Neuer und alter World Athletics Präsident Sebastion coe - Foto: Laszlo Zsigmond for World Athletics.
Zukunft von Sebastian Coe: Wieder Präsident auf Abruf – Ein Kommentar von Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
In zwei Jahren endet die Amtszeit von IOC-Präsident Thomas Bach. Dann könnte ihm Sebastian Coe, wiedergewählter Präsident des wohl bedeutendsten olympischen Sportverbandes, an der Spitze des IOC nachfolgen.
Sebastian Coe schien bei seiner ersten Wahl an die Spitze des Weltverbandes der Leichtathleten ein Präsident auf Abruf zu sein. Praktisch in der Hand des einst überragenden Läufers, des Mannes, der London die Olympischen Spiele von 2012 gebracht hatte, explodierte im Herbst 2015 ein Doping- und Korruptionsskandal, von dem die wenigsten annahmen, dass Coe ihn politisch überleben würde. Im Sturm gelang ihm die Wende.
Nicht nur distanzierte der Brite sich von seinem später wegen Korruption verurteilten Vorgänger Lamine Diack, dessen Vizepräsident er gewesen war und den er bei seiner Wahl als Leitbild seines Handelns gelobt hatte. Während Ermittlungen und Prozess ihren Lauf nahmen, stellte Coe den Verband neu auf, gründete eine unabhängige Organisation für Ermittlungen und Sanktionen in Sachen Doping und Korruption, die Athletic Integrity Unit, und entsorgte mit der Umbenennung des Verbandes in World Athletics einen Großteil der schmutzigen Vergangenheit.
Coe und die Russland-Ukraine-Frage
Nun wurde er ohne Gegenstimme und bei nur drei Enthaltungen in eine dritte Amtszeit gewählt. Nicht nur der Rückblick aufs Wahlergebnis von damals zeigt, dass die Zukunft von Verband und Sportart vor acht Jahren auf Messers Schneide stand. Lediglich 23 Stimmen machten den Unterschied zwischen Coe (115) und dem einstigen Stabhochspringer Sergej Bubka aus der Ukraine (92) aus, die sich einen geradezu maßlosen Wahlkampf geliefert hatten.
Nun, beim Kongress des Verbandes vor der Weltmeisterschaft von Budapest, kandidierte Bubka nicht mehr als Vizepräsident.
Noch als er Präsident ihres Nationalen Olympischen Komitees war, hatte er Kritik von ukrainischen Sportlerinnen und Sportlern auf sich gezogen, weil er zum Einmarsch der russischen Armee lange schwieg. Nun berichtet das Portal „Inside The Games“, Bubka habe in den besetzten Gebieten der Ukraine Geschäfte mit Öl und Benzin gemacht. Im Ruch des Kriegsgewinnlers zu stehen, machte ihn untragbar.
Coe dagegen wurde als Kopf und Stimme der Welt-Leichtathletik bestätigt. Das will einiges bedeuten. Coe suspendierte vor acht Jahren den russischen Verband wegen systematischen Dopings und nahm ihn in einem jahrelangen Prozess wieder auf. Er machte Erfahrung mit sogenannten neutralen Athleten, Sportlerinnen und Sportler aus Russland, die wegen ihrer persönlichen Integrität unter Verzicht auf Symbole ihres Staates an internationalen Wettkämpfen teilnehmen durften. Und er ist aus dem Mainstream des Weltsports ausgeschert, der nach dem Wunsch von Thomas Bach, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, Athleten aus Russland und Belarus wieder in den Sport aufzunehmen bereit ist.
Coe folgt nicht der Argumentation Bachs, dass der Ausschluss eine Diskriminierung der Sportlerinnen und Sportler aus dem Land der Kriegstreiber sei, sondern erkennt die Zumutung an, Sportlerinnen und Sportler aus der Ukraine in einen Wettstreit mit Athleten zu schicken, deren Heimatland ihre Städte zerbombt und ihre Freunde und Verwandten ermordet. Dafür hat Coe eine überwältigende Mehrheit von 192 von 195 Stimmen gefunden.
In zwei Jahren endet die Amtszeit von Bach. Dann könnte Coe, Präsident des wohl bedeutendsten olympischen Sportverbandes, ihm an der Spitze des IOC nachfolgen.
Welch ein Unterschied zur Situation vor acht Jahren: Wieder ist er Präsident auf Abruf.
Ein Kommentar von Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 17. August 2023