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16
07
2007

Das Dopingproblem des olympischen Kernsports spielt dabei wohl eher eine geringe Rolle, allzu empfindlich ist die Mediengesellschaft ja nicht, wie man beim Radsport sehen kann. Es liegt an der Leichtathletik selbst, deren Dramaturgie mit ihren gleichförmigen Abläufen offensichtlich nicht mithalten kann mit den allgegenwärtigen Sportspielen.

Wege zu den Sternen – Weltrekorde oder ausgeglichene Duelle – die Leichtathleten diskutieren, was ihnen auf Dauer mehr Aufmerksamkeit bringt – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

By GRR 0

Das Geschäft mit der Aufmerksamkeit ist auch nicht leichter geworden, aber Jelena Isinbajewa, die Stabhochsprung-Olympiasiegerin aus Russland, hat wenigstens eine klare Vorstellung davon, wie sie darin bestehen kann. Sie muss das sein, was der Volksmund einen Star nennt, schön also, sichtbar für alle und sehr weit oben. So viel Offenheit wie möglich hat sie sich deswegen verschrieben, wenn sie in die Öffentlichkeit tritt, und eine unverwüstliche gute Laune, die ihr allerdings manchmal etwas zu laut gerät.

„Wissen Sie”, lehrt sie, „um ein Star zu sein, reicht es nicht, Ergebnisse zu haben. Sie brauchen Persönlichkeit.” Aber Ergebnisse natürlich auch. Sehr gute Ergebnisse. Weltrekorde sogar, davon ist Jelena Isinbajewa überzeugt. Sie sagt: „In manchen Disziplinen der Leichtathletik ist es unmöglich, Weltrekorde zu brechen, also können Sie von diesen Disziplinen durchaus sagen, dass sie sterben. Weil sie keine Sensationen haben.”

Das ist die Debatte, welche die Leichtathletik seit geraumer Zeit umtreibt, und die gerade aus Anlass des Golden- League-Meetings in Rom an diesem Freitag besonders dringlich erscheint, weil die dritte Etappe der sechsteiligen Wettkampfserie traditionell sehr schlecht besucht ist. Was braucht die Leichtathletik, um außerhalb von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen nicht in der Bedeutungslosigkeit des weiten Sportmarktes zu verschwinden?

Die Frage beschäftigt jemanden wie Jelena Isinbajewa sehr, denn es ist mittlerweile schon fast ein Wesensmerkmal der modernen Geld-Gesellschaft, dass die Leichtathletik in der Fernsehunterhaltung neben Fußball und anderen Spielen kaum noch vorkommt.
Das Dopingproblem des olympischen Kernsports spielt dabei wohl eher eine geringe Rolle, allzu empfindlich ist die Mediengesellschaft ja nicht, wie man beim Radsport sehen kann. Es liegt an der Leichtathletik selbst, deren Dramaturgie mit ihren gleichförmigen Abläufen offensichtlich nicht mithalten kann mit den allgegenwärtigen Sportspielen.

Weltrekorde sind also Jelena Isinbajewas Lösung. Sie hat diese Meinung wohl entwickelt, als sie selbst noch als Weltrekord-Garantie unterwegs war und mit ihren zentimeterweisen Verbesserungen fast wöchentlich Schlagzeilen machte. Allerdings ist ihr seit ihrem WM-Sieg von Helsinki mit 5,01 Meter 2005 unter freiem Himmel kein Weltrekord mehr gelungen, trotzdem ist sie die überragende Kraft in ihrer Disziplin geblieben. Es bewegt sich wenig im Stabhochsprung der Frauen, und so stellt sich die Frage, ob es nicht sogar kontraproduktiv ist, wenn eine einsam nach den Sternen greift.
„Wenn du einen Athleten hast, der dominiert, kann das einen Sport fast umbringen”, sagt der amerikanische Manager Paul Doyle, der unter anderen den 100-Meter-Weltrekordler Asafa Powell betreut. Stirbt die Leichtathletik an ihren Weltrekorden?

