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04
08
2013

Yuki Kawauchi lief bei Beppu-Oita-Marathon mit 2:08:15 Bestzeit und Streckenrekord. Und am Ende war er in einem großartigen Finale wieder am Limit und gab alles. Mit großem Erfolg! ©Helmut Winter

川 内 – Yuki Kawauchi: Er läuft und läuft und läuft … Ein „Hobbyläufer“ mischt mit unkonventionellen Methoden die japanische Laufszene auf. Helmut Winter berichtet in RUNNING

By GRR 0

Der Moment war fast von symbolischer Bedeutung und der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die seit einigen Jahren die Laufszene auf Japans Straßen kräftig durcheinander gewirbelt hat. Hinter der Ziellinie auf der Tartanbahn des Heiwadei-Stadions im südjapanischen Fukuoka bricht ein junger japanischer Läufer völlig erschöpft zusammen und wird sofort von einem Schwarm von Fotografen und Kameraleuten umringt, so dass der Akteur selbst nicht mehr auszumachen ist.

Es ist der 5. Dezember 2011 und ein 24jähriger japanischer Läufer namens Yuki Kawauchi hat soeben unter Mobilisierung seiner letzten Reserven in einem Kampf auf Biegen und Brechen gegen seine japanischen Konkurrenten den dritten Gesamtplatz errungen. Dass ein in Japan lebender Kenianer den Lauf überlegen gewann, interessierte in diesem Augenblick niemanden im Stadion. Kawauchi erholte sich schnell und wurde von einem riesigen Tross zur Bühne zum Interview geleitet, der eigentliche Sieger des Marathons stand zur gleichen Zeit weitgehend unbeachtet hinter der Bühne.

Damit vollzog sich eine weitere Steigerung in der Hype um einen jungen Selfmade-Mann, der nun schon seit einigen Jahren die japanische Öffentlichkeit in Aufregung hält. Dabei hatte ihn noch ein Jahr zuvor an gleicher Stelle kaum jemand registriert, als er in seinem fünften Marathon in 2:17:54 Zehnter wurde. Ernsthaft begonnen hatte Yuki seine Karriere als Straßenläufer beim legendären Ageo-Halbmarathon zwei Jahre zuvor im Jahr 2008, wo er gleich beachtliche 63:22 erzielte.

Schon diese Zeit muss man vor dem Hintergrund bewerten, dass er es – auch durch Verletzungen und den Tod des Vaters bedingt – in seiner Jugend nicht schaffte, in eines der professionellen Teams aufgenommen zu werden, ohne deren Zugehörigkeit in der Eliteklasse Japans sprichwörtlich nichts „läuft". Yuki begann nach seiner Ausbildung einer vollen Tätigkeit in der Verwaltung einer Highschool am Stadtrand Tokyos nachzugehen, 8 bis 9 Stunden pro Tag, das Training erfolgte außerhalb der Dienstzeit in den Morgen- oder Abendstunden … und in einer großen Anzahl von Wettkämpfen, die zum Teil im Wochenrhythmus auf dem Programm standen.

Dabei trainiert er mit ca. 600 km im Monat deutlich weniger als die professionelle Konkurrenz und in eigener Regie. Seine Anmeldungen vollzog er wie jeder normale Teilnehmer, d.h. Startgebühren und keine Antrittsgelder. Damit sind schon die wichtigsten Eigenschaften benannt, mit denen er einer stetig wachsenden Anhängerschaft auffiel.

Sein Marathondebut beim traditionellen Beppu-Oita-Marathon 2009 in 2:19:26 und die Verbesserung auf 2:18:18 beim Tokyo-Marathon bereits einen Monat später gingen noch mit den Plätzen 20 und 19 unter, wie auch im Dezember die 2:17:33 in Fukuoka. Erstmals in der Öffentlichkeit wurde der junge Nachwuchsmann dann 2010 beim Tokyo-Marathon registriert, wo er bereits als Vierter in 2:12:36 einlief und dabei viele professionell laufende Landsleute hinter sich ließ. Im Februar 2012 gelang dann der endgültige Aufstieg in die japanische Spitze und Öffentlichkeit.

Anfang des Monats deutete er mit 1:02:40 beim Kagawa Marugame Halbmarathon bereits an, was er am Monatsende beim Tokyo-Marathon umsetzte. In einem Kampf auf Biegen und Brechen mit seinen Landsleuten verausgabte er sich bis ans Limit und wurde in beachtlichen 2:08:37 als Vierter nicht nur bester Japaner, sondern mit seinem großartig von Fuji-TV in Szene gesetzten Kampf gegen die professionelle Konkurrenz eroberte der 23 jährige Außenseiter die Herzen der Japaner im Sturm.

