Es ist nicht zu verantworten, dass unter diesen Bedingungen ein Marathon ausgetragen wird, sagte Mark Milde, Renndirektor des Berlin-Marathons
WM-Aktuell: Heiße Umleitung -Der Berliner Geher Höhne bricht kurz vor dem Ziel zusammen, weil er in der Hitze fehlgeleitet wurde – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel – Für alle gleich – gleich schlecht – über die tropischen Bedingungen bei der Leichtathletik-WM
Osaka – 34 Grad im Schatten, nichts mehr zu trinken, keine Schwämme mehr, um den völlig überhitzten Körper ein wenig zu kühlen. Das alles hatte André Höhne im 20-Kilometer-Gehen bis fast zum Schluss ausgehalten. Doch die Hitze hatte wohl auch einen Kampfrichter angegriffen. Der dachte, Höhne müsse eine letzte Runde laufen und schickte ihn noch mal auf den Kurs anstatt Richtung Ziel. Ein anderer Kampfrichter bemerkte etwas später den Irrtum und schickte Höhne zurück. Doch dem Geher des SC Charlottenburg war es da schon zu viel geworden. Das Stadion erreichte er noch, 200 Meter vor dem Ziel brach er dann bewusstlos zusammen. „Irgendwie ist mir alles weggesackt. Als ich wieder aufgewacht bin, dachte ich auch, ich sei ins Ziel gekommen.“ Doch in der Statistik taucht Höhne am Schluss auf. Unter denen, die das Rennen nicht zu Ende gegangen sind.
Höhnes Zusammenbruch ist für die deutschen Leichtathleten das bisher größte Ärgernis bei dieser Weltmeisterschaft. Denn als Höhne die falsche Anweisung erhielt, lag er auf Platz vier. Bei der WM vor zwei Jahren in Helsinki war der 29-Jährige auch schon Vierter geworden. Mit einer finalen Anstrengung hätte er diesmal vielleicht noch eine Medaille gewinnen können. Es wäre die erste für die Deutschen in Osaka gewesen. „Ich fühle mich da auch ein bisschen betrogen“, erzählte Höhne Stunden später. Da hatte er noch einen zweiten Zusammenbruch und eine Behandlung in der Klinik hinter sich. Völlig dehydriert sei er, sagten die Ärzte, und dass er jetzt viel trinken solle.
Als er etwas haben wollte, wurde er gefragt: „Haben Sie denn Geld dabei?“ Irgendwie passte die Frage an diesem Tag ins Gesamtbild. Denn irgendwann ging den offiziellen Helfern an der Strecke das Wasser aus, die Athleten hatten in der Gluthitze nichts mehr zu trinken. Von diesem Moment an wurde es gesundheitlich wirklich gefährlich. Denn selbst mit Wasserzufuhr lässt sich die Flüssigkeitsmenge nicht ersetzen, die der Körper verdunstet. Aber ohne Wasser trocknet der Körper aus. „Als dann nichts mehr zu trinken da war, brachen viele reihenweise ein“, sagte Höhne. Wassermangel bei einer WM, da waren viele Beobachter fassungslos.
Zwischen der falschen Anweisung und Höhnes unfreiwilliger Aufgabe sah der deutsche Chefbundestrainer Jürgen Mallow einen Zusammenhang: „Erst wird nichts zum Abkühlen angeboten, dann wird man auch noch falsch eingewiesen, das schlägt auf den Körper. Das alles ist ein psychischer Schock.“ Das Ende des Rennens war überhaupt ein Bild der Erschöpfung. Als der Sieger Jefferson Pérez (Ecuador) nach 1:22:20 Stunden das Ziel erreichte, damit seinen dritten WM-Titel gewonnen hatte und sich auf die Bahn fallen ließ, fingen seine Beine an zu zucken, als würde er mit Elektroschocks gequält. Über die japanischen Organisatoren wollte sich Mallow zu Beginn der WM nicht äußern.
