Tim Tschauder - LSB Inklusionsbeauftragter in seinem Büro beim LSB
Wir alle möchten selbstbestimmt leben. Tim Tschauder, Inklusionsmanager des Landessportbunds Berlin, über Inklusion als Menschenrecht, inklusive Sportstätten und Ausbildung – SPORT in BERLIN
Kannst du kurz sagen: Was ist Inklusion?
Menschen mit Behinderung können selbstbestimmt am Sport teilhaben. Also nicht nur mitmachen, sondern auch selbst gestalten und mitbestimmen. Inklusion bedeutet auch, dass ich in diesem Interview so antworte, dass möglichst viele mich verstehen – man kann kompliziert oder einfach antworten, ich versuche es einfach.
Warum ist Inklusion in den letzten Jahren so ein Mega-Thema geworden?
Ist das so? Ich hoffe, immer mehr Menschen verstehen, dass Inklusion ein Menschenrecht ist. Inklusion ist kein Gefallen, den man jemanden tut. Durch die Special Olympics World Games wird viel über Inklusion gesprochen. Alle, die mit der Organisation zu tun haben, arbeiten hart daran, dass es auch nach den Spielen so bleibt.
Im Sport – inwiefern ist das etwas Besonderes im Vergleich zu Inklusion in anderen gesellschaftlichen Bereichen, z. B. Kunst und Kultur?
Eigentlich gibt es keine Unterschiede – fehlende Angebote und Barrieren behindern überall die selbstbestimmte Teilhabe. Sport hat dennoch eine besondere Bedeutung. Er ist wichtig für unsere Gesundheit und unser Selbstvertrauen. Deshalb ist es gut für die ganze Gesellschaft, wenn alle Sport treiben können.
Wie weit ist Inklusion im Sport vorangekommen? Welche Probleme gibt es?
Einige großartige Vereine und Personen leisten tolle Arbeit. Ich wünsche mir, dass viele andere Vereine und Menschen das gut finden und mitmachen. Es gibt aber noch viele Probleme, z. B. Hallen und Sportplätze mit Barrieren oder keine Vereine in Wohnortnähe. Die Internetseiten der Vereine sind nicht immer barrierefrei und die Informationen über Sportangebote kommen nicht überall an. Es fehlt Geld für Dolmetscher*innen für Leichte Sprache und Deutsche Gebärdensprache. Und es kommt vor, dass Menschen mit Behinderung diskriminiert und ungerecht behandelt werden.
Ein besonders wichtiges Thema sind die Sportstätten. In Berlin herrscht Sportstättenmangel. Dadurch ist es auch schwer, inklusive Angebote zu machen, oder?
Ja, es gibt viel zu wenig barrierefreie Sportanlagen. Wie soll ich trainieren, wenn ich es nicht schaffe in die Halle zu kommen? Der LSB setzt sich dafür ein, dass neu gebaute Sportanlagen inklusiv sind. So wie jetzt gebaut wird, reicht das nicht immer aus. Das Netzwerk Sport & Inklusion hat einen Kriterienkatalog für barrierefreies Bauen erstellt. Wir verlangen von Politik und Verwaltungen, diesen Katalog zu nutzen. Denn klar ist: Es ist günstiger von Beginn an barrierefrei zu bauen, als teuer nachzubessern.
Wie ist die Situation in der Ausbildung von Trainer*innen? Die Gerhard-Schlegel-Sportschule des LSB macht Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote. Warum sind diese Angebote wichtig und reichen sie aus?
Sie sind wichtig, weil sich viele Trainerinnen und Trainer fragen: „Wie verhalte ich mich in einer bestimmten Situation?“ oder „Wie kann ich in meiner Sportart ein inklusives Angebot aufbauen?“. Wir arbeiten eng mit dem Behindertensportverband, Special Olympics und Vereinen und Verbänden zusammen. Einmal im Jahr organisieren wir gemeinsam den Fachtag SPORT INKLUSIV. Infos über die Angebote gibt es hier: bit.ly/Quali-Inklusion
Inwiefern profitieren Menschen mit und ohne Behinderung, also die ganze Gesellschaft, von Inklusion?
Wie gesagt: Inklusion ist ein Menschenrecht. Deutschland hat 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Das ist schwere Sprache und bedeutet, dass Deutschland und wir alle dafür sorgen müssen, dass Menschen mit Behinderung ihre Rechte bekommen und nicht schlechter behandelt werden dürfen als andere. Selbstverständlich profitiert die Gesellschaft davon, wenn sie sich an Menschenrechte hält. Wir alle möchten selbstbestimmt leben. Wir wollen frei entscheiden, was wir tun, welchen Sport wir ausüben und mitbestimmen. Ich lade alle herzlich ein, sich die Special Olympics World Games vor Ort anzuschauen – sie sind die Antwort auf diese Frage.
In Berlin treibt ein Netzwerk die Inklusion voran. Wer arbeitet dort alles mit und wie bist du dort integriert?
Das Netzwerk Sport & Inklusion ist ein offenes Netzwerk für alle. Es können neue Projekte vorgestellt und von der Erfahrung anderer profitiert werden. Pfeffersport, Sporttreff Karower Dachse, SC Lebenshilfe, Berliner Wasserratten 1889 und andere inklusive Vereine sind immer dabei und helfen. Wir treffen uns alle zwei Monate. Manchmal gründen wir Arbeitsgruppen für einzelne Projekte. Das Netzwerk ist für den Sport in Berlin sehr wichtig. Wir sorgen dafür, dass in der Berliner Politik immer wieder über Inklusion und Barrierefreiheit gesprochen wird. Ich lade alle ein mitzumachen. Einfach eine E-Mail schreiben an: Tim.Tschauder@lsb-berlin.de
Du kennst dich sehr gut aus beim Thema Inklusion, hast auch schon zweimal einen Zertifikatskurs Inklusion durchgeführt. Was konkret machst du außerdem als Inklusionsmanager des Landessportbunds Berlin?
Mein Kollege David Schwinzer und ich beraten Vereine und Verbände. Wir helfen ihnen, inklusive Trainingsgruppen aufzubauen oder ihre Internetseite zu verbessern. Wir suchen Ideen, um Barrieren abzubauen und Geld dafür zu bekommen. Wir wissen nicht alles, aber wir kennen Leute, die helfen. Ich helfe auch Menschen, ihren Lieblingssport in der Nähe zu finden. Und ich sorge dafür, dass auch der LSB selbst inklusiver wird.
Wie hast du dich persönlich dem Thema Inklusion genähert und was bedeutet deine Arbeit als Inklusionsmanager des LSB für dich?
Ich spreche mit vielen Menschen, lerne von ihnen und schaue mir die Dinge vor Ort an. Das ist besser als jede Theorie. Fast alle Menschen, mit denen ich zu tun habe, möchten etwas verbessern. Wir begegnen uns alle mit viel Respekt. Das fühlt sich gut an.
Was wünschst du dir von den Special Olympics World Games in Berlin?
Dass die Menschen aus aller Welt hier bei uns ein riesiges und fröhliches Sportfest feiern. Dass viele Leute, die Special Olympics nicht kannten, dann sagen: Wow, das ist super und das interessiert mich. Am meisten hoffe ich, dass es mehr Verständnis in der Bevölkerung und in der Politik gibt. Dann wird es einfacher Barrieren abzubauen und die Teilhabe von allen Menschen zu stärken.
Wann ist das Ziel einer inklusiven Gesellschaft erreicht?
Wenn wir nicht mehr darüber reden müssen. Und wir werden wohl immer darüber reden müssen.
Die Fragen stellte Angela Baufeld
Kontakt: Tim Tschauder, LSB-Inklusionsmanager, Tel. 030 300 02 182, tim.tschauder@lsb-berlin.de
Das Interview ist in Einfacher Sprache geschrieben. Die Originalfassung ist online: bit.ly/SiBLSB-3-23
Quelle: SPORT in BERLIN – 3/2023