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29
10
2007

Die Fußball-Weltmeisterschaft hat als Muntermacher in Deutschland und als Imagekampagne im Ausland den Maßstab gesetzt. Nun soll die Leichtathletik-WM zum nationalen Anliegen werden

Weltmeisterschaft als nationales Anliegen – Wie die Leichtathleten vom Rand wieder in den Mittelpunkt rücken wollen – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

BERLIN. Das dürfte wohl eine späte Genugtuung sein: Die dreimalige Diskus-Weltmeisterin Franka Dietzsch soll am letzten Tag der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin, am Sonntagnachmittag des 23. August 2009, im Olympiastadion ihren Titel von Osaka verteidigen. Noch hat der Internationale Leichtathletikverband (IAAF) dem Zeitplan des Organisationskomitees nicht zugestimmt.

Doch schon die Absicht, der dann 41 Jahre alten Athletin aus Neubrandenburg zum Finale der Titelkämpfe und wohl auch ihrer Karriere eine große Bühne zu bereiten, sollte wohl entschädigen für die Verletzung aus diesem Sommer. Da waren nämlich die beiden einzigen Weltmeister aus dem deutschen Team, Hammerwerferin Betty Heidler und eben Franka Dietzsch, nicht zur Teilnahme am Istaf im Berliner Olympiastadion eingeladen. Im Gegenteil: Mit der Frage, ob deren Disziplinen überhaupt noch zeitgemäß seien, sorgte Istaf-Geschäftsführer Gerhard Janetzky dafür, dass die beiden nicht mal zu einer Ehrenrunde ins Stadion kamen.

Franka Dietzsch, die damals über diese „Sauerei“ schimpfte, freut sich nun über die Ehre, die ihr zuteil werden soll. „Das wäre schön, vor den besonders vielen Leuten anzutreten, die zur Schlussfeier kommen“, sagte sie am Freitag. Die Diskuswerferin soll helfen, die Pläne der Organisatoren zu realisieren: täglich ausverkauftes Haus und täglich eine Medaille für Deutschland. Selbst die Übersetzung in 500 000 verkaufte Tickets und neun Podiumsplätze – zwei mehr als jüngst in Osaka – macht kaum deutlich, worum die Leichtathleten in zwei Jahren wirklich kämpfen werden: darum, die Kerndisziplin der Olympischen Spiele in Deutschland wieder in der ersten Reihe zu etablieren.
„Die Weltmeisterschaft war dringend nötig“, sagt Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). WM-Vermarkter Michael Mronz sagt es so: „Zielgruppe sind 82 Millionen Deutsche.“

Die Leichtathletik steht in Deutschland mit dem Rücken zur Wand. Die Gefahr, Randsportart zu bleiben, liegt nicht nur im scharfen Rückgang der Erfolge bis zu den zwei Silbermedaillen der Olympischen Spiele von Athen 2004 begründet. Auch der Ansehensverlust durch Dopingfälle – Marion Jones in Amerika, Thomas Springstein in Magdeburg – haben dazu beigetragen. Die wichtigsten Wettkämpfe der internationalen Leichtathletik, von der Golden League bis zu den größten Marathons, finden im Fernsehen keine Beachtung. Leipzig gab seine Bewerbung um die Hallen-Europameisterschaft 2011 auf, weil der Mitteldeutsche Rundfunk die Garantie zur Produktion von Fernsehbildern von der zweitägigen Veranstaltung verweigerte.

Die Fußball-Weltmeisterschaft hat als Muntermacher in Deutschland und als Imagekampagne im Ausland den Maßstab gesetzt. Nun soll die Leichtathletik-WM zum nationalen Anliegen werden. Die Bundeshauptstadt steuert zum Etat von 44 Millionen Euro allein 27 Millionen bei. Von der Bundesregierung erwarten die Leichtathleten zusätzlich Silberglanz und klingende Münze. Finanzminister Peer Steinbrück hat sich überzeugen lassen, 2009 eine Gedenkmünze zur WM aufzulegen.
Erst zweimal hat es in der Bundesrepublik Sport-Münzen gegeben: bei den Olympischen Spielen 1972 und der Fußball-WM 2006. Damit einher soll die Unterstützung eines Kulturprogramms gehen; immerhin machte der Bund für das der Fußball-WM 26 Millionen Euro locker.

Zur Fan-Meile soll die Rennstrecke werden: der Rundkurs für Geher und Marathonläufer durch das Regierungsviertel zum Brandenburger Tor. Berlin wird die erste Weltmeisterschaft sein, bei der das Ziel der Langläufer nicht im Stadion liegt. Die nächste Party ist auch schon geplant.
Der DLV will sich um die erste Europameisterschaft nach dem neuen Rhythmus bewerben: die im Olympiajahr 2012.

MICHAEL REINSCH
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Sonnabend, dem 27. Oktober 2007

author: GRR

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