Abraham Cheroben - 2015 Berlin 25km Berlin, Germany May 10, 2015 Photo: Victah Sailer@PhotoRun
World Athletics bootet zehn Läufer vor Olympia-Marathon aus
Für zehn internationale Topläufer ist der Traum des Marathon-Olympia-Startes auf fragwürdige Weise geplatzt.
Betroffen ist ausschließlich der Männer-Marathon, der bei den Spielen in Paris für den 10. August geplant ist. Leidtragende sind unter anderen jeweils ein Läufer aus Schweden, der Türkei und den USA. Deutsche Athleten sind nicht betroffen.
Hintergrund ist das eher undurchsichtige Qualifikationssystem des internationalen Leichtathletik-Verbandes World Athletics (WA), das zudem äußerst schlecht kommuniziert wurde. 80 Startplätze standen laut Planung von WA für Männer und Frauen in Paris jeweils zur Verfügung. Vorrang hatte bei der Qualifikation zunächst das Erreichen der Qualifikationszeiten: 2:08:10 Stunden bei den Männern und 2:26:50 bei den Frauen. Verbliebene Plätze sollten nach Ende des Qualifikations-Zeitraumes Anfang Mai über die Weltrangliste vergeben werden.
Als im Laufe des Frühjahres klar war, dass sich über 80 Läuferinnen über die gelaufene Zeit für die Spiele qualifizieren würden, gab es von World Athletics trotz mehrfacher Nachfragen keine Antwort auf die Frage, ob nun tatsächlich auch über 80 Athletinnen starten dürfen und alle mit der Norm auch startberechtigt sein würden. Inzwischen ist auf der Webseite von World Athletics entsprechend markiert, dass dem so ist. Eine klare Antwort gab es vom Verband Anfang April jedoch bezüglich des Männer-Marathons, bei dem am Ende 70 Läufer die Normzeit unterboten: Die noch offenen Plätze würden über die Weltrangliste vergeben, hieß es.
Doch gut einen Monat später gilt das plötzlich nicht mehr.
Zehn Athleten, die davon ausgehen konnten, dass sie aufgrund der Weltranglisten-Position in Paris starten würden, sind nun bei WA als nicht qualifiziert markiert. Auf eine Bitte um eine Stellungnahme zu dieser Entwicklung hat World Athletics bisher nicht geantwortet. Beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), dessen Athleten nicht betroffen sind, wusste man offenbar nichts von einem derartigen Prozedere. Ein Coach des DLV zeigte sich überrascht, zumal der Verband sich im vergangenen Jahr intensiv mit WA bezüglich der Qualifikation ausgetauscht hatte.
Zu den betroffenen Athleten zählen der Schwede Samuel Tesfamariam, der Türke Ilham Tanui Özbilen, der US-Amerikaner CJ Albertson (sein Startplatz wäre aufgrund einer US-internen Regelung an Leonard Korir übergegangen) und der Halbmarathon-Weltklasseläufer Abraham Cheroben (Bahrain), der in Hamburg Ende April sein Marathon-Debüt in 2:09:20 gelaufen war. In Australien, wo Liam Adams betroffen ist, wurde eine Petition gestartet, um World Athletics zum Umdenken aufzufordern: https://www.change.org/p/reinstate-olympic-marathon-prospects-unfairly-disqualified-by-world-athletics
Zeitweise hatte der Hamburger Haftom Welday gut im Rennen gelegen um einen Startplatz über die Weltrangliste. Da dann aber überraschend vier deutsche Läufer die Olympia-Norm unterboten (maximal drei dürfen pro Nation starten), war Haftom Welday aus dem Rennen. Zumindest blieb ihm der Schock erspart, im letzten Augenblick das vermeintliche Startrecht zu verlieren.
Statt jener zehn Athleten, die sich sportlich qualifiziert hatten, hat World Athletics die Startplätze nun sogenannten „universality places“ zugeordnet. Während der Verband bei den Männern strikt die 80 Startplätze einhält (das IOC hatte die Gesamt-Teilnehmerzahl in der Leichtathletik reduziert), werden aber im Frauen-Rennen 95 Athletinnen starten. 88 qualifizierten sich über die gelaufene Zeit und sieben weitere gehören zu den „universality places“. Einen „Universality“-Startplatz können Nationen erhalten, die in den olympischen Leichtathletik-Wettbewerben entweder keinen Mann oder keine Frau am Start haben. Sie müssen dann wählen zwischen den 100 m, den 800 m und dem Marathon. Wie unter anderen die US-Internetseite „letsrun.com“ berichtet, gab World Athletics den „universality places“ Priorität gegenüber den über die Weltrangliste qualifizierten Athleten. Die amerikanischen Journalisten fanden heraus, dass der Sudan nun mit Yaseen Abdalla einen Läufer ins Rennen schickt, der eigentlich nur Bahn-Langstrecken rennt und noch nie einen Marathon gelaufen ist.
Durch Vergabe dieser zusätzlichen Startplätze erreicht World Athletics eine stärkere Internationalität bei der olympischen Leichtathletik, mit der der Welt-Verband wiederum auch wirbt. Es gibt in der Tat nur ganz wenige Sportarten, die bei großen globalen Meisterschaften Teilnehmer aus derart vielen Nationen vorweisen können.
Im Fall des olympischen Männer-Marathons ist für World Athletics nun aber offenbar die Globalität wichtiger als die Leistung.
Jörg Wenig / Race News Service