Symbolbild - Mini-Marathon der Berliner Schulen - Foto: Horst Milde
Alarmsignale gibt es bereits sehr viele – Aktiv selbst Sport treiben ist das Gebot der Stunde – sport-nachgedacht.de – Helmut Digel. Klaus Paul
„Wem es gelingt, Menschen durch Körperübungen leuchtende Augen zu schenken, der tut Großes auf dem Gebiet der Erziehung!“
J. H. Pestalozzi, 1827
- Untersuchungen von Kindern und Jugendlichen im Rahmen des Innovationsfondsprojekts „Orthokids“ haben eine unerwartet hohe Skolioseprävalenz ergeben.
Seit einem Jahr konnten sich Kinder und Jugendliche im Alter von zehn bis 14 Jahren bei rund 300 Orthokids-Orthopäden in Baden-Württemberg untersuchen lassen. Dieses Screening-Angebot läuft zum Monatsende aus. Insgesamt wurden knapp 12.000 Kinder untersucht.
Die Leitung des Projektes liegt bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Partner sind die Universität zu Köln mit dem Institut für Gesundheitsökonomische und Klinische Epidemiologie, das Klinikum der Landeshauptstadt Stuttgart mit der Orthopädischen Klinik des Olgahospitals und das Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme. Ziel ist es, eine orthopädische Vorsorgeuntersuchung für Kinder regulär zu etablieren.
- Zunahme motorischer Entwicklungsstörungen bei Kindern
Wegen fehlender Bewegung leiden Kinder und Jugendliche in Deutschland zunehmend unter motorischen Entwicklungsstörungen. Das verdeutlicht eine Untersuchung der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH).
Demnach stieg der Anteil der entsprechenden Diagnosen bei Sechs- bis 18-Jährigen zwischen 2012 und 2022 um 44 Prozent. Es zeigen sich Defizite zum Beispiel beim Laufen und Klettern sowie in der Feinmotorik.
Während bei den Sechs- bis Zehnjährigen der Anteil binnen zehn Jahren um rund 30 Prozent stieg, nahm er bei den Elf- bis 14-Jährigen um rund 64 Prozent und bei den 15- bis 18-Jährigen sogar um fast 141 Prozent zu.[1] Dabei waren im Jahr 2022 mit 4,3 Prozent etwa zweieinhalbmal so viele Jungen betroffen wie Mädchen mit 1,8 Prozent.
Bewegungsmangel in jungen Jahren geht der KKH zufolge auf Kosten der körperlichen Fitness. Das führt zu Einbußen bei Ausdauer, Beweglichkeit, Muskelkraft und Koordinationsfähigkeit und kann den Angaben zufolge langfristig körperliche wie seelische Folgen für junge Menschen haben. Neben Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Gelenkproblemen drohten Frustration, mangelndes Selbstvertrauen, Ängste und Isolation.
Die KKH wertete Daten zur Häufigkeit von diagnostizierten motorischen Entwicklungsstörungen von rund 190.000 ihrer Versicherten zwischen sechs und 18 Jahren aus.
Rund 5.800 Kinder und Jugendliche erhielten 2022 bundesweit eine solche Diagnose, darunter knapp 4.200 Jungen und gut 1.600 Mädchen. Dies entspricht einem Anteil von 3,1 Prozent. 2012 waren es noch 2,1 Prozent. © http://afp/aerzteblatt.de
Bewegungsverhalten von älteren Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Ergebnisse der HBSC-Studie 2022 und Zeitverläufe seit 2009/10[2]
Mädchen sind im Mittel weniger sportlich aktiv und bewegen sich weniger als Jungen; mit ansteigendem Alter sind Mädchen und Jungen weniger körperlich und sportlich aktiv. Zudem deutet sich an, dass gender-diverse Jugendliche sehr niedrige Werte für die körperliche und sportliche Aktivität aufweisen. Die Daten zu den zeitlichen Trends zur Erreichung der Bewegungsempfehlung und einer hohen körperlichen Aktivität zeigen zusammenfassend, dass die Veränderungen zwischen 2009/10 und 2022 relativ gering sind.
