Rai Benjamin - 2021 Mt Sac Golden Games Mt Sac, Walnut, CA May 9,2021 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET
400 Meter Hürden: Rai Benjamin peilt Fabelzeiten an – schon in Tokio? KLAUS BLUME fragt Dr. Harald Schmid
Es würde ihn wirklich nicht um den Schlaf bringen, wenn sich sein Sohn Rai heute nacht in Tokio anschicke, die Goldmedaille über 400 Meter Hürden zu gewinnen. Im Duell mit dem norwegischen Weltrekordler Karsten Warholm.
„So etwas“, glaubt der 56jährige Winston Benjamin nämlich zu wissen, „interessiert bei uns auf Antigua nun wirklich niemanden. Also niemanden.“ Vielmehr bedauere man ihn ständig, dass aus seinem Sohn Rai kein Cricket-Spieler geworden sei.
„Klar“, erklärt Winston Benjamin, der auf den westindischen Inseln als DIE Cricket-Legende schlechthin gilt, „wusste ich recht bald, dass das nie etwas werden konnte. Denn er hat von Anfang an absolut beschissen gespielt. Es war regelrecht zum Schämen! Heute rede ich nicht einmal mehr mit ihm über Cricket.“ Und übers Hürdenlaufen? „Es hat mich enttäuscht, dass er Läufer geworden ist.“
Allerdings der drittschnellste Spezialist auf der olympischen 400-Meter-Hürdenstrecke, und zwar aller Zeiten. 46, 83 Sekunden stehen für den in New York geborenen und auf Antigua aufgewachsenen Rai Benjamin zu Buche, „und ich kann noch viel, viel schneller laufen“, kündigt er an.
Bei jemanden, der eine Grundschnelligkeit von 10,03 Sekunden über 100 und 19,99 (!) Sekunden über 200 Meter vorzuweisen hat, wohl wirklich keine leeren Worte. In der Halle ist er übrigens innerhalb einer Vereinsstaffel die 400 Meter sogar einmal in 44,35 Sekunden gesprintet. Ein begnadetes Talent – zweifellos.
Rai Benjamin gegen Karsten Warholm – das könnte sogar zu einem historischen Leichtathletik-Duell der Olympischen. Spiele von Tokio werden. Zu einem Duell, das an die großen Zweikämpfe zwischen dem heutigen Sportwissenschaftler Dr. Harald Schmid aus dem hessischen Gelnhausen und dem großen Edwin Moses aus dem amerikanischen Atlanta in den 1990er Jahren erinnert.
1984, bei den Spielen in Los Angeles, gewann Moses Gold, für Schmid blieb damals Bronze. In Erinnerung blieb aber auch, dass ausgerechnet der Perfektionist Edwin Moses sich beim Aufsagen des Olympischen Eids verhaspelte.
Dr. Harald Schmid – Foto: Horst Milde
Doch zurück zum Sportlichen: Es wird heute gern hoch gerechnet, wie schnell jemand mit der Grundschnelligkeit eines Rai Benjamin die 800-Meter-Strecke zurück legen könnte. Harald Schmid hat es seinerzeit immerhin in überaus beachtlichen 1:44,83 Minuten geschafft – gewissermaßen im Vorbeilaufen. Es gibt heute einige Trainer und auch einige ernst zu nehmende Wissenschaftler, die Rai Benjamin eine Zeit von 1:42 Minuten zutrauen – ohne längere spezielle Vorbereitung. Der Weltrekord steht übrigens bei 1:40,91 Minuten, seit 2012 gehalten von dem Kenianer David Rudisha.
Doch jetzt geht es erst mal um Gold und Silber über 400 Meter Hürden. Womöglich muss dabei der Weltrekord von 46,70 Sekunden gebrochen werden. Eine Marke, die nach Rai Benjamin ohnehin nichts Besonderes bedeute, „denn es ist möglich, die 400-Meter-Hürden sogar in 45 Sekunden zulaufen.
Wir stehen erst am Anfang einer völlig neuen Entwicklung.“
Aber auch das wird Vater Winston Benjamin nicht um den Schlaf bringen. Es geht ja schließlich nicht um Cricket.
Klaus Blume
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