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16
05
2013

Das muss schon ein irres Gefühl für die Läuferinnen und Läufer sein, hier eine 5-km-Runde auf der Betonpiste zu laufen. Da kann einen schon die Vorstellung von dem Gefühl beschleichen, gleich ganz plötzlich von einer steil gen Himmel steigenden Boeing-Maschine eingeholt und überholt zu werden … traumhafte Laufbedingungen! ©Horst Milde

Zurück zu den Wurzeln der modernen Körperkultur in Deutschland: Flughafen Tempelhof als Areal für „Sport umsonst und draußen“- Laufen auf der Landebahn. Prof Dr. Detlef Kuhlmann im Olympischen Feuer

By GRR 0

Am Anfang war ein weites Feld. Das Tempelhofer Feld in Berlin beheimatete zwischendurch den Flughafen Tempelhof. Jetzt ist es wieder ein weites Feld geworden – ganz wie am Anfang: Im frühen 18. Jahrhundert avancierte diese Gegend zu einem beliebten Ausflugsziel für die Berliner Bevölkerung.

In der Nähe befand sich auf der Hasenheide bereits seit 1811 der erste Turnplatz der Welt.

Das  weitläufige Feld war geradezu prädestiniert, um ein körper-kulturelles Gegengewicht zu bilden zu der Öde der Fabrikarchitektur in der wachsenden Stadt. War das gar die erste grüne Welle … hinaus in die freie Natur und damit hinein in eine neue Gegenwelt der Gegenwart?

Auf dieser grünen Tempelhofer Wiese konnte die „Graswurzelbewegung“ geradezu gradlinig aufkeimen: Man gönnte sich schöne Stunden vergnüglicher Freizeit beim sog. Picknick und genoss erquickende Erholung – freilich nicht, ohne dabei ganz auf Momente von befreiender Bewegung, Spiel und Sport zwischendurch zu verzichten: sei es im Sommer mit Kricket, Tennis und Fuß-ball oder sei es im Winter beim Schlittschuhlaufen auf Eis und Schlittenfahren im Schnee. Das war einmal.

Mag sein, dass das weite Tempelhofer Feld, das ursprünglich auch als Exerzierplatz diente, damals schon der modernste Sportplatz in Deutschland war, zumindest einer der größten und bekanntesten und beliebtesten. Die ältesten deutschen Fußballvereine BFC Germania 1888, seinerzeit gegründet von einem 17-Jährigen Tempelhofer Gymnasiasten Namens Jestram, und der BFC Viktoria 1889 Berlin, gegründet auf Initiative eines sportbegeisterteten Lehrers Namens Kopsch von fünf Berliner Jünglingen und offiziell geführt als „Berliner Thorball- und Fußball-Club Viktoria von 1889“, trugen hier regelmäßig ihre Fußballspiele aus.

In den Jahren 1890 und 1891 gewann der BFC Germania sogar die (inoffizielle) Meisterschaft beim „Bund Deutscher Fußballer“. Die beiden Vereine gibt es immer noch. Germania und Viktoria nehmen bis heute am Spielbetrieb des Berliner Fußballverbands in der Kreisliga bzw. in der Verbandsliga teil. Sie haben allerdings frühzeitig andere umliegende Spielstätten gefunden und besitzen längst nicht mehr das Renommee im deutschen bzw. im Berliner Fußball wie heute beispielsweise Hertha BSC und der 1. FC Union als Bundesligisten.

Zurück nach Tempelhof: Im Jahre 1909 konnte die Berliner Bevölkerung hier zum ersten Mal live einen Flugapparat bestaunen, als der amerikanische Pionier des Flugzeugbaues, Orville Wright nach Europa kam, um für seine Flugzeuge zu werben
und diese auf dem Tempelhofer Feld vorzuführen. Gut zwei Wochen lang konnten fast täglich Demonstrationsflüge bewundert werden.

Dabei wurde unter anderem mit 172 Metern ein Höhenweltrekord aufgestellt. Erstmals absolvierte ein Passagierflugzeug eine Luftfahrt von einer Stunde und 35 Minuten Dauer. Diese geglückten Versuche modernster Flugschifffahrt beobachteten damals insgesamt 350.000 Zuschauer. Auch danach fanden auf dem 1,5 Mio. qm großen Gelände im westlichen Stadtteil zwischen Schöneberg und Neukölln immer mal wieder solche Flugvorführungen statt. Im Jahre 1923 erfolgte dann die Konzession zur Aufnahme eines regulären Flugbetriebs. Aus dem nicht mehr benötigten Exerzierplatz Tempelhof sollte nach dem Willen des Berliner Magistrates ein großer internationaler Flughafen werden.

