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2025

Symbolbild - Foto: Horst Milde

Wunsch und Wirklichkeit für das Leichtathletikjahr 2025 – Von Dr. Wolfgang Blödorn

By GRR 0

Unlängst hat der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) auf seiner Webseite Leichtathletik.de die Nominierungsrichtlinien für die Weltmeisterschaften (WM) 2025 in Tokio bekanntgegeben.

Damit soll zum einen Sicherheit für die Leichtathleten hergestellt werden, was sie an Leistung erbringen müssen, um für die WM für den DLV startberechtigt zu sein. Zum anderen sollen die Kadernormen der Öffentlichkeit die Leistungsstärke des DLV präsentieren.

Gründe genug, um zu analysieren, wie realistisch die in den Kaderrichtlinien aufgeführten Normen für die sportlichen Erfolge des DLV für die WM 2025 sind.

Seit jeher besitzen Menschen den Wunsch, die Zukunft voraussehen, ja voraussagen können zu wollen. Bereits in der griechischen Antike wurde hierzu das Orakel von Delphi angerufen. Die Priesterin Pythia soll dann in einem traumartigen Rausch Weissagungen, Prognosen zur Entwicklung in der Zukunft kundgetan haben.

Auch in unserer modernen Gesellschaft erscheinen manche Prognosen manchmal etwas euphorisch – oder vornehmer formuliert – gewünscht und im Ergebnis erhofft zu sein. Dabei könnte man mit Hilfe von vorhandenen Fakten und statistischer Wahrscheinlichkeitsrechnung treffsichere Prognosen leisten. Dies trifft auch auf den DLV zu! Wie sieht es in diesem Zusammenhang mit dessen Normen für die WM in Tokio aus? Sind sie eher euphorisch oder realistisch und realisierbar?

In der Leichtathletik sind die mittel- und langfristigen Entwicklungen der Leistungen in den verschiedenen Disziplinen bekannt. Jeder kann diese Entwicklungen, wenn er denn möchte, in Statistiken nachlesen und mit der eigenen Leistungsentwicklung vergleichen. Dieser Vergleich könnte als statistische Grundlage für rationale Entscheidungen, wie z.B. für Kadernormen oder Kadernominierungen herangezogen werden. 

Klar, jede Statistik besitzt ihre Probleme. Dennoch wird die Wettervorhersage als eine Prognose für zukünftiges Handeln i.d.R. akzeptiert und respektiert. Selbst der sich auf empirischen Erfahrungen berufende Hundertjährige Kalender gilt in der Landwirtschaft mit seinen empirischen Grundlagen teilweise noch. Statistik ist demnach kein Teufelszeug, sondern eine Hilfe, Entwicklungen für die Zukunft erkennen und auf deren Grundlage vernünftige Entscheidungen treffen zu können.

In der Trainingswissenschaft als ein Teilgebiet der Sportwissenschaft werden Beobachtungen und praktische Erfahrungen in wissenschaftliche Ergebnisse „übersetzt“. Die Praxis wird so zum Maßstab künftiger Handlungen von Trainern und ihren Entscheidungen. Ihre Entscheidungen sind aber nicht in jedem Fall fehlerfrei, können es aber auch nicht sein. Dennoch es ist möglich, die Qualität von Entscheidungen zu überprüfen, indem man z.B. prüft, wie häufig die Entscheidungen in der Wirklichkeit eingetroffen sind.

Betrachtet der unvoreingenommene Leser die Erfolge der deutschen Sprinter sowie Mittel- und Langstreckler bei den letzten Olympischen Spielen (OS) in Paris 2024 oder den Weltmeisterschaften von Eugene 2022 oder die von Budapest 2023 in der Einzelwertung, dann kommen Zweifel auf, ob – trotz der Kaderzugehörigkeit zum Perspektivkader des DLV – die Prognosen für den Erfolg wirklich auf empirischer, wissenschaftlicher Grundlage ermittelt wurden.