Asafa Powell ist auch so ein Akkord-Weltrekordler. Dreimal ist er die 100 Meter schon in 9,77 Sekunden gelaufen, und wenn er irgendwo startet, spürt er, wie die Leute mit ihm die Hoffnung auf etwas Denkwürdiges verbinden. Insofern gibt er Isinbajewa recht: „Die Leute kommen hauptsächlich wegen eines Weltrekords.” Ihm gefällt das nicht. Ein Weltrekord ist nicht beliebig abzurufen, außerdem gibt es doch auch die Grenzen seiner Schaffenskraft. „Die Leute sollten für etwas anderes zur Leichtathletik kommen statt für den Weltrekord”, sagt er, „ich bin nur ein Mensch, ich gehe da raus mit einem guten Coach und natürlichem Talent, und damit kannst du nicht die ganze Zeit 9,77 oder 9,80 laufen.”

Wer die Versuchung zu dopen nicht befeuern will, darf die Weltrekorde nicht zum Maßstab höchster Unterhaltung machen. Es gibt viele Doping-Weltrekorde, dass die neue Athletengeneration sie nicht erreicht, wirkt eher wie ein Zeichen für Fortschritt im Antidopingkampf.„Wir werden an einen Punkt kommen, an dem es sehr schwierig wird, Weltrekorde zu verbessern”, sagt Dreisprung-Olympiasieger Christian Olsson aus Schweden, „es sei denn, der Mensch entwickelt sich in einen anderen Zustand.”

Aber ehe Zukunftswesen um die Bahn rennen, empfiehlt er, Aufmerksamkeit durch spannende Duelle zu wecken. Olsson selbst hat in der Sparte Duell allerdings bisher wenig zustande gebracht, so sehr beherrschte er lange seine Disziplin. Erst seit einer ausgedehnten Verletzungspause ist er anfälliger.

Gleichwertige Gegner sind ein Geschenk, das findet auch Norwegens Speerwurf-Olympiasieger Andreas Thorkildsen. Der Weltrekord des Tschechen Jan Zelezny von 1996 (98,48 Meter) ist weit weg, dafür hat Thorkildsen gute Rivalen, den stillen finnischen EM-Zweiten Tero Pitkämäki oder den schrillen Weltjahresbesten Breaux Greer aus USA (91,29 Meter), die stets zu allem fähig sind. Das belebt das Geschäft. „Ein paar Leute in jeder Disziplin zu haben, die jeder kennt, ist wichtiger als Weltrekorde zu haben”, sagt Thorkildsen.

Jelena Isinbajewa braucht Gegner, weshalb die Szene gewisse Hoffnung in die Amerikanerin Jennifer Stuczinski setzt, die in diesem Jahr schon 4,88 Meter geschafft hat. Aber Jelena Isinbajewa will nicht durch Niederlagen interessanter werden. Sie arbeitet am nächsten Weltrekord. Sie hat ihre Technik verändert. Sie unterläuft den Stab nicht mehr so wie früher, springt früher ab und erhofft sich so einen besseren Aufschwung. Und dass sie sich ihre frauliche Figur nicht mit zu großen Muskeln zustellen wolle, wie sie mal sagte, hat sie auch nicht eingehalten. Sie ist sehr kantig geworden.
Sie sagt zu den Journalisten: „Ich bin ein kleines bisschen enttäuscht, wenn Ihr enttäuscht seid, dass ich wieder nur gewonnen habe.” Aber sie versteht das. „Ihr wollt über Sensationen schreiben, weil wir so viele Gewinner haben, aber sehr wenige Weltrekorde.” Und deshalb ergibt sie sich den Gesetzen der Masse.

Thomas Hahn
Süddeutsche Zeitung
Freitag, dem 13. Juli 2007

author: GRR

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