Radrennen - Symbolbild - Foto: Horst Milde
Wintersport auf belgisch: Mit geschultertem Rad durch den Morast – Von Klaus Blume
Du riechst ihn noch am anderen Tag, meilenweit – diesen Duft von Frittierfett, Bier und nassen Winterjacken. Jeder weiß dann: Gestern hat hier ein Radrennen stattgefunden. Über Stock und Stein. Mitten im Matsch. Cyclocross nennt man das heute. Und wahrscheinlich wissen sie wirklich nur in Belgien, was das Besondere an solchen Rennen ist.
Doch was ist es wirklich, was da zwischen Nordsee und Ardennen seit Jahr und Tag als „Wintersport“ gilt? Der Flame Mark Lambrechts, Coach des belgischen Rad-Stars Wout van Aert, erklärt diesen Sport so: „Fünfzig Prozent Radfahren, vierzig Prozent Laufen mit geschultertem Rad, zehn Prozent Treppensteigen.“
Sich per Velo im Winter quer durchs Gelände zu schlagen, ist aber in Belgien seit eh und je auch Volkssport. Deshalb gibt es in diesem Land auch so viele Cyclocross-Parcours für Hobbysportler. In Stadtparks, in Wäldern – überall. Es scheint das Einfachste von der Welt zu sein, über einen Rennlenker gebeugt im Winter durch morastiges Gelände zu rasen. Jeder Belgier scheint deshalb auch irgend einem Cyclocross-Club anzugehören. Neben den bekannten Namen wie Wout van Aert prangen auf den meisten Winterjacken und Fahnen denn auch Namen, von denen sogar ich noch nie etwas gehört habe. Und ich reise schließlich seit 1964 alljährlich ins gelobte Land des Radsports.
Und heute? Wout van Aert hatte am 3. Oktober bei Paris-Roubaix, dem berühmtesten eintägigen Rad-Klassiker der Welt, Platz sieben belegt. Anderntags hat er unverzüglich mit den Vorbereitungen auf die Cyclocross-Saison 2021/22 begonnen. In einem unwegsamen Gelände bei Lille brauchte er dabei – per pedes – für 11,19 Kilometer rund 50 Minuten. Er war enttäuscht, schob das miserable Ergebnis aber nicht auf den Regen. Sondern ackerte unerbittlich weiter, Tag für Tag. Es lohnte sich: Zuerst lief er – immer im Gelände – den Kilometer in 4:33, schließlich in 4:20 Minuten. Darauf, sagte er, habe er aufbauen können.
Wout van Aert – so schreiben Brüsseler Zeitungen von Weltgeltung heute – sei wohl der beste Allround-Radsportler, denn es jemals gegeben habe. Er siegt auf Schlamm, Sand, Schnee, Schotter, Asphalt – in den Bergen der Tour de France ebenso wie in den großen Eintagsklassikern. Die renommierten „Het Latste Nieuws“ rühmten überdies seine strikte Konzentration auf den Sport: „Er ist ein großer Radsport-Star. Aber nur das. Punktum. Auf anderen Seiten, als im Sport, taucht er in keiner Zeitung auf.“
Und in Deutschland, wo der Querfeldein-Sport seit Jahrzehnten nur noch Geschichte ist, schon mal gar nicht. Dabei gab es bei uns einst hervorragende Spezialisten in diesem vielseitigen und kräftezehrenden Sport: Der Kölner Tour-Haudegen Rolf Wolfshohl war 1960 und 1961 Querfeldein-Weltmeister. Der Gevelsberger Klaus-Peter Thaler schaffte das 1985 und 1987 und Mike Kluge im Jahre 1992. Bei den Frauen-Weltmeisterschaften triumphierte die unverwüstliche Hanka Kupfernagel gleich viermal: 2000, 2001, 2005 und 2008.
Seit 1950 werden in dieser Sportart nun schon Welttitelkämpfe ausgetragen, und 40mal gewann ein Belgier. Natürlich gibt es auch an diesem Sonntag, neben vielen Volksrennen, wieder einen Cyclocross-Weltcup, im belgischen Namur. Wout van Aert trifft dort auf seinen 24jährigen Landsmann Eli Iserbyt, der sich auf diese Art der Fortbewegung – also Laufen, Radfahren und Treppensteigen – spezialisiert hat. Er gilt als Superstar der Szene und hat mit 13 Jahren damit angefangen.
Warum?
Weil er es im Fernsehen gesehen hatte. „Da fand ich es aufregender als die Tour de France. Deshalb wollte ich es auch machen.“