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19
06
2022

Jürgen May (v.r.) - Foto: Bundesarchiv Bild 183-B0831-0012-003, Jürgen May.jpg Zentralbild Kohls 31.8.1963 XIV. Deutsche Leichtathletik-Meisterschaften in Jena vom (30.8.-1.9.1963) UBz: Jürgen May (SC Turbine Erfurt) - Nr. 228 rechts-gewinnt den zweiten Vorlauf über 1500 m.

Weltrekordläufer auf der Flucht: Jürgen May 80 Jahre alt

By GRR 0

Jürgen May, einer der weltbesten Mittelstreckenläufer in den 1960er Jahren, vollendet2 am Samstag, dem 18. Juni 2022, sein 80. Lebensjahr. Jürgen May ist uns aber nicht nur wegen seiner herausragenden Leistungen auf der 400-m Bahn in Erinnerung, sondern ebenso wegen seines Schicksals als Republikflüchtling aus der DDR u.a. mit Folgen für das Team des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) im Jahre 1969, das mit 29:27 Stimmen die Teilnahme an den Europameisterschaften in Athen wegen seiner Sperre boykottierte.

Doch jetzt erstmal der Reihe nach:

Jürgen May wurde in Nordhausen (Thüringen) geboren. Sein Vater war im Zweiten Weltkrieg gefallen, seine Mutter starb bald nach der Geburt; Jürgen wuchs zusammen mit seinem älteren Bruder bei Adoptiveltern auf. Wie Jürgen May zur Leichtathletik kam, darüber schreibt der Berliner Sportjournalist und Autor Volker Kluge im Lexikon „Sportler in der DDR“ sehr anrührend: „Zur Leichtathletik fand er durch seinen Geschichtslehrer, der ihn beobachte, wie er auf einem Trümmergrundstück seine Trainingsrunden drehte. Er ermöglichte ihm den Wechsel zur Kinder- und Jugendsportschule in Nordhausen.“ Hier wurde der Trainer Ewald Mertens (1909-1965) so etwas wie eine Vaterfigur für Jürgen.

Zum großen „Take off“ seiner Karriere kam es im Sommer 1965, als Jürgen May, der damals für den SC Turbine Erfurt startete, innerhalb von sechs Wochen eine seltene Rekordserie gelang: erst Europarekord über 1.500m (3:36,4 Min.), dann Weltrekord über 1.000 m (2:16,2 Min.), es folgten noch zwei DDR-Rekorde über 800 m und eine Meile, den Meilen-Weltrekord verfehlte er bei einem Rennen in Neuseeland nur um zwei Zehntel. Bereits 1963 war er Weltrekord mit der 4×1.500 m Staffel der DDR gelaufen. Zur Krönung seiner Leistungen wurde Jürgen May zum DDR-Sportler des Jahres 1965 gekürt.

Ganz anders verlief dagegen dann das Jahr 1966 – stichwortartig dazu nur so viel: zuerst Hallen-Weltrekord über 1.500 m und Europarekord über eine Meile, dann Europameisterschaft in Budapest, Jürgen wird Fünfter über 1.500 m und erreicht das Halbfinale über 800 m. Aber dann dies: Schuhkrieg zwischen adidas und Puma mit „Ausläufern“ in die DDR-Mannschaft, Jürgen May fädelt einen Deal für seinen Mannschaftskameraden Jürgen Haase (geb. 1945) zum Tragen der Puma-Spikes ein. Die Sache fliegt auf. May fällt in Ungnade. Er wird als „Verführer“ vom Deutschen Verband für Leichtathletik (DVfL) der DDR lebenslänglich gesperrt. Seine Stelle als Volontär bei der Erfurter Zeitung „Das Volk“ muss er aufgeben. Er darf fortan nur noch als Hilfssportlehrer an einer Schule arbeiten.