Angesichts der Beobachtung, dass lediglich ein Zehntel der Mädchen sowie ein Fünftel der Jungen die Bewegungsempfehlung von 60 Minuten pro Tag erreichen, muss ein häufiger Bewegungsmangel in den Altersgruppen zwischen 11 und 15 Jahren konstatiert werden. Dieser hat sich im zeitlichen Verlauf für die Mädchen sogar noch weiter verschärft. Deshalb bleibt festzuhalten, dass der Bedarf an effektiven und auf die Bevölkerung bezogene Maßnahmen der Bewegungsförderung im Kindes- und Jugendalter unverändert hoch ist und bisherige Bemühungen noch keine Trendwende zu erreichen vermochten. Nur 10,8 % der Mädchen und 20,9 % der Jungen sowie 12,4 % der gender-diversen Jugendlichen erfüllen die WHO Empfehlungen für tägliche Bewegung.
Die zeitliche Entwicklung gesundheitlicher Ungleichheit im Kindes- und Jugendalter in Deutschland: Ergebnisse der HBSC-Studie 2009/10 – 2022
In dieser Studie wurden gesundheitliche Ungleichheiten bei Heranwachsenden anhand verschiedener Gesundheitsindikatoren für die Erhebungswelle 2022 untersucht und geprüft, wie sich diese von 2009/10 bis 2022 in Deutschland entwickelt haben.
- Dabei wurde analysiert, ob sich Unterschiede im betrachteten Gesundheitsindikator nach Geschlecht und Alter ergeben. Anhand der vorliegenden Ergebnisse der bundesweiten HBSC-Studie konnte gezeigt werden, dass für das Erhebungsjahr 2022 deutliche Ungleichheiten in der Lebenszufriedenheit, der subjektiven Gesundheit, im Obst- und Gemüsekonsum sowie im Bewegungsverhalten vorliegen;
- sich sozio-ökonomische Ungleichheiten mit wenigen Ausnahmen in allen Survey-Wellen zeigen und diese überwiegend konstant geblieben sind oder sich (vor allem zwischen 2013/14 und 2017/18) vergrößert haben;
- gesundheitliche Ungleichheiten zeigen sich kontinuierlich und reduzieren die Chance auf ein gesundes Aufwachsen;
- insgesamt zeigen sich zwischen 2017/18 und 2022 eine Verschlechterung der mentalen Gesundheit und eine Verbesserung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens. Diese Änderungen betrafen alle Heranwachsende im ähnlichen Maße.
Solche und ähnliche Alarmglocken läuten bereits seit mehreren Jahren laut und deutlich. Warnungen verantwortungsvoller Ärzte[3] und Wissenschaftler über den rapide zunehmenden Bewegungsmangel von Kindern und Jugendlichen, über die wachsende Zahl von adipösen Patienten aus diesen Altersgruppen, über deren nur schwierig zu behandelnden psychischen Störungen und über die Zunahme von Angst, Aggression und Gewalt bei den Betroffenen und an den Orten, in denen sie sich vorrangig aufhalten, sind nahezu täglich Inhalt unserer Nachrichtenwelt.
Die drei A`s (Adipositas, Angst, Aggression) kennzeichnen mehr und mehr Kindheit und Jugend in unserer Gesellschaft.
Doch welche (sport)politischen Konsequenzen werden daraus gezogen – oder auch nicht?
- Es wird über die Ausrichtung zukünftiger Olympische Spiele im Jahr 2040 oder 2044 diskutiert, ohne dabei die Frage zu beantworten, woher die Athletinnen und Athleten für die vielen Olympischen Disziplinen in 20 Jahren und später kommen sollen, wenn gleichzeitig der Anteil bewegungsaktiver Kinder und Jugendlicher in unserer Gesellschaft rückläufig ist. Als „Phänomen“ ist statistisch belegt: „Immer mehr Kinder und Jugendliche treiben immer weniger Sport, immer weniger Kinder und Jugendliche treiben immer mehr Sport“!