Während der Zeit des Nationalsozialismus entstand hier zwischen 1937 und 1941 das größte zusammenhängende (Hallen-)Gebäude der Welt, das auch heute noch in dieser Form existiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente der Flughafen Berlin-Tempelhof zusammen mit den beiden in Tegel und Gatow von Juni 1948 bis Mai 1949 im Zuge der Blockade West-Berlins als sog. Luftbrücke zum überlebensnotwendigen Transport von Verpflegung und Gü-tern für die Not leidenden Berlinerinnen und Berliner.

Wir alle haben noch Erinnerungen daran oder zumindest bis heute Bilder davon im Kopf. Viele von uns durften vielleicht früher auch schon einmal mit dem Flieger von Tempelhof aus starten oder hier sicher landen. Ende Oktober 2008 gingen jedoch die letzten Flugzeuge von diesem City-Airport in die Luft. Danach wurde der Flugbetrieb auf dem alt-ehrwürdigen „Zentralflughafen Berlin-Tempelhof“ (so die offizielle Bezeichnung) vollends einstellt, nachdem auch ein Volksbegehren für den weiteren Betrieb gescheitert war.  

Was nun? Nicht erst seit diesem denkwürdigen Datum mehren sich die Vorschläge für eine sinnvolle Nachnutzung des großflächigen Areals inmitten der Hauptstadt. Einige Ideen sind gleich im ersten Jahr nach der Stilllegung des Flugverkehrs schon Realität geworden … etliche als Variationen mit „M“: Musik und Motorcross, Messen und Modenschauen. Doch damit allein nicht genug: Auch der Sport ist zurückgekehrt nach Tempelhof, und zwar sowohl auf die betonierte Start- und Landebahnen als auch in das weiträumige Hallenareal.

Den Auftakt bildete die internationale Reitelite in Hangar sechs, wohin das älteste Hallenreitturnier der Welt zurückkehrte, das seine Premiere einst im Jahre 1923 im Berliner Sportpalast hatte, ab 1936 in der Berliner Deutschlandhalle ausgetragen wurde und danach eine Zwischenstation im Velodrom an der Landsberger Allee im Ostteil der Stadt machte.

Die Snowboarder, Biker und Skater rollen inzwischen ebenfalls rasant rasend über das Rollfeld – bis hin zur Deutschen Meisterschaft der Fahrradkuriere. Deutschlands größte Marathonstaffel, die bisher im Grunewald beheimatet war, geht hier ebenfalls und jedes Jahr mit neuer Rekordbeteiligung auf Kurs. Start und Ziel befinden sich im überdachten Hangar. Aber dann geht es open air weiter: Das muss schon ein irres Gefühl für die Läuferinnen und Läufer sein, hier eine 5-km-Runde auf der Betonpiste zu laufen. Da kann einen schon die Vorstellung von dem Gefühl beschleichen, gleich ganz plötzlich von einer steil gen Himmel steigenden Boeing-Maschine eingeholt und überholt zu werden … traumhafte Laufbedingungen!

Soviel steht fest: Der Sport ist auf das Flughafengelände Tempelhof nach Beendigung des Flugverkehrs zurückgekehrt. Ist er das wirklich? Zumindest was die zwischenzeitliche Austragung sportlicher Großveranstaltungen angeht, scheint sich Tempelhof als eine attraktive Location mehr und mehr zu etablieren.

Spannt man in diesem Zusammenhang den Bogen auf die ursprüngliche Nutzung des damals sog. Tempelhofer Feldes, dann gibt es nun quasi ein „Zurück zu den Wurzeln“ mit einer Mischung aus Angeboten von Bewegung und Kultur bis zu zur Kleingartenidylle. Insofern klingt es fast schon nahe liegend, wenn hier 2017 die Internationale Gartenbauausstellung stattfindet. Eine Parkanlage mit dem Ausmaß von etwa 220 Hektar soll dabei entstehen, umgeben von drei neuen Stadtquartieren mit Wohnungen und Gewerbeflächen. Allein das denkmalgeschützte Airportgebäude könnte bis zu 5.000 Arbeitsplätze bieten.

