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06
04
2014

2013 BWW Frankfurt Marathon Frankfurt, Germany October 27, 2013 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET

Zwischen Himmel und Dorf – Die Initiative um die Marathon-Zwillinge Anna und Lisa Hahner steht für einen jungen olympischen Unternehmergeist, der mehr vom Laufen zeigen will als nur Schweiß und Atemlosigkeit – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

By GRR 0

Gengenbach – Dann geht es hinaus ins Kinzigtal, durchs Stadttor von Gengenbach, am Sportplatz vorbei, über den kleinen Wall am Fluss entlang Richtung Biberach. Linker Hand heben sich die Hügel des Schwarzwalds, die im sanften Frühlingsgrün stehen, rechter Hand geht der Blick über die Felder, hinter denen die Bundesstraße verläuft.

Es ist ein sehr leichter Lauf für die Ausdauersportprofis Anna Hahner und Thomas Dold, ein Stündchen nur im stark untertourigen Bereich, damit der Reporter-Gast auch mitmachen kann. Aber besser als nichts an diesem warmen, sonnigen Interview-Tag.

Und Lisa Hahner, die Dritte im Bunde, wäre bestimmt auch gerne mitgekommen an die frische Luft, wenn ihr Plan nicht vor dem Mittagessen eine Athletik-Einheit vorgesehen hätte. Sie alle tauchen kurz zurück in ihren Sportler-Alltag, bevor die Marathon-Zwillinge Hahner, 24, und ihr Kollege-Trainer-Manager Dold, 29, weitererzählen vom Leben als Leichtathletik-Initiative Run2Sky.

  Die erste Jahreszeit der Marathon-Läufer beginnt. An diesem Sonntag findet in Paris das erste große 42,195-Kilometer-Rennen des Frühjahrs statt mit dem prominenten Debütanten Kenenisa Bekele, der äthiopische Weltrekordler über 5000 und 10 000 Meter. Es folgen die Klassiker in London (13. April) und Boston (21. April) sowie viele weitere Stadtmarathons mit insgesamt mehreren 100 000 Teilnehmern.

Und die Hahner-Zwillinge sind natürlich im Einsatz. Anna am 13. April in Wien, Lisa am 27. April in Hannover. Dort wollen sie ihr Profil weiter schärfen als Identifikationsfiguren des Straßenlaufs, der ja nicht nur irgendeine Leichtathletik-Disziplin ist, sondern eine gewachsene Massensport-Industrie. Es geht um neue Akzente in einem Gewerbe, auf das die Schwestern sich so konsequent eingelassen haben, dass sie sich darin zur Marke entwickelt haben.

  Die Hahner-Twins sind längst ein feststehender Begriff im Straßenlauf. Das hat einerseits mit ihren Leistungen zu tun, die stark, aber nicht unwirklich stark sind und durch die sich beide schon für die EM im August in Zürich qualifiziert haben; Anna in 2:27:55 Stunden, Lisa in 2:30:17, jeweils beim Frankfurt-Marathon im Herbst. Andererseits hat es mit ihrer Art zu tun, die sonnig ist, aber nie grell. Und natürlich mit dieser außergewöhnlichen Konstellation, dass Anna nur 16 Minuten älter als Lisa ist: Zwillinge stechen doch immer aus der Masse heraus, weil sie sich so ähnlich sind, und weil sie ein fast magisches Verständnis füreinander verbindet.

  Wie zwei PR-Engelchen können sie manchem Betrachter vorkommen, wenn sie lächelnd ihre Aufgaben als öffentliche Läuferinnen wahrnehmen. Der Name ihres 2011 selbstgegründeten Klubs Run2Sky.com e.V., der in erster Linie aus ihnen und Thomas Dold besteht, mag in den Ohren manches Vereinslandschafts-Gärtners etwas zu modern klingen. Und Wolfgang Heinig, 63, Langstrecken-Bundestrainer, bis Frühjahr 2013 Trainer der Hahners, erklärt die Trennung so: "Ich war nicht einverstanden mit der Art und Weise der Vermarktung."

  Aber da machen es sich die Leichtathletik-Schaffenden der alten Schule zu einfach. Es geht nicht nur um Äußerlichkeiten bei diesem Projekt. Es geht um einen jungen olympischen Unternehmergeist, der in einer veränderten Sportwelt keine Chancen liegen lassen will und mehr vom Laufen zeigen soll als nur Schweiß und Atemlosigkeit. Anna und Lisa Hahner stehen für eine Sportler-Generation, die Lust auf Leistung hat, aber keine Lust auf eingefahrene Wege und Bevormundung. Sie sind nun mal keine früh festgelegten Kinder des Kadersports, sondern im Dörfchen Rimmels bei Fulda als Schülerinnen mit verschiedenen Neigungen aufgewachsen.