Der Bundeswettbewerb der Schulen „JUGEND TRAINIERT FÜR OLYMPIA & PARALYMPICS“ müsste erweitert und ausgebaut werden. - Es gibt Bundesländer, in denen die dritte Sportstunde infrage gestellt wird, die ohnehin seit Jahren in keinem der deutschen Bundesländer ganzjährig garantiert werden konnte. Dabei wäre die tägliche Sportstunde – wie es sie in mehreren Industrienationen schon längst gibt – ein dringendes Gebot der Stunde.
Aktive Bewegungspausen während der überwiegend im Sitzen verbrachten langen Unterrichtszeiten im öffentlichen Schulwesen müssten längst verpflichtend sein. - In den Kultusbehörden müssten längst auch die von unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen – zuletzt von der Neurowissenschaft – belegten positiven Wirkungen von Bewegung, Spiel und Sport auch auf die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bei ihren bildungspolitischen Entscheidungen mehr als bisher „handlungsleitend“ sein.[4]
- Im Bundestag wird über die Gemeinnützigkeit des sog. E- Sports diskutiert. Einzelne Landesregierungen haben inzwischen Förderprogramme zur Stärkung der „Games Wirtschaft“ aufgelegt, die im Jahre 2023 in Deutschland bereits einen Jahresumsatz von mehr als € 10 Milliarden erreicht hat. Allein der Verkauf von Computer- und Videospielen in Deutschland spülte im gleichen Jahr rund 1,1 Milliarden Euro (ohne Abo-Gebühren/“In-Game-Käufe“) in die Kassen der Spiele-Entwickler.[5] Die Länder fördern ungeachtet dessen z.T. auch bereits den „E-Sport“ (z.B. in Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und haben dies in Koalitionsverträgen vereinbart – so auch kürzlich in Hessen). Eine „Sportart“, die alles andere als bewegungsfördernd ist, Kinder und Jugendliche vielmehr vom „Sitzen“ in der Schule zum weiteren „Sitzen“ an den Konsolen führt, sollte auch mit Blick auf die „Formate“ der Spiele kritischer „hinterfragt“ werden.
- Zur Reduktion der viel zu langen Zeiträume, die Kinder und Jugendliche mit ihrem digitalem „Gaming“ und in den sog. „sozialen Medien“ verbringen – die bereits viel zu oft bereits zu „asozialen Medien“ geworden sind – sind dringend attraktive Spiel- und Bewegungsangebote anzubieten, die sowohl in den Turn- und Sportvereinen als auch über informelle Sportgelegenheiten stattfinden können.
- Es wird über ein Sonderfond zur Ertüchtigung der Bundeswehr bzw. zur „Kriegsfähigkeit“ dieser Armee diskutiert ohne die Frage zu beantworten, woher denn leistungs- und gesundheitlich starke Soldatinnen und Soldaten kommen sollen, wenn deren Gesundheits- und Bewegungskompetenz bereits im Kindes- und Jugendalter erheblich vernachlässigt oder gar beschädigt wird. Wäre deshalb nicht ein Sonderfond zugunsten der Entwicklung des Schulsports und insbesondere des Sportunterrichts im öffentlichen Schulwesen ein mindestens genauso bedeutsamer Reformvorschlag? Werden doch heute noch immer ca. 50% des Sportunterrichts an den Grundschulen von „fachfremd“ unterrichtenden Lehrkräften erteilt!
- Betrachten wir die Tagesordnung der Sitzungen des Sportausschusses des Deutschen Bundestages in dieser Legislaturperiode, so muss man feststellen, dass das Thema „Bewegungsmangel und sportlichen Abstinenz von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft“ bis heute nicht ein einziges Mal Beratungsthema gewesen ist. Gewiss ist das Thema „Schulsport“ mit seinem Kern „Sportunterricht“ vorrangig ein Thema der Bundesländer, dessen Entwicklung und Ausgestaltung jedes einzelne Bundesland zu verantworten hat, das aber unter gesundheitlichen Gesichtspunkten natürlich auch Bundesrelevanz hat, haben müsste!