Am 12. August 2024 schrieb Silke Bernhardt auf Leichtathletik.de zum Abschneiden des DLV bei den OS in Paris: „Die nackten Zahlen von vier Medaillen und 51 Nationenpunkten für weitere Platzierungen in den Top Acht bedeuten für die DLV-Auswahl Platz elf im Medaillenspiegel von Paris und Platz neun in der Nationenwertung. So gab es zwar mehr Medaillen als in Athen (2004), Peking (2008), Rio (2016) und Tokio (2021), aber angesichts der Top-Acht-Platzierungen noch keinen Anstieg der Leistungsdichte, die die Chance auf zukünftige Erfolge vergrößern würde.“ Dennoch hält der DLV, zumindest offiziell, an seinem Leistungsziel, Platz fünf in der Nationenwertung 2028 bei den Olympischen Spielen erreichen zu wollen, fest. Ist die Leistungsdarstellung des DLV vor dem Hintergrund der Nominierungsnormen für die WM 2025 in Tokio realistisch?

Nun ist es so, dass man aus Fehlern und Fehleinschätzungen lernen könnte. So könnte man im DLV neben vielen anderen Möglichkeiten, z.B. die Normen für OS und WM der internationalen Leistungsentwicklung anpassen. Hierzu müssten dann im Gefolge auch die Normen z.B. für den Perspektivkader neu aufgestellt werden. Sind diese Konsequenzen aus der internationalen Leistungsentwicklung der letzten Jahre für das 2025 vom DLV gezogen worden? Die Tabellen 1 und 2 geben hierzu Antworten auf der Basis von Fakten.

Tab. 1: Übersicht Kadernormen und DLV-Perspektivkader – männlich

Tab. 2: Übersicht Kadernormen und DLV-Perspektivkader – weiblich

Zunächst fällt auf, nur zwei Mal (1500 m Männer; 100 m Frauen) ist die Top-Leistung im DLV 2024 besser als die Leistung Platz 30 in der WBL 2024!

Vom Platz 15 in der WBL 2024 sind die DLV-Sprinter sowie Mittel- und Langstreckler noch viel weiter entfernt. Insofern erscheint es unwahrscheinlich, dass die DLV-Nominierungsnormen für Platzierungen ausreichen dürften, einen Platz unter den ersten Acht bei der WM in Tokio zu erzielen. Es darf daher konstatiert werden, die vom DLV veröffentlichten Normen, sowohl für die WM in Tokio als auch für den Perspektivkader, entsprechen nicht dem internationalen Leistungsstand und seiner Entwicklung. Was sind die Gründe, was die Motive für diese vom DLV nicht vorgenommene Leistungsanpassung an die internationale Entwicklung? Mangelnde fachliche Qualität oder den Wissenstand zur Entwicklung der internationalen Leichtathletik sollte man den DLV-Bundestrainer und den DLV-Funktionären in diesem Zusammenhang nicht unterstellen.

Im Zusammenhang mit diesen Überlegungen im DLV sollte auch das Ergebnis des PotAS-Rankings der Sommersportarten in Deutschland 2024 für die in diesem Text betrachteten Disziplinen beachtet werden (vgl. Tab 3).

Tab. 3: Übersicht von Erfolg und Potenzial in den Sprint sowie Mittel- und Langstrecken im DLV im Vergleich zum Mittelwert aller Sommersportarten in Deutschland 2024

Sp/Hü = Block Sprint/Hürden; L/G = Block Lauf/Gehen; M = Männer; F = Frauen

Sowohl beim Erfolg, und was noch wichtiger ist, als auch beim Potenzial liegen die Leistungen im DLV-Sprint sowie im DLV-Mittel- und Langstreckenlauf sehr deutlich unter dem Mittelwert aller Sommersportarten in Deutschland. Dieses Ergebnis entspricht durch aus den Erfahrungen und Platzierungen der DLV-Läuferinnen und -Läufer bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen in Einzeldisziplinen der letzten Jahre.