Und diese Begeisterung wurde noch durch sein Verhalten gesteigert, das mit so gut wie allen Konventionen brach und in der festgefügten Gesellschaft Japans so gut wie undenkbar schien. Doch Yuki ging von Anfang an unbeeindruckt seine eigenen Wege und blieb sich mit dieser Einstellung bis heute treu. Das beeindruckte viele Landleute, verschaffte ihm aber nicht nur Freunde, vor allem im Lager des professionellen Laufsports seines Landes. Und ob nun bewusst oder unbeabsichtigt, es gelingt ihm sehr glaubhaft, diese Attitüden auch zu leben.

Eine erste Kostprobe seines unkonventionellen Auftretens gab er nach seinem Durchbruch beim Tokyo-Marathon 2011, wo er gleich nach der Siegerehrung zu seiner Arbeitsstelle abreiste – den Koffer hatte er schon zum Marathon mitgebracht -, um am nächsten Morgen in aller Frühe bei der Einschulung eines neuen Jahrgangs an seiner Schule vor Ort zu sein.

Was sich vor der Highschool an diesem Morgen durch die kaum zu bändigenden Medienvertreter abspielte, gehört bereits heute in den Bereich der Legenden. Yuki Kawauchi kannte in Japan plötzlich so gut wie jeder. Und es war die Leistung in Tokyo, die ihm – nicht ganz ohne Neid aus dem professionellen Lager – einen Platz im japanischen Team bei der Leichtathletik-WM im koreanischen Daegu einbrachte, wo er als 18. in 2:15:34 zum zweiten Platz seines Landes im Teamwettbewerb beisteuerte.

Danach folgten eine ganze Reihe von Wettkämpfen, die dann im schon zu Anfang benannten dritten Platz in Fukuoka 2011 in 2:09:57 mündeten, die aber vom Verband für eine Nominierung fürs Olympiateam seines Landes für London 2012 als nicht ausreichend erachtet wurden. Zu Anfang des Olympiajahrs 2012 zeigte er mit 1:02:18 eine weitere Steigerung im Halbmarathon, aber beim eiskalten Tokyo-Marathon verpasste er in 2:12:51 mit einer weniger überzeugenden Leistung die Olympiateilnahme endgültig, wie übrigens auch Haile Gebrselassie, der im gleichen Lauf nur Vierter wurde.

Und unkonventionell wie Yuki nun einmal ist, entschuldigte er sich in der Öffentlichkeit für sein schwaches Abschneiden auf seine Art… und war kurz danach mit einer Glatze zu bewundern. Auch diese eigenwillige Aktion registrierten die Medien mit Begeisterung und warteten nur noch begieriger auf neue Eskapaden des „enfant terrible".

Die Olympiaqualifikation zeigte aber auch, wie sehr sich das professionelle Lager in Japan von dem eigenwilligen Konkurrenten angegriffen fühlte. In einer Zeit, wo der Läufer-Nachwuchs Japans in Dichte und Breite – gefördert durch die hochklassigen Ekiden-Staffel-Wettbewerbe – kaum hinter den jungen Kenianern zusteht, geriet die Leistungsspitze international ins Hintertreffen und wurde nun von einem Nobody düpiert, der die Anreisen und Starts selbst bezahlte, propagierte, dass sein Vollzeitjob seine Konzentration für das Laufen sogar fördere und am Fließband Leistungen produzierte, die jeder Trainingslehre und den Prinzipien ausreichender Regeneration diametral widersprechen. Allein 2012 lief er 9 volle und 6 halbe Marathons, von denen er jeweils mehr als die Hälfte gewann.

Auch seinen Auftritt in Deutschland beim Düsseldorf-Marathon 2012 erledigte er in Kawauchi-typischer Manier. Bei seinem ersten Start in einer Region mit erheblicher Zeitverschiebung gegenüber Japan wollte er den Einfluss des Jetlags erproben und dabei gleichzeitig möglichst keinen Arbeitstag verpassen. Mit einer viel zu kurzen Anreise war er nicht im Vollbesitz seiner Kräfte und wurde in 2:12:58 nur Achter, wurde aber von seinen Landsleuten an der Strecke gefeiert wie der Sieger. Noch ereignisreicher war seine Anreise zum Luxor-Marathon, bei der er auf dem Flughafen in Tokyo feststellen musste, dass er seinen Pass zu Hause vergaß. Die eilig informierte Mutter blieb mit diesem im Verkehr stecken, Yuki verpasste den vom Veranstalter bezahlten Flug und kaufte kurzerhand für ein dreimonatiges Gehalt ein Ticket für einen kurz darauf folgenden Flug.