- Fragen wir nach, was die Kultusministerkonferenz (KMK) in den letzten Jahren auf diesem Gebiet aufzuweisen hat, so kann man erfreulicherweise u.a. auf die „Gemeinsame(n) Handlungsempfehlungen der Kultusministerkonferenz und des Deutschen Olympischen Sportbundes zur Weiterentwicklung des Schulsports 2023 bis 2028“[6] Es sind allerdings im Gegensatz zu früheren Plenums-Beschlüssen der KMK zu den „Aktionsprogrammen“ 1972 und 1985 heute nur noch „Empfehlungen“, denen „man“ dann in den Ländern folgen kann oder auch nicht.
- Das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) hat bereits zum zweiten Mal zu einem Bewegungsgipfel eingeladen. Beide Veranstaltungen sind wegen fehlender Durchsetzungsinstrumentarien bis heute folgenlos geblieben.[7]
- Welche Initiativen gibt es, die von der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) und vom Deutschen Sportlehrerverband (dslv) oder vom DOSB auf die Lösung dieses Problems ausgerichtet sind?
- „Memoranden“ zum Schulsport wurden teils in mehrfacher Ausfertigung von der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft vorgelegt, zuletzt am 15.11.2019 gemeinsam mit dem Deutschen Sportlehrerverband, dem Fakultätentag Sportwissenschaft (FSW) und dem DOSB. Als Ziel wird dort formuliert, „zukunftsweisende Impulse zur weiteren Optimierung des Schulsports auf allen Schulstufen und in allen Schulformen für die Schulen in den 16 Bundesländern abzuleiten.“ Der Abschnitt mit den Forderungen ist in vier adressatenspezifische Komplexe unterteilt, und richtet sich an: Schule (1), Kultus- und Schulbehörden, Schulträger und Schulverwaltung (2), Hochschule, Lehrkräftebildung und Schulsportforschung (3) sowie schließlich an den gemeinnützigen Sport bzw. die Sportorganisationen (4).
- Die das „Memorandum Schulsport“ tragenden Institutionen verpflichten sich, den Umsetzungsprozess aktiv voranzubringen und zu begleiten.[8]
- Es muss festgestellt werden – so verdienstvoll, berechtigt und nachvollziehbar die Situationsbeschreibung und die daraus zu ziehenden Konsequenzen auch sind – eine vertragliche Verpflichtung der Kultusministerkonferenz bzw. der Kultusbehörden und Schulen, den Vorschlägen und Forderungen zu folgen, gibt es nicht; dies gilt gleichermaßen für die Schulträger sowie den DOSB und die Sportverbände.
- Es gibt dagegen einen erfolgreichen Modellversuch in den Jahren 1993 bis 1997 zur täglichen Sportstunde an einer Grundschule in Bad Homburg, bei dem die positiven Effekte einer Ausweitung des Sportunterrichts von drei auf fünf Stunden die Woche bestens statistisch belegt sind: Weniger Unfälle auf dem Schulhof, weniger Streit der Kinder in den Schulpausen. Besonders bemerkenswert: Auch im Unterricht der anderen Fächer sind die Kinder „ausgeglichener“ und „konzentrationsfähiger“ geworden. Sie erzielen bessere Lernerfolge und die Übergangsquote in den gymnasialen Bildungsgang ist – auch im Vergleich zu der Kontrollschule – signifikant gestiegen.[9] Nachgeahmt wurde dieses Modell in keinem anderen Bundesland und selbst in Hessen, in dem der Modell-Versuch stattgefunden hat, ist es folgenlos geblieben.
- Warum blieb das Werben für das „Breckenheimer Grundschulmodell“ (siehe „sport-nachgdacht.de“) ohne Resonanz, obwohl hierfür keine kultusministeriellen „Genehmigungen“ erforderlich sind?
