Robert Kipchumba KEN) lief in 2:08:07 neuen Streckenrekord in Xiamen (China). ©Veranstalter
Was für ein Jahr! Die Ereignisse in der Straßenlaufszene 2011 stellen bisher alles in den Schatten. Teil 1 – Helmut Winter berichtet
Mit Beginn des Sommers in der nördlichen Hemisphäre ging die Straßenlaufszene und damit insb. der Marathon in eine „Halbzeitpause". Aber die ist in diesem Jahr bereits Ende August mit der Leichtathletik-WM in Daegu vorüber, wo allerdings der sportliche Wert der Marathonläufe unter vermeintlich ungünstigen klimatischen Bedingungen eher fragwürdig erscheint.
Hinter uns liegt ein erstes Halbjahr 2011, dessen Ereignisse in der Straßenlaufszene ohne Zweifel alle Vorjahre in den Schatten stellen. In der Spitze sowie Breite kann 2011 mit einmaligen Resultaten aufwarten, die es in dieser Form bisher noch nie gab. Dazu kamen Geschehnisse, die nicht unmittelbar auf den Straßen ihren „Lauf" nahmen, aber für erhebliches Aufsehen sorgten und ein weltweites Echo in den Medien fanden.
Von welcher Qualität das Laufjahr 2011 bisher war, veranschaulicht ein Blick auf einen generell akzeptierten internationalen Qualifikationsstandard von 2:13 für den Marathon der Männer. Nach der Hälfte des Jahres haben bereits über 240 Athleten diese Zeit unterboten, bis vor wenigen Jahren galt dies für ein gesamtes Jahr.
Nach Lage der Dinge sollte 2011 dieser Standard erstmals über 400mal unterboten werden, ein klares Indiz, welches breite Leistungspotential der Marathon der Männer mittlerweile ausschöpft. Und dies zeigte sich an allen Ecken auf dem Globus. Überall werden die Marathonläufe an der Spitze immer schneller, Streckenrekorde sind schon fast der Regelfall.
Zeiten unter 2:10 stellen selbst bei „kleineren" Marathons mittlerweile die Normalität dar und werden nur noch bei sehr ungünstigen Bedingungen verfehlt. Und erst recht im Spitzenbereich schreibt 2011 bereits „Geschichte", obwohl der „offizielle" Weltrekord von Haile Gebreselassie mit 2:03:59 (Berlin 2008) nach wie vor Bestand hat und die Tempojagden bei den Herbstmarathons noch ausstehen.
Januar 2011
Beginnen wir unsere kleine Rückschau, weitgehend der Chronologie folgend, mit den Ereignissen unmittelbar nach der Jahreswende. Traditionell begann das Marathonjahr 2011 bereits in der Neujahrsnacht in Zürich, die Siegerzeit von 2:51 hatte aber nur Breitensportniveau und war als Weltbestmarke von sehr kurzer Dauer.
Bereits am 2. Januar gab es ein erstes Spitzenresultat, im chinesischen Xiamen lief Robert Kipchumba (KEN) mit guten 2:08:07 neuen Streckenrekord. Bemerkenswert auch die Resultate am See Genezareth wenige Tage später. Stephen Chemley (KEN) schaffte zwar in 2:10:02 in Tiberias keinen neuen Streckenrekord, aber insgesamt 9 Läufer blieben unter dem Qualifikationsstandard von 2:13, das schafften im letzten Jahr noch nicht einmal die Großen der Szene, London oder New York City. Im indischen Mumbai setzte sich am 16.1. die Serie der zahlreichen Streckenrekorde des Jahres 2011 bereits fort, erstmals blieb der Sieger dort unter 2:10 und hieß Assefa Girma aus Äthiopien in 2:09:54.
Hoch waren dann am 16.1. die Erwartungen beim Dubai-Marathon, der sich in den letzten Jahren – durch Haile Gebrselassies Auftritte und verbunden mit vielen Dollars – in die internationale Marathon-Spitze katapultiert hat. Haile war nach drei vergeblichen Anläufen, den Weltrekord nach Dubai zu holen, und nach seinem temporären Rücktritt beim New York Marathon im November diesmal hier nicht am Start und hatte als „Comeback" dem Emirat einen Auftritt in Tokyo vorgezogen.
Dass auch in Dubai mehr auf das Geld geschaut werden muss, zeigte schon die Tatsache, dass es die Millionen-Dollar-Prämie für einen neuen Weltrekord nicht mehr gab. Im Eifer des Gefechts und den nach wie exorbitanten Preisgeldern hatten das die meisten Beteiligten zunächst gar nicht mitbekommen. Aber diese Thematik war am Ende akademisch, Haile behielt seinen globalen als auch lokalen Rekord. Der Lauf in Dubai glänzte 2011 mehr durch die Geschichten im Umfeld als durch die Ergebnisse auf der Retortenstrecke am Arabischen Golf.
Durch seine tolle Leistung beim Prag-Marathon in 2:05:39 hatte sich Eliud Kiptanui (KEN) im Frühjahr 2010 in die Weltspitze gelaufen. Nach einem eigenwilligen Tempomacher-Job in Fukuoka im Dezember 2010, wo er nach 15 km dem Feld auf und davon lief (bei 30 km aber von einem Ordner gezwungen wurde), war er von den Organisatoren in Dubai als Topstar für die Jagd auf Hailes Bestmarken engagiert worden. Und dass Eliud zu jener Zeit das Potential für außergewöhnliche Leistungen hatte, war unumstritten. Was sich allerdings am Freitag, dem 16.1.2011, auf Dubais Straßen abspielte, dürfte die Marathongeschichte um ein weiteres Kuriosum bereichert haben.
Denn schon vor dem Lauf verdichteten sich die Gerüchte, dass Kiptanui nicht durchlaufen wollte