau gewesen waren, innerhalb eines Jahres für Leistungssprünge machten. Da gab es welche, Europäer, die waren 1:45 hoch gelaufen. Im Spurt hatte ich sie im Griff. Binnen eines Jahres liefen sie zwei Sekunden schneller. Da weiß man: Junge, du hast nicht nur ein paar Tempoläufe mehr gemacht. Das hat mich sehr belastet. Heute ist es mir egal. Ich laufe, weil ich Bock drauf habe. Ich mache mir keine Gedanken darüber, dass dieser und jener dies oder das geschluckt haben könnte.
David Rudisha hat den Weltrekord auf 1:40,91 Minuten gedrückt. Ist er der Größte?
Er ist jedenfalls der Schnellste. Aber ich sehe das problematisch. Rudisha hat unsere Disziplin verändert. Es gibt keine taktischen Rennen mehr. Es wird nur noch auf Teufel komm raus Zeit geballert. Man muss immer schneller rennen, um überhaupt dabei zu sein. Dabei gibt es Athleten, die mit einer guten taktischen Leistung und gutem Spurtvermögen sehr erfolgreich sein können.
Wie haben Sie das Olympia-Finale gesehen, bei dem Rudisha den Weltrekord angekündigt hat und dann gelaufen ist?
Nach so einem Erfolg werden Endorphine ausgeschüttet, und man ist in Hochstimmung. Aber irgendwann muss der Moment kommen, an dem man einfach nicht mehr kann, wo es einem buchstäblich zum Kotzen ist. Dieser Moment kommt bei Rudisha nicht; nicht einmal, wenn er wie in London ohne Tempomacher Weltrekord gelaufen ist. Er freut sich und posiert für die Fotografen vor der Uhr und atmet fast schon wieder normal mit geschlossenem Mund. Da fange ich an zu zweifeln. Ich habe den Fernseher ausgemacht und bin mit meinen Freunden grillen gegangen. Das war für mich London 2012.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 24.07.2015
Hier die Online-Petition zum Unterstützen gegen die DLV-LAUFMAUT:
Online-Petition "Stoppt die DLV-Laufmaut"
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