Er gewann nach der ganzen Aktion trotzdem den Luxor-Marathon am 18. Januar 2013 mit einer gewaltigen Verbesserung des Streckenrekords auf 2:12:24, nachdem er sich 5 Tage zuvor beim Sieg im Halbmarathon in Tokyo-Tanigawa mit 1:05:31 „warm" gelaufen hatte.

Diese Läufe zu Anfang des Jahres waren der Beginn einer Serie von Wettkämpfen, die in dieser Häufung ein Tempotraining überflüssig machten. Hatte der Schwede Kjell Eric Stahl in den 1980er Jahren mit 14 Marathons in einem Jahr, alle unter 2:16:11, Maßstäbe gesetzt, so schraubte Kawauchi das damit verbundene Leistungsniveau in neue Dimensionen. Selbst die außergewöhnlichen Leistungen des Kenianers Fred Kiprop, der in Otsu am 3.3.2002 2:09:08 und danach bereits am 15.4.2002 in Boston nochmals ausgezeichnete 2:09:45 lief, verblassen angesichts der neuen Standards, die der Japaner etablierte.

Bereits am 3. Februar 2013 – gut 2 Wochen nach Luxor – sorgte Yuki beim „Besudai", dem Beppu-Oita-Marathon, für Furore, als er den Profi Kentaro Nakamoto in einem dramatischen Finale in Bestzeit von 2:08:15 niederrang und dabei wieder ans absolute Leistungslimit ging. Die TV-Aufnahmen von der Schlussphase gehören auf den Videoportalen mittlerweile zu den Klassikern. 14 Tage später ging er schon wieder ans Limit und unterbot als Sieger bei dem 30km-Klassiker im südjapanischen Kumamoto in 1:29:31 die Schallmauer von 1 ½ Stunden.

Nach einem Intermezzo zwei Wochen später mit einem Halbmarathon in guten 1:03:12, gab es weitere zwei Wochen danach den nächsten Paukenschlag bei International Seoul-Marathon, wo er als Vierter seine Bestleistung um eine Sekunden auf 2:08:14 steigerte. Die angestrebte Zeit von unter 2:07 war außer Reichweite, aber die Abfolge seiner Höchstleistungen ist schlichtweg kaum nachzuvollziehen.

Einen Monat nach Seoul vereitelte ein später Wintereinbruch beim Nagano-Marathon am 21. April die historische Leistung eines weiteren 2:08-Marathons (in einer Zeitspanne von zwei Monaten!). Yuki gewann den Lauf zwar, aber mehr als 2:14:27 waren bei fürchterlichen Bedingungen nicht zu schaffen. Am 4. und 5. Mai lief er zwei „verhaltene" Halbmarathons um 1:06, bevor er eine Woche später beim Sendai-Halbmarathon in 1:03:30 als Zehnter schon wieder alles gab. Dass es auch für den guten Yuki Grenzen gibt, musste er dann 7 Tage später in Gifu erkennen, wo er beim Halbmarathon den Weltrekordler Tadesse aus Eritrea weit davonziehen lassen musste und als 14. „nur" 1:05:05 lief. Seiner Popularität schadete dieses Abschneiden aber kaum. Zumal es fast im Wochentakt weiterging.

Am 2. Juni gewann er schon wieder den Chitose Marathon in 2:18:29, auf Feldwegen wohlgemerkt, gab zwei Wochen später in der Heimat seines Vaters beim Okinoshima Ultramarathon über 50 km wieder alles und musste nach seinem Sieg in 2:57:28 völlig dehydriert ins Krankenhaus eingewiesen werden. Nach kurzem Aufenthalt dort waren schon neue Ziele in Sicht, er wollte drei Wochen später beim Gold Coast Marathon den Streckenrekord mit 2:09:59 auf unter 2:10 Stunden drücken und damit den Lauf gewinnen.

Dass Yuki in der Tat nicht mit normalen Maßstäben zu messen ist, zeigte sich dann am 7. Juli an der australischen Westküste, wo auch nicht in Ansätzen Spuren seines Kollapses nach dem Ultramarathon zu erkennen waren. Der Temposteigerung eines jungen Äthiopiers nach 30 km konnte nur Yuki mit geringem Abstand folgen, um schon kurz danach die Spitze zu übernehmen und souverän zu gewinnen. Nur kräftig auffrischender Wind verhinderte auf den Schlusskilometern, dass Yuki nicht auch seine Zeitprognosen exakt erfüllte. Mit 2:10:01 lag er zwar 2 Sekunden über seine Prognose, den Streckenrekord stellte er aber immer noch auf die Sekunde ein. In der Tat bemerkenswert war an der Gold Coast seine Zwischenzeit an der 40 km Marke: 2:03:13 extrapoliert sich bei gleichmäßigem Tempo auf 2:09:59! Und seine Nettozeit belief sich auf 2:09:58 …

Am 17. August steht nun nach zwei weiteren Rennen auf Unterdistanzen der Saisonhöhepunkt für Yuki bei der WM in Moskau an. Dort wird er die japanischen Farben vertreten und seinen siebten (!) Marathon des Jahres 2013 laufen. Seine Prognose auf einen Platz unter den ersten Acht hat er mittlerweile auf eine Platzierung unter den Top 6 revidiert. Das wäre dann in der Tat jenseits aller Normen, vor allem auf diesem Leistungsniveau.