- iegt es daran, dass derartige Projekte – trotz des Nachweises hoher Wirksamkeit – letztlich nur mit einem örtlich überaus engagierten Sportverein, seinen fachkundigen Übungsleitern und der gesamten Schulgemeinde, unterstützt durch Schulleitung und Schulaufsicht, umgesetzt werden können? Ist diese nicht gegeben, werden selbst die durchdachtesten und besten Projekte/Programme scheitern.
Wer Antworten auf solche und ähnliche Fragen und die aufgezeigten Problemstellungen sucht, wird enttäuscht. Er stößt vielmehr auf eine ganze Reihe von inakzeptablen „Entschuldigungen“ oder gar auf eine Mauer des Schweigens.
Es muss angesichts der Studienlage und des Fehlens der Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnisse in praktisches Handeln in Teilen wohl auch von Politikversagen auf den unterschiedlichen Ebenen, aber auch von einem nicht nachvollziehbaren öffentlichen Desinteressen in Bezug auf die Gesundheit und das Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendlichen gesprochen werden. Ein vernachlässigter Sportunterricht und Schulsport sind zentraler Inhalt dieses Versagens.
Vor dem Hintergrund der besorgniserregenden Ergebnisse einer Vielzahl von Studien, wie es sie ja bereits seit Jahrzehnten gibt, ist MEHR BEWEGUNG, MEHR SPIEL und MEHR SPORT von Kindern und Jugendlichen im Alltag und in der Schule zwingend notwendig. Dies setzt politisches HANDELN voraus. Wir brauchen keine weiteren „Sonntagsreden“ oder gar weitere wissenschaftliche Studien, wie sie der DOSB, der DSLV und die dvs erst kürzlich wieder gefordert haben. Wir haben kein „Erkenntnisdefizit“, sondern ein „Umsetzungsdefizit“! Es mangelt an konkreten Aktionen, Handlungen und zielführenden Veränderungen. Es mangelt aber auch weitgehend an gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein und an einer Bereitschaft, endlich der Bewegungslosigkeit eines großen Teils unserer Kinder und Jugendlichen mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. Nicht zuletzt würde damit auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ein entscheidender Beitrag zur Senkung der Aufwendungen im Gesundheitswesen geleistet: Frühzeitige Prävention durch Bewegung, Spiel und Sport in Verbindung mit gesunder Ernährung sind dafür die „Schlüssel“!
Im Rahmen der Einführung der Ganztagsschule im öffentlichen Schulwesen und bei deren inhaltlichen Ausgestaltung bietet sich die einmalige Chance, zusätzliche Sport-/Bewegungsstunden für ALLE Kinder und Jugendliche verpflichtend einzuführen. Dabei sollte auch in Verbindung mit dem Sportunterricht und weiteren Aktivitäten des Schulsports ein fachübergreifendes und fächerverbindendes Pflichtfach – vielleicht mit der Bezeichnung „Gesundheit“ – eingerichtet werden, in dem die Themen gesunde Ernährung (inklusive Essenszubereitung), Strategien zum Stressabbau/Erlernen von Entspannungstechniken, 1. Hilfe-Kurse, „Auseinandersetzung“ mit dem eigenen Körper, Umgang mit Smartphones und sozialen Medien, Suchtprophylaxe, … neben dem zentralen Thema „Sich selbst AKTIV zu bewegen“ wichtige Inhalte sein sollten.
Die notwendige Förderung der Gesundheit und Entwicklung einer hinreichenden „Gesundheitskompetenz“ bei Kindern und Jugendlichen durch Sport, Spiel, Bewegung und gesunde Ernährung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wie vorstehende Beispiele zeigen, haben dabei unverbindliche Empfehlungen und sich ständig wiederholende Situationsbeschreibungen bestenfalls einen Informationswert. In unserem demokratisch verfassten Land ist die kommunale-/regionale Ebene die entscheidende Umsetzungsebene, dort sind die erforderlichen sozialen Netzwerke zu knüpfen, die Schulen und Vereine bei ihrer Arbeit und in ihren Angeboten unterstützen und fördern.