Tischtennis und Ju-Jutsu waren früher ihr Sportarten, sie spielten in Orchestern Waldhorn (Lisa) und Posaune (Anna). Zum Laufen inspirierte sie 2007 der Musiker und Extremsportler Joey Kelly, der auf einer Veranstaltung in Fulda vom Laufen erzählte. "Wenn du etwas anfangen willst, musst du es gleich am nächsten Tag anfangen", sagte Kelly. Also liefen die Zwillinge gleich am nächsten Tag und blieben dabei.

  "Unabhängigkeit und Freiheit sind uns sehr wichtig", sagt Anna Hahner, "und wenn man für einen normalen Verein startet, verfolgt der immer auch Eigeninteressen. Wenn wir jetzt eine Entscheidung treffen, sind wir selbst dafür verantwortlich. Wir müssen auf niemand anderen Rücksicht nehmen."

  Sie sitzen auf dem Balkon ihrer Wohngemeinschaft mit Blick auf die Gengenbacher Fachwerkhausidylle und ein Storchennest auf dem gegenüberliegenden Dach. "Was ist Run2Sky?", fragt Thomas Dold und übernimmt dann die Führung durchs aufgeräumte, fast virtuelle Vereinsdasein. Dold selbst ist einer der besten Treppenläufer der Welt, siebenmaliger Gewinner des Empire State Building Run-up in New York, außerdem Doppel-Weltmeister im Rückwärtslaufen.

Über die Jahre hat er ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen, sich als Motivationsredner eingebracht sowie Trainerscheine im Fußball, Triathlon und in der Leichtathletik erworben. Im Verein Run2Sky sieht er sich jetzt als Mann für fast alles hinter den Zwillingen und hat dabei ein Netzwerk aus Sponsoren und Kontakten aufgebaut, das die Hahners gerade bei gesundheitlichen Problemen auffangen kann. "Eigentlich musst du nur wissen, wer jemanden kennt", sagt Dold.

  So ist um das Trio eine lokale Sportzelle mit Fenstern in die weite Welt entstanden. Ihre Physiotherapie machen die Hahners in Berghaupten bei Gengenbach oder in Fulda. Ihre jüngsten Trainingslager waren in Spanien und Kenia. Und ihre Trainingspläne kommen aus Italien vom Weltmeister-Trainer Renato Canova, der zwar alt an Jahren ist, aber für eine moderne Langstrecken-Lehre steht, die viel hohes Tempo im Training vorsieht und viel Zeit, um die harten Einheiten zu verarbeiten.

  Krisen gibt es auch. Im vergangenen Jahr stürzte Lisa beim Hamburg-Marathon und verpasste die WM-Norm. Anna hatte einen Ermüdungsbruch infolge eines Gepäckmarschs während ihres Intermezzos als Sportsoldatin. Und dass Anna nach der Trennung von Bundestrainer Heinig aus der Sportfördergruppe der Bundeswehr flog, war auch nicht lustig. Aber Dold sagt: "Wir kümmern uns nicht um Probleme, sondern um deren Lösung."

  Nichts erzwingen – das ist wie das gelenkschonende Radtraining und das stabilisierende Athletik-Training Teil ihres Ansatzes, um sich nicht zu verschleißen. Mögliche Konflikte mit früheren Trainern, die immer noch Bundestrainer sind, lassen sie gar nicht erst an sich ran. "Emotionslos zu sein, schützt uns", sagt Lisa Hahner, "wir wollen ja gar keine Streitigkeiten, auch wenn uns gerade mal was nicht passt."

  Olympia 2016 ist das Ziel, neue Bestzeiten und Freude fürs Laufen zu streuen auf diversen Kanälen. Sie haben eine neue Facebook-Strategie, um mehr Leute zu erreichen. "Wir überlegen, wann wir sie umsetzen", sagt Lisa. Und jetzt? In diesen Tagen? "Meine Gedanken gehen nur bis zum 13. April", sagt Anna Hahner – bis zum Wien-Marathon, klar. "Meine ein bisschen weiter, bis zum 27.", sagt Lisa, die Hannover-Starterin. Und Thomas Dold macht die letzten Tempomacher klar. Es soll ein gutes Frühjahr werden für die Gengenbacher Himmelsstürmer-WG.

THOMAS HAHN in der Süddetuschen Zeitun, Samstag/Sonntag, dem 5./.6. April 2014 

author: GRR

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