In Fachkreisen existiert genau in diesem Zusammenhang seit längerem die durchaus imposante Vorstellung, den Flughafen Tempelhof ähnlich wie den Central Park in New York und den Wiener Prater zu einem offenen und frei nutzbaren Lauf- und Sportpark weiter auszubauen. Dieser Vorschlag geht im übrigen zurück auf den Berliner „Mister Marathon“ Horst Milde, den Erfinder und langjährigen Renndirektor des Berlin-Marathons: „Ich bin sehr optimistisch, dass hier zukünftig auch etliche Laufevents und zahlreiche andere Sportveranstaltungen stattfinden, die dem Gelände ganz im Sinne eines ‚Sport für alle’ dauerhaft ein neues bewegtes Leben einhauchen werden“, prophezeite der in Tempelhof aufgewachsene und bis heute hier lebende frühere Konditormeister schon zu Zeiten der bevorstehenden Schließung des Flughafens.

Er sollte es schließlich wissen, zumal er als nunmehr 72-Jähriger hier fast täglich laufend seine Runden dreht. Vielleicht kann man demnächst im Sommer sogar in einem Tempelhofer Meer baden gehen und im Winter auf einem Tempelhofer Berg dann Skifahren und Rodeln. An Wünschen aus der bewegungsfreudigen Berliner Bevölkerung scheint es jedenfalls nicht zu mangeln. Ob das alles jemals Realität wird?

Inzwischen erhebt nämlich der Landessportbund Berlin in Person seines Vizepräsidenten für Sportinfrastruktur die Stimme, weil es offenbar an politischer Unterstützung für ein abgestimmtes sportbezogenes Nutzungskonzept des Tempelhofer Feldes aus der Sicht des organisierten Sports generell noch mangelt: „Hindernislauf in Tempelhof“ titelte Vizepräsident Hammer seinen Kommentar im Magazin des Landessportbundes Berlin und kritisiert, dass der Sport bei den jetzigen Umsetzungsplanungen – wie andernorts in Berlin übrigens auch – nicht hinreichend eingebunden ist: „Mit der für die Entwicklung des Tempelhofer Feldes verantwortlichen landeseigenen Tempelhof Projekt GmbH und der Grün Berlin GmbH hatte der LSB 2010 erste positive Gespräche aufgenommen. Die zugesicherte enge Zusammenarbeit wurde mit Beginn des Jahres 2011 von den genannten Institutionen nicht mehr wahrgenommen, obwohl der LSB immer wieder seine Gesprächsbereitschaft angeboten hat, an der Entwicklung von Sportanlagen und Sportangeboten mitzuwirken“.

So bleibt die Hoffnung, dass mit dem inzwischen politisch neu besetzen Sportressort im Berliner Senat alles anders und wieder besser wird – denn:

Eigentlich steht der weiteren multifunktionalen Nutzung des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof als zukunftsfähiger „Sportplatz“ nichts im Wege. Allein Berlins ältester Sportverein, die Turngemeinde in Berlin von 1848, heute mit über 4.000 Mitgliedern in über 20 Abteilungen und rund 30 Sportarten im Angebot zugleich einer der größten Hauptstadt-Klubs mit eigenem Vereinsgelände ganz in der Nähe des Flughafens am Columbiadamm vis-à-vis zur Hasenheide nutzt momentan schon kleinere abgesteckte Freiflächen für Fußball, Tennis, Baseball, Softball, Inlineskaten, Frisbee sowie für diverse Beach-Sportarten: Picknick-Area nennt sich das Ganze übrigens nun wieder.

Wer wollte sich nicht daran erfreuen, wenn es jetzt wirklich wieder so zugeht, wie einst am Anfang … mit Kricket an sonnigen Sommertagen und mit Schlittschuhlaufen zur frostigen Winterzeit!

Geöffnet ist das Tempelhofer Feld von 6 bis 20.30 Uhr im Sommer und von 7 bis 19 Uhr im Winter. Der Eintritt ist frei – eben für „Sport umsonst und draußen“!

 

Prof Dr. Detlef Kuhlmann im Olympischen Feuer – 1/2012

author: GRR

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