Die in den Nominierungsrichtlinien geforderten Normen scheinen nicht recht zur Leistungswirklichkeit im DLV zu passen.

Vor dem Hintergrund der hier vorgestellten deutlichen Leistungsdifferenzen zwischen der Norm für die Perspektivkader im DLV und der Weltklasse könnte man sich über die Zahl der DLV-Nominierungen für den Perspektivkader verwundert die Augen reiben.

Der DLV hat insgesamt für die hier angeführten Strecken insgesamt ca. 70! Nominierungen für den Perspektivkader 2025 ausgesprochen. Wie kommen die DLV-Trainer und -Funktionäre aufgrund der Leistungen in den letzten Jahren auf diese hohe Zahl möglicher DLV-Sprinter und -Läufer für 2025?

Auch 19jährige Läuferinnen und Läufer besitzen den Perspektivkaderstatus.

Hier schauen die DLV-Trainer und -Funktionäre schon sehr weit in die Zukunft. Dabei ist bekannt, dass diese Nachwuchsläuferinnen und –läufer physiologisch in diesem Alter noch gar nicht so weit ausgereift sind. Insofern besitzt eine Prognose, sie könnten 2028 bei den Olympischen Spielen Platz Acht und besser erreichen, schon etwas Wagemut. Dabei wird der DLV-Vorstandsvorsitzende, Cheick-Idriss Gonschinska, in einem Impulsvortrag auf der Leistungssportkonferenz im Mai 2024 in Hamburg wie folgt wiedergegeben: „Dies untermauerte der Sportwissenschaftler mit aktuellen Forschungsergebnissen. Demnach ist Erfolg im Jugendalter ein deutlich geringerer Garant für Erfolge im Erwachsenenalter als gemeinhin angenommen. Vielmehr liege der Verdacht nahe, dass erfolgreiche Erwachsenen-Sportler:innen und erfolgreiche Jugend-Athlet:innen zwei unterschiedliche Gruppen seien.“ Diese richtige, sportwissenschaftliche Erkenntnis scheint noch nicht bei allen Trainern und Funktionären im DLV und seinen Mitgliedern angekommen zu sein!

Zusammenfassend darf man festhalten, die Normenfestlegungen im DLV entsprechen nicht internationalem Standard!

Sie liegen z.T. sehr deutlich darunter! Wie kann dem DLV geholfen werden, realistische Normen aufstellen zu können? Eine Möglichkeit der schon länger andauernden Fehleinschätzung der Leistungsfähigkeit der Sprinter sowie Mittel- und Langstreckler könnte in unzureichenden Instrumenten der Prognoseeinschätzung liegen. Dabei bestehen andere Modelle, wie die erfolgreicheren Nationen wie der DLV belegen, um zu besseren Leistungseinschätzungen von Kadermitgliedern zu kommen. Eine weitere Möglichkeit könnten die in der Trainingswissenschaft gefundenen Werte der Koeffizienten der speziellen Ausdauer (KsA) bieten. Dessen Werte ermöglichen eine Leistungsprognose in der Abweichung von weniger als 1 Prozent.

Für Interessierte hier ein Link zur Vertiefung:https://assets-eu.researchsquare.com/files/rs-5185466/v1/ed71964d-1d0a-4186-9e85-8b400b859afa.pdf?c=1729751396.

Allen Freunden der Leichtathletik, allen Sportlerinnen und Sportlern, allen Trainern und Trainerinnen sowie allen Funktionären im DLV wünsche ich ein erfolgreiches Jahr 2025.

Vielleicht kann die Lektüre des Links dazu beitragen.

Dr. Wolfgang Blödorn   –  Preetz, den 25.12.2024

DER ABSTURZ DER LEICHTATHLETIK: In nur drei Jahren rutscht der DLV von Platz Eins ins Mittelfeld ab – Dr. Wolfgang Blödorn

 

 

 

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