Hierfür wird die Einrichtung eines ständigen „runden Tisches“ als eine dringend erforderliche Maßnahme vorgeschlagen, an dem z. B. örtlich/regional zuständige Schulaufsichtsbeamte, Schulsport-Fachberater bzw. Schulsportkoordinatoren, Vertreter der Sportkreise und Sportverbände, Vertreter von Sportvereinen, Elternvertreter, Vertreter der Schülerschaft, (Sport)Mediziner, Ernährungsexperten, Vertreter aus der (Sport-)Wissenschaft, aus der Kommunalpolitik, der Wirtschaft, der Kammern und Innungen, … „Platz nehmen“ und ihre spezifische Expertise einbringen mit dem Ziel, Verantwortung für ein gesundes Heranwachsen von Kindern und Jugendlichen zu übernehmen und „konkrete“ Projekte durch Beschlussfassungen nicht nur diskutieren, sondern sie auch tatsächlich umsetzen!
Hier wäre dann auch der „Raum“ unter Beachtung regionaler Rahmenbedingungen, die „Gemeinsame(n) Handlungsempfehlungen der Kultusministerkonferenz und des Deutschen Olympischen Sportbundes zur Weiterentwicklung des Schulsports 2023 bis 2028“ (s.o.) thematisch aufzugreifen, diese ggfls. nach örtlichen Erfordernissen zu ergänzen, zu modifizieren und sie Zug um Zug in „Beschlüsse“ zu überführen – und sie umzusetzen!
Ziel und Zweck eines derartigen Vorgehens nennt uns Jean-Jacques Rousseau schon im Jahre 1762 in seinem Werk „Emil oder über die Erziehung“:
„Pflegt die Intelligenz eures Schülers, pflegt die Kräfte, welche er beherrschen muß. Trainiert unablässig seinen Körper, macht ihn widerstandsfähig und gesund, und ihr macht ihn zugleich klug und vernünftig. Laßt ihn arbeiten, handeln, laufen, rufen, er möge fortwährend in Bewegung sein, dass er zunächst Mensch aus der körperlichen Kraft heraus werde. Bald wird er dadurch auch seine geistigen Kräfte entwickeln.“
Letzte Bearbeitung: 19.4.2024
- Siehe: https://www.kkh.de/content/dam/kkh/presse/bilder-grafiken/kinder/Motorische%20Entwicklungsst%c3%b6rungen%202011%20auf%202021.jpg (Zugriff am 17.04.2024)
- Siehe: https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/Focus/JHealthMonit_2024_01_Bewegung.pdf?__blob=publicationFile (Zugriff am 17.04.2024)
- Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich, weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.
- Geradezu erschreckend war in diesem Zusammenhang die erste reflexhafte Reaktion einer Kultusministerin, den kürzlich veröffentlichten schlechten PISA-Ergebnissen ab dem Schuljahr 2024/2025 durch eine Stunde mehr Deutsch in der 2. Klasse zulasten des Faches Sport zu begegnen. Die angestrebte Lernzeiterweiterung um 50 Minuten ist dort dann doch noch in der Stundentafel verankert worden, ohne den Sportunterricht zu kürzen.
- Siehe: https://de.statista.com/themen/826/computer-und-videospiele/#editorsPicks (Zugriff am 17.4.2024)
- https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2023/2023_11_10-Schulsport_KMK-DOSB_2023-2028.pdf
- Siehe: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2022/bewegungsgipfel-erklaerung.pdf;jsessionid=6F380CEA352BE9276BFE9BF1EC0E5EE6.live862?__blob=publicationFile&v=3 (Zugriff am 17.4.2024)
- https://www.dslv.de/memorandum/
- https://www.bisssurf.de/Record/WE020070300117 – Wissenschaftliche Begleitung: Klaus Bös
Prof. Dr. Helmut Digel
Eberhard Karls Universität Tübingen
Institut für Sportwissenschaft
Wilhelmstr. 124 – 72074 Tübingen – Germany
Mobil: +49 162 2903512
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Das Internetmagazin von Prof. Dr. Helmut Digel:
https://sport-nachgedacht.de/
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