
Der South Cascade Gletscher im US-Bundesstaat Washington ist der erste Gletscher des Jahres 2025. Der Gletscher ist einer von fünf Referenzgletschern des U.S. Geological Survey und wird seit 1958 beobachtet. Foto: U.S. Geological Survey
21.03.2025: Welttag der Gletscher – Jedes Zehntel Grad hilft – Barbara Simpson – Universität Zürich – UZH
In vielen Regionen wird das «ewige Eis» der Gletscher das 21. Jahrhundert nicht überleben – mit fatalen Folgen für Millionen von Menschen. Der an der UZH angesiedelte World Glacier Monitoring Service macht am ersten Welttag der Gletscher auf die markante Beschleunigung der globalen Gletscherschmelze aufmerksam.
Dass die Gletscher weltweit deutlich an Masse verlieren, beobachten neben den Fachpersonen meist nur Bergsteigerinnen oder Skifahrer mit eigenen Augen. Doch die verheerenden Auswirkungen der Gletscherschmelze bekommen Millionen von Menschen zu spüren – in Form von Meeresspiegelanstieg, Überschwemmungen und Trinkwasserknappheit.
«Was auf dem Gletscher passiert, bleibt nicht auf dem Gletscher», bringt es Michael Zemp, Direktor des World Glacier Monitoring Service (WGMS) an der Universität Zürich (UZH), auf den Punkt. «Die Gletscherschmelze bedroht alle, die an Küstenlinien leben; alle, die unterhalb von Gletschern wohnen; alle, die irgendwas mit Wasser zu tun haben.» Um darauf hinzuweisen, haben die Vereinten Nationen (UN) am 21. März 2025 den ersten Welttag der Gletscher ausgerufen. Denn die aktuellsten Zahlen, die der WGMS präsentierte, sind alarmierend.
Massive Beschleunigung der Gletscherschmelze
Jedes Jahr informiert der WGMS in einem Zustandsbericht, wie es den Gletschern weltweit geht. Dafür konsolidieren die Forschenden am WGMS Feld- und Satellitenmessungen von Gletschern aus allen Weltregionen. Neu fällt der Stichtag für die Veröffentlichung des Berichts mit dem Welttag der Gletscher zusammen.
Wie auch in den Vorjahren ist der Befund beunruhigend: So haben die Gletscher in 2024 weltweit schätzungsweise 450 Milliarden Tonnen an Masse verloren, die kontinentalen Eisschilde Grönlands und der Antarktis nicht mitgerechnet. Es ist zudem das dritte Jahr in Folge, in dem alle Regionen eine Gletscherschmelze melden. Die fünf stärksten Gletscherschmelzen wurden innerhalb der letzten sechs Jahre gemessen.
Die aktuellen Daten liessen eine massive Beschleunigung der Schmelze erkennen, sagt Zemp: «Dass praktisch in allen Weltregionen Gletscher schmelzen, ist aussergewöhnlich. Das Klimasystem ist eigentlich nicht linear, wir würden erwarten, dass zumindest in gewissen Regionen Gletscher an Masse zulegen.»
Handeln hilft. Jedes Zehntel Grad, was wir an globaler Erwärmung verhindern können, rettet uns einen Teil der Gletscher, mindert die Schäden und verringert die Folgekosten.
Gletscher des Jahres
Messreihen müssen länger als 30 Jahre laufen, damit Forschende Aussagen über klimatische Veränderungen treffen können. Es ist jedoch schwierig, Messreihen über so lange Zeit zu finanzieren. «Oft ist man hier auf die persönliche Leidenschaft der Forschenden für ‘ihre’ Gletscher angewiesen», sagt Zemp. «Zum Glück gibt es Glaziologinnen und Glaziologen, die aus Überzeugung über Jahrzehnte ihre Messungen weiterführen, unabhängig davon, ob es finanziert ist oder nicht, ob Krieg herrscht oder nicht, und dann ihre wertvollen Daten auch noch frei mit allen teilen.»
Auch die Kür eines ersten «Gletschers des Jahres» würdigt die Bedeutung solcher langanhaltenden Messdaten. Die Wahl fiel auf den South Cascade Glacier im US-Bundesstaat Washington, der auf der westlichen Hemisphäre die längste kontinuierliche Messreihe vorweisen kann. Seit 1958 wurden hier Massebilanzmessungen vom US Geological Survey durchgeführt.
«In der Region von den Rocky Mountains bis Alaska haben wir nur lange Messdaten von einer Handvoll Gletschern. Ohne diese langjährigen Messungen hätten wir einen blinden Fleck in dieser Weltgegend», erklärt Zemp. Wie das neueste Paper unter Leitung des WGMS in Nature festgestellt hat, stammt ein Drittel des durch Gletscher verursachten Meeresspiegelanstieg aus Alaska. «Dies zeigt deutlich, wie wichtig die Arbeit der Glaziologinnen und Glaziologen in dieser Region ist – und wie wichtig es ist, dass diese Messreihen auch weitergeführt werden.»
Schadensbegrenzung lohnt sich
«Der South Cascade Glacier ist aber auch in einer Region, in der es den Gletschern sehr schlecht geht. Gerade die Rocky Mountains, wie auch bei uns in den Alpen, gehören zu einer Region, in der die Gletscher bei der aktuellen Schmelzrate das Jahrhundert nicht überleben werden», ergänzt Zemp. Der Schaden ist angerichtet, das geschmolzene Eis – und damit wertvolle Trinkwasserreserven – wird man nicht wiederherstellen können. Umso wichtiger ist es, Schadenbegrenzung zu betreiben. «Handeln hilft», sagt Zemp. «Jedes Zehntel Grad, was wir an globaler Erwärmung verhindern können, rettet uns einen Teil der Gletscher, mindert die Schäden – wie Überschwemmungen, Meeresspiegelanstieg, Süsswasserknappheit – und verringert die Folgekosten.»
Als Wissenschaftler sei es hochspannend, eine Veränderung zu erforschen, die sich gerade vollzieht, auch wenn es letztlich darum gehe, das unwiderrufliche Verschwinden der Gletscher zu dokumentieren, sagt der WGMS-Direktor. «Meine Vorgänger:innen haben sich in der Glaziologie mit Eiszeiten beschäftigt, die vor 25’000 stattfanden oder in 30’000 Jahren stattfinden werden – ich befasse mich mit Gletschern im aktuellen Klimawandel.»
Lange Zeit waren Gletscher Frühwarnsysteme für den Klimawandel. «Heute werden sie immer mehr zu Mahnmalen dafür, wie erfolgreich – oder eben nicht – wir als Gesellschaft mit der Klimakrise umgehen», resümiert Zemp am ersten Welttag der Gletscher.