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2010

Das Einzige, was geblieben ist, ist mein Europarekord... die 8,71 Meter im Weitsprung. Ich sage Caro: Lass es sein und hol im Sommer Gold!

Weitspringer Sebastian Bayer – „Das war alles am Limit“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

02. März 2010 Trotz Verletzung wurde Hürdensprinterin Carolin Nytra Hallenmeisterin. Macht die Freundin von Weitspringer Sebastian Bayer den gleichen Fehler wie er? Im F.A.Z.-Interview spricht Bayer über unbedeutende Erfolge in der Halle und Unmengen Voltaren.

Sie sind Zuschauer der deutschen Hallenmeisterschaft gewesen und tragen einen Riesenstiefel. Ist das Folge der Operation ihres linken Fußes?

Die ist schon lange her. Seit zwei Wochen habe ich ein Knochenödem, so etwas wie eine Prellung des Knochens. Ich will auf Nummer Sicher gehen und habe den Fuß für vier Wochen stillgelegt. Ich hätte ihn auch eingipsen lassen können.
 
Sie waren schon wieder im Training?

 
Seit zwei Monaten. Es lief so gut, dass ich überlegt habe, in der Hallensaison im Sprint zu starten. Ich war sehr zuversichtlich. Und ich bleibe auch zuversichtlich; bis zur Europameisterschaft in Barcelona im August ist noch viel Zeit, mich vorzubereiten.

Ihre Lebensgefährtin Carolin Nytra hat sich am Sonntag im Hürdensprint mit 7,89 Sekunden für die Hallen-WM in zwei Wochen in Doha qualifiziert. Aber sie leidet an sehr starken Schmerzen der Archillessehne. Was raten Sie ihr?
 
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht gut ist, unter Schmerzen Sport zu treiben, dass man dann keine Bestleistung bringen kann. Wenn sie beschwerdefrei gewesen wäre, hätte sie heute womöglich noch schneller laufen können. Die Europameisterschaft in Barcelona ist das große Ziel in diesem Jahr und dort ist sie, wenn es so weitergeht, Medaillenfavoritin. Deshalb würde ich an ihrer Stelle die Sehne ausheilen lassen. Eine entzündete Sehne ist eine angegriffene Sehne. Ich würde auf die WM verzichten, denn die hat ja leider die Vorsilbe Halle. Erfolge in der Halle zählen hierzulande leider nichts. Wer weiß noch, wer vor einem Jahr in Turin EM-Medaillen gewonnen hat? Das Einzige, was geblieben ist, ist mein Europarekord… die 8,71 Meter im Weitsprung. Ich sage Caro: Lass es sein und hol im Sommer Gold!

Sie sind im vergangenen Jahr trotz einer Fußverletzung bei der WM in Berlin angetreten …

Deshalb weiß ich, wovon ich spreche. Ich hätte ins Finale kommen können. In der Qualifikation habe ich drei Sprünge über 8,10 Meter gemacht; zwei waren ungültig, einer zu früh vorm Brett. So etwas ist Roulette. Wenn man verliert, verliert man dreimal so viel.

Sie haben auf Sieg gesetzt wie Stephen Hooker, der mit einem einzigen Sprung Weltmeister im Stabhochsprung wurde.

Das war mein Plan: in der Qualifikation einen Sprung von 8,05 Meter machen. Und im Finale mit zwei, drei Versuchen vielleicht auf 8,20 Meter kommen. Wenn bei Hooker die Adduktoren gerissen wären, hätten alle gesagt: Was für ein Trottel! So ist er der Held.

War Ihr WM-Start in Berlin also ein Fehler?

Ja. Eigentlich hätte ich nicht springen dürfen. Das haben mir die Ärzte, mein Trainer und mein Bundestrainer geraten. Aber ich wollte auf keinen Fall die Heim-WM verpassen. Ich wusste, dass ich keine Medaille machen würde, weil ich vier Wochen nicht trainieren konnte. Aber ich wusste, dass ich so um die 8,20 Meter schaffen könnte.

Hat der Start Ihre Verletzung verschärft?

Ich vermute es. Bei den Sprüngen lastet jedes Mal ein Druck von rund einer Tonne auf dem Fuß. Und einmal bin ich so blöd mit der verletzten Stelle auf den Plastilinrand getreten, dass mir vor Schmerz die Tränen in die Augen geschossen sind. Ich habe mich nicht eingelaufen, weil ich solche Schmerzen hatte. Ich habe mich von einem Physiotherapeuten warm stretchen und massieren lassen. Ich habe keine Kontrollanläufe gemacht. Alles zum ersten Mal in meinem Leben, und das beim wichtigsten Wettkampf des Jahres!

Hat das Erlebnis Sie belohnt?

Die Stimmung habe ich erst mitbekommen, als ich auf der Tribüne saß. Im Innenraum habe ich nicht realisiert, was um mich herum los war. Vielleicht durch die Schmerzen, vielleicht, weil ich zu viel Voltaren drin hatte. Das war alles am Limit.

Welches war die Höchstdosis des Schmerzmittels?

Ich bin über tausend Milligramm gegangen über den Tag. Und obwohl ich zusätzlich eine Spritze in den Fuß bekommen habe, habe ich die Schmerzen gespürt. Die werde ich so schnell nicht vergessen.

Hat Carolin Nytra Ihre Unvernunft kommentiert?

Wir haben intensiv darüber diskutiert. Sie hat hinter mir gestanden. Deswegen rate ich ihr zwar, nicht zu starten, wenn sie Angst um ihren Körper hat. Aber wenn sie es trotz allem tun will, stehe ich hinter ihr.

 Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 2. März 2010

author: GRR

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