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06
03
2012

Start in Otsu pünktlich um 12:30 Uhr. In der Mitte Henryk Szost (4). ©Helmut Winter

67. Lake Biwa Mainichi Marathon: Trotz strömenden Regens ein gutes Pflaster für Europäer und Bestzeiten am Fließband – Helmut Winter berichtet

By GRR 0

Otsu, die Stadt am größten japanischen Binnengewässer Lake Biwa gelegen, scheint in der Tat ein gutes Pflaster für Europäer zu sein. Bereits 2001 lief dort der Spanier Antonio Pena gute 2:07:34 und drei Jahre später sein Landsmann Jose Rios 2:07:42. 2012 setzte nun der Pole Henryk Szost etwas unerwartet diese Serie fort und lief ein grandioses Rennen mit neuem polnischen Rekord von 2:07:39.

Vermutlich verhinderten der strömende Dauerregen sowie Pfützen übersäte Straßen sogar eine Zeit unter 2:07, die bisher erst 4 Europäer erreichen konnten. Völlig unterkühlt und mit Schüttelfrost kam er zur Siegerehrung, die sich die Favoriten im Vorfeld des Laufs, insb. der Äthiopier Bekana Daba (PB 2:07:04) und der Kenianer Nicholas Manza (PB 2:06:34) ersparen konnten. Sie stiegen beide relativ spät im Rennen aus. Ironischerweise gewann den Lauf ein Debütant auf der Marathonstrecke, der in Japan „arbeitende" Kenianer Samuel Ndungu, mit exakt der Bestzeit des Topfavoriten, der vor zwei Jahren bei fast vergleichbaren Verhältnissen in Houston glänzte.

Am Tag vor dem Lauf waren noch beste Bedingungen, es erfolgte die Vorstellung der Eliteathleten. Die hatten zwar nicht viel zu sagen, verstanden auch nicht alle Fragen, in japanischer Höflichkeit gab man sich aber damit zufrieden.

Der „Biwako" hat in der Tat Tradition, am 20. 10. 1946 gab es mit 39 Startern die Premiere, schon bald ging man mit dem Lauf in die erste Märzwoche. Trotz der ereignisreichen Geschichte war das Golden Label der IAAF nie ganz zu verstehen, das Ereignis bleibt weitgehend ein japanisches Binnenereignis. Das ersieht man auch schon daran, dass sich das Medieninteresse ausschließlich auf Japan beschränkt, dies aber auf höchstem Niveau. Die hervorragende TV-Übertragung bei NHK hat sehr gute Quoten. Was das Leistungsniveau anbetrifft, konnte Wilson Kipsang im letzten Jahr vor seinem großen Lauf beim Frankfurt-Marathon den Kursrekord in Otsu auf durchaus auch international achtbare 2:06:13 schrauben.

Daran war dieses Jahr kaum zu denken, denn neben einer dünnen Besetzung von absoluten Topläufern spielte das Wetter nicht mit. Es regnete ununterbrochen, bei allerdings leistungsfördernden 7,7°C am Start und nicht zu starkem Wind. So konzentrierte sich das Interesse der Medien weitgehend auf die Olympiaqualifikation der Japaner, die auch die Tempovorgaben diktierte; der am Vortag avisierte 3 Minutenschnitt pro km wurde wegen der Bedingungen leicht nach oben korrigiert. Dies hatte Konsequenzen für die Startphase, mit 3:05 für den ersten km lag man etwas im Soll zurück, und es war vor allem der erfahrene Tempomacher Isaac Macharia, der das Feld wieder auf Kurs brachte.

An der 5 km Marke eine Szene, die man nicht alle Tage erlebt: Von knapp 300 gestarteten Teilnehmern dieses Elitelaufs passierten etwa 60 diese nach 15:08, eine fulminante Leistungsdichte für ein sub-2:08-Tempo. Und diese Zahl reduzierte sich kaum bei 10 km, die man in 30:13 zurücklegte. Schon hier überraschte es, dass da auch noch der Pole Szost und der Italiener Pertile mitten im Pulk steckten.

Das Tempo zog nun sogar noch an, mit 15:00 für die 5 km nach 15 km in 45:13. Gegen den Wind Richtung Norden zur Halbmarathonmarke dieser Pendelstrecke wurde man wieder etwas langsamer und erreichte nach 1:00:23 für 20 km die Halbdistanz in für die Bedingungen ausgezeichneten 1:03:40. Im letzten Jahr beim Streckenrekord war man dort nur 9 Sekunden schneller. Erstaunlich zu diesem Zeitpunkt, dass immer noch über 40 Läufer die Kopfgruppe bildeten. Unglaublich, wenn die alle dieses Tempo bis ins Ziel durchgehalten hätten …

Nach 25 km in 1:15:23, die letzten 5 km wieder in 15:00, verabschiedeten sich die Tempomacher, die im Gegensatz zur letzten Woche in Tokyo hervorragende Arbeit ablieferten. Erst jetzt begann das eigentlich Rennen. Topfavorit Deba wollte es Kipsang wie im letzten Jahr gleichtun und eine wesentlich schnellere Hälfte laufen. Schnell setzte er sich zunächst mit einem Antritt von 25 km nach 26 km in 2:51 ab, konnte aber keinen entscheidenden Vorsprung herauslaufen und wurde wieder eingeholt.

Das Rennen wurde dadurch insgesamt schneller, nach 14:51 erreichte eine siebenköpfige Gruppe in 1:30:14 die 30 km, neben Deba und Kebenai auch der Marokkaner Taghrafet, die Japaner Yamamoto, Deki und Horbata sowie vor allem auch immer noch Szost. Man war aktuell auf Kurs von 2:06:55.

Kurz danach fiel dann schon die Entscheidung um den Sieg. Der Debütant Ndungu, der erst vor wenigen Wochen den Marugame-Halbmarathon in 1:00:55 gewann, konnte sich entscheidend absetzten. Bei 35 km in 1:45:10 betrug sein Vorsprung auf die Verfolger Szost und Taghrafet schon 16 Sekunden und die projizierte Zeit im Ziel sogar 2:06:27. Danach mussten bis zur 40 km Marke so gut wie alle Teilnehmer der schnellen Pace in der ersten Hälfte Tribut zollen. Nur noch 6 Läufer schafften diesen Part in unter 16 Minuten, der führende Ndunga mit 15:20 war am schnellsten. Aber auch Szost schlug sich mit 15:27 achtbar. Der Kenianer Ernest Kebenei war lange vorne mit dabei, mit 16:32 fiel er hier weit zurück und landete am Ende mit 2:10:04 nur auf Platz 10; aber auch das war noch eine Bestmarke für ihn.

Im Schlussabschnitt, den Ndunga in 6:34 (3 Minuten/km-Schnitt) absolvierte, änderte sich auf den ersten drei Plätzen nichts mehr. Ndunga siegte in 2:07:04, Szost wurde Zweiter in 2:07:39 und verbesserte seine Bestzeit und auch den polnischen Rekord von Grzegorz Gajdus von 2:09:23 (Eindhoven 2003) deutlich. Dritter wurde der Marokkaner Taghrafet in 2:08:37. Um 16 Sekunden verfehlte der seine Bestzeit, während alle anderen der Top 10 Bestzeiten liefen.

Hinter den Erstplatzierten entwickelte sich ein spannender Kampf mit wechselnden Positionen um die Olympiatickets der Japaner, den erst auf der Schlussrunde im Stadion sehr überraschend Ryo Yamamoto in 2:08:44 vor Kentaro Nakamoto in 2:08:53 gewann. Zumindest Yamamoto kann sich jetzt Hoffnungen auf Olympia machen, die Freude über seine Leistung war jedenfalls sehr sichtbar. Dies wird umso verständlicher als er mit der Startnummer „120" nicht als Eliteläufer eingestuft war, was auf seinen Vorleistungen von 2:12:30 (Beijing 2009, PB), 2:22:32 (Tokyo 2010), 2:18:49 (Beijing 2011) beruhte. Ausgerechnet in dem Moment, als die Entscheidung fiel, war er topfit und verbesserte seine Bestmarke um fast vier Minuten.

Insgesamt liefen 5 Japaner unter 2:10, wobei aber insb. der hoch eingeschätzte Masato Imai, der in Fukuoka noch gegen Kawauchi um den dritten Platz kämpfte, mit 2:17:50 regelrecht einging. Somit dürfte für ihn – ähnlich wie für Kawauchi in Tokyo – der Zug nach London abgefahren zu sein.

Das angesichts des Wetters sehr gute Ergebnis an der Spitze wurde noch übertroffen von einer in der Tat fast einmaligen Leistungsbreite. Von den knapp 300 gestarteten Läufern blieben am Ende 15 unter 2:13, 49 unter 2:20, 98 unter 2:26 und 160 unter 2:30. Wie glänzend diese Zahlen sind, belegt ein Vergleich mit dem Berlin-Marathon 2011, wo 28 Läufer 2:20 unterboten, 51 2:26 und 68 2:30. Diese Zahlen sagen eigentlich alles.

Bleibt noch anzumerken, dass trotz des Dauerregens der Lake Biwa Marathon  auch in diesem Jahr den Tokyo-Marathon leistungsmäßig wieder übertrumpfte und von der Organisation japanisch gründlich über die Bühne gebracht wurde. Dies aber auch mit Augenmaß und unüblicher Flexibilität, die stets den Sport im Fokus des Geschehens sieht.

Leider ist die Akzeptanz und Realisation dieses Elitelaufs sehr auf Japan fokussiert, eine zunehmende internationale Komponente wäre sehr wünschenswert. Die Veranstaltung hätte das sicher verdient.

 

Helmut Winter

 

Resultat des 67. Lake Biwa Mainichi Marathons

1. Samuel Ndungu (KEN) 2:07:04 PB
(15:08, 15:05, 15:00, 15:10, 15:00, 14:51, 14:56, 15:20, 6:34)

2. Henryk Szost (POL) 2:07:39 Polnischer Rekord, PB
(15:10, 15:04, 15:01, 15:09, 15:00, 14:50, 15:12, 15:27, 6:46)
3. Abdellah Taghrafet (MAR) 2:08:37
(15:08, 15:05, 15:00, 15:10, 15:01, 14:50, 15:12, 15:58, 7:13)
4. Ryo Yamamoto (JPN) 2:08:44 PB
5. Kentaro Nakamoto (JPN) 2:08:53 PB
6. Tomoyuki Morita (JPN) 2:09:12 PB
7. Takashi Horiguchi (JPN) 2:09:16 PB
8. Masashi Hayashi (JPN) 2:09:55 PB
9. Takeshiro Deki (JPN) 2:10:02 PB
10. Ernest Kebenei (KEN) 2:10:04 PB

 

Die besten europäischen Marathonläufer aller Zeiten

 

1. Antonio Pinto (POR) 2:06:36 London 2000
2. Benoit Zwierzchiewski (FRAU) 2:06:36 Paris 2003
3. Driss El Himer (FRAU) 2:06:48 Paris 2003
4. Julio Rey (ESP) 2:06:52 Hamburg 2006
5. Carlos Lopez (POR) 2:07:12 Rotterdam 1985
6. Steve Jones (GBR) 2:07:13 Chicago 1985
7. Vincent Rousseau (BEL) 2:07:20 Berlin 1995
8. Stefano Baldini (ITA) 2:07:22 London 2006
9. Fabian Roncero (ESP) 2:07:23 Rotterdam 1999
10. Victor Röthlin (SUI) 2:07:23 Tokyo 2008
11 Patrick Twambe (FRAU) 2:07:30 Tiberias 2012
12. Alexander Kuzin (UKR) 2:07:33 Linz 2007
13. Antonio Pena 2:07:34 Otsu 2001
14. Henryk Szost (POL) 2:07:39 Otsu 2012
15. Jose Rios (ESP) 2:07:42 Otsu 2004

 

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author: GRR

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