Dabei ist auch ihm klar, dass er aktuell mit der durch Ostafrikaner gebildeten Weltspitze (noch nicht) mithalten kann, dafür sind seine Leistungen auf den Unterdistanzen kaum ausreichend. Aber eine weitere Steigerung bis in den Bereich des japanischen Rekords von knapp über 2:06 Stunden wäre ihm durchaus zuzutrauen, vor allem dann, wenn er sich auf ein professionelleres Training einlässt sowie seine Kräfte besser dosiert und konzentriert. Ein Angebot vom Verbandstrainer, Altmeister Seko, liegt ihm vor, das er aber publikumswirksam bisher ablehnte.

Dass sich die Dinge entsprechend entwickeln, veranschaulicht auch die Tatsache, dass er seine Start mittlerweile nicht mehr bezahlen muss, selbst die Race-Direktoren der Topevents stehen mittlerweile bei ihm an.

Im Herbst ist der Auftritt bei einem der großen Läufe in Übersee geplant, Details dürften in Kürze bekanntgegeben werden. Wünschen wir Yuki bei allen seinen künftigen Auftritten auf den Straßen Japans und außerhalb der Insel viel Erfolg. Für den frischen Wind, den der unkonventionelle Japaner in die Laufszene gebracht hat, kann man ihm nur danken.

Durch sein Beispiel hat er andere Läufer seines Landes motiviert und ist somit an dem wieder erstarkten Leistungsniveau japanischer Marathonläufer nicht ganz unbeteiligt. „Keep on running", Yuki!

Für die Unterstützung und hilfreiche Diskussionen dankt der Autor Brett Larner (Tokyo) von den „Japan Running News" (JRN), der einige japanische Läufer im September 2013 zum Münster-Marathon begleiten wird.

 

Helmut Winter in RUNNING

 

Daten zur Person:

  

Name

Yuki Kawauchi

(川 内 = Fluss – innen)

Alter

26 Jahre  (5. März 1987)

Land

Japan

Größe

174 cm

Gewicht

62 kg

Bestzeiten

HM – 1:02:18 (2012)

 

Marathon – 2:08:14 (2013)

 

5000 m – 13:58.62 (2012)

 

10000 m – 29:02.33 (2010)

 

Yuki Kawauchis bisherige Marathons  (Stand Juli 2013)

  

 

 Datum

  Veranstaltung

  Zeit

 1

2.2.2009

Beppu-Oita-Marathon

2:19:26 (Deb.)

 2

22.3.2009

Tokyo-Marathon

2:18:18 (PB)

 3

6.12.2009

Fukuoka-Marathon

2:17:33 (PB)

 4

28.2.2010

Tokyo-Marathon

2:12:36 (PB)

 5

5.12.2010

Fukuoka-Marathon

2:17:54

 6

27.2.2011

Tokyo-Marathon

2:08:37 (PB)

 7

4.9.2011

WM-Marathon (Daegu)

2:16:11

 8

30.10.2011

Osaka-Marathon

2:14:31

 9

4.12.2011

Fukuoka-Marathon

2:09:57

10

18.12.2011

Hofu-Marathon

2:12:33

11

26.2.2012

Tokyo-Marathon

2:12:51

12

15.4.2012

Kasumigaura-Marathon

2:22:38

13

29.4.2012

Düsseldorf-Marathon

2:12:58

14

1.7.2012

Gold Coast-Marathon

2:13:26

15

26.8.2012

Hokkaido-Marathon

2:18:38

16

16.9.2012

Sydney-Marathon

2:11:52 (CR)

17

21.10.2012

Chiba Aqualine-Marathon

2:17:48

18

2.12.2012

Fukuoka-Marathon

2:10:29

19

16.12.2012

Hofu Yomiuri-Marathon

2:10:46

20

18.1.2013

Luxor-Marathon

2:12:24 (CR)

21

3.2.2013

Beppu-Oita-Marathon

2:08:15 (PB)

22

17.3.2013

Seoul Int.-Marathon

2:08:14 (PB)

23

21.4.2013

Nagano-Marathon

2:14:27

24

2.6.2013

Chitose-Marathon

2:18:29 (CR)

25

7.7.2013

Gold Coast-Marathon

2:10:01 (CR)

 

author: GRR

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