Mit diesem Vorsatz hat er jetzt gebrochen. „Bisher haben wir die organisatorischen Mängel hier hingenommen: dass Athleten manchmal nichts mehr zu essen bekommen oder nicht rechtzeitig ins Training gefahren werden. Wenn aber Wettkampfergebnisse verfälscht werden, können wir das nicht mehr akzeptieren.“ Der Deutsche Leichtathletik-Verband legte Protest ein. Dass mehr als eine Entschuldigung dabei herauskommt, glaubt er aber nicht. Zu diesem offiziellen Protest kam Mallows öffentlicher: „Diese Organisatoren sind in Teilen überfordert. Die WM findet ja ohnehin nur wegen der Sponsoren in Japan statt und weil der Weltverband sonst pleite wäre“, sagte Mallow. Wie viel sich die Funktionäre des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF) um die Athleten kümmerten, könne er von der Tribüne aus verfolgen: „Hinter den Scheiben schauen Herren in Anzügen in wohltemperierten Räumen den Athleten aus großer Distanz zu.“
Mallows Kritik wollte Helmut Digel nicht so stehen lassen. Digel gehört dem Council der IAAF an. „Man kann die Frage nach der Distanz zwischen Athlet und Funktionär diskutieren. Aber dafür muss man sich auskennen und akzeptieren, dass es in Verbänden Arbeitsteilung gibt. Professionelle Leichtathletik sieht heute anders aus als die, die Herr Mallow betrieben hat.“ Weltmeisterschaften könnten nicht immer in Europa stattfinden: „Wir sollten unseren Eurozentrismus ablegen. Die Afrikaner müssen auch ständig in europäischem Klima laufen.“ Die Klimadebatte ist nun ausgebrochen. Denn auch 27 Marathonläufer hatten ihr Rennen nicht durchgestanden. „Es ist nicht zu verantworten, dass unter diesen Bedingungen ein Marathon ausgetragen wird“, sagte Mark Milde, Renndirektor des Berlin-Marathons.
Friedhard Teuffel
Der Tagesspiegel
Montag, dem 27. August 2007
Für alle gleich – gleich schlecht -Friedhard Teuffel über die tropischen Bedingungen bei der Leichtathletik-WM
Hitze macht vergesslich, und bei diesen Weltmeisterschaften der Leichtathletik ist wohl in Vergessenheit geraten, für wen sie eigentlich stattfinden sollten. Für die Athleten – auch für Ausdauerathleten. Aber für Marathonläufer und Geher finden in Osaka vor allem Wettbewerbe um die beste Tropentauglichkeit statt. Und weil Temperaturen von 32 Grad und die hohe Luftfeuchtigkeit dafür offenbar nicht ausreichen, haben die Organisatoren es noch schwerer gemacht, indem sie beim Gehen am Ende nichts mehr zum Trinken angeboten haben und beim Marathon zum Kühlen warmes Wasser. Die Bedingungen sind für alle gleich. Gleich schlecht.
Warum der Weltmeistertitel im Marathon immer mehr an Wert verliert, ist da nicht verwunderlich.
Natürlich kann auch in Japan eine Leichtathletik-WM stattfinden. Aber musste es diese Jahreszeit sein, musste es Osaka sein? Hätten nicht wenigstens die Straßenläufe einfach ausgegliedert werden können? Könnten die Organisatoren vor Ort nicht flexibler sein? Man darf dem Internationalen Leichtathletik-Verband zutrauen, dass er sich diese Fragen nicht mal gestellt hat. Denn am Ende zählte bei der Vergabe auch der Einfluss der Sponsoren.
Der Verband funktioniert ähnlich wie das Internationale Olympische Komitee. Da geht es bei der Auswahl von Veranstaltungsorten und anderen Wahlen um Geschäfte und Gegengeschäfte. Nur zur Erinnerung: Die Olympischen Winterspiele 2014 hat das IOC nach Sotschi vergeben. Was die Athleten dort erwartet, kann das IOC nicht wissen, denn es gibt noch keine einzige Sportanlage.
Aber es werden sich schon Sieger finden lassen.
Friedhard Teuffel
Der Tagesspiegel
Montag, dem 27. August 2007