Im Frühsommer 1967 werden dann die Fluchtpläne immer konkreter und schließlich am 25. Juli von professionellen Fluchthelfern realisiert: „versteckt im Kotflügel eines amerikanischen Straßenkreuzers über die ungarisch-österreichische Grenze“, heißt es dazu in einer Publikation „ZOV Sportverräter. Spitzenathleten auf der Flucht“, die parallel zu einer Berliner Ausstellung im Jahre 2011 erschienen ist und wo das Fluchtschicksal von Jürgen May ausführlich dargestellt wurde. Bei der Flucht selbst hatte er „stille“ Unterstützung vom zukünftigen Vereinskameraden beim SV Schwalbe Hanau, Karl Eyerkaufer (geb. 1940), inzwischen ehemaliger hessischer Landrat und Präsident des Sparkassen- und Giroverbands Hessen-Thüringen.

In der Bundesrepublik war Jürgen May offiziell zunächst nicht startberechtigt; er durfte nur für die Uni Mainz bei Veranstaltungen teilnehmen, die zusätzlich beim Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband (adh) angemeldet waren. Seine große Erfolgsserie setzte er zuerst als Deutscher Meister im Crosslauf 1969 fort, es folgten 1970 über 1.500 m und 1971 über 3000 m Hindernis weitere Titelgewinne. In der Halle errang er 1969 den Titel über 1.500 m und von 1970 bis 1972 dreimal den Titel über 3.000 m.

Jürgen May wurde im August 1969 vom DLV in Stuttgart beim Erdteilkampf Europa gegen Amerika nominiert und eingesetzt, wo er Zweiter über 5.000 m wurde. Weil der DLV sich politisch mit der Bonner Regierung einig war, May sei ja nur von „Deutschland nach Deutschland“ gewechselt, wurde May auch für die Europameisterschaften 1969 in Athen gemeldet, blieb jedoch nach dem Veto des DDR-Verbandes wegen Wechsels des Verbandes (vom DVfL zum DLV) bis 1970 gesperrt. Das führte dazu, dass das DLV-Team die Meisterschaften boykottierte und aus Respekt gegenüber den Gastgebern nur symbolisch bei den Staffeln startete.

Jürgen May startete noch einmal bei den Europameisterschaften 1971 in Helsinki über 3.000 m Hindernis, gab jedoch im Vorlauf auf. Bei den Olympischen Spielen 1972 in München schied er als Neunter im Vorlauf über 5.000 m aus. Da hatte die DDR-Sportführung ihn längst aus allen Listen und Dokumenten gestrichen.

Beruflich machte Jürgen May von 1968 bis zu seiner Pensionierung 2005 Karriere als Sportreferent und späterer Dezernatsleiter für Bildung, Kultur und Sport in der Kommunalverwaltung des Main-Kinzig-Kreises. Sein Wissen und seine Erfahrungen auf dem Gebiet des Laufsports hat er inzwischen sogar in einer Schrift „Modernes Mittelstreckentraining Jugendlicher“ weitergegeben.

Jetzt gratuliert Lauf- und Sportdeutschland Jürgen May zu seinem 80. Geburtstag, den er im engsten Familienkreis feiert. Auch mit 80 ist Jürgen May weiterhin laufend unterwegs im 6er Schnitt über 1.000 m, darüber hinaus im Sommer mit seinem Mountainbike und im Winter geht es dann wieder auf Ski in die Berge.

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann

(Wikipedia: ) Persönliche Bestzeiten:
800 m: 1:46,3 min, 25. August 1965, Potsdam
1000 m: 2:16,2 min, 20. Juli 1965, Erfurt
1500 m: 3:36,4 min, 14. Juli 1965, Erfurt – Halle: 3:41,4 min, 23. Februar 1969, Dortmund
1 Meile: 3:53,8 min, 11. Dezember 1965, Wanganui – Halle: 3:58,2 min, 20. Februar 1966, Ost-Berlin
3000 m: 7:54,6 min, 15. Juli 1969, Fulda
5000 m: 13:33,0 min, 2. Juli 1969, Stockholm
10.000 m: 29:32,0 min, 1. Mai 1966, Gera
3000 m Hindernis: 8:32,4 min, 11. Juli 1971, Stuttgart

Quelle: Wikipedia

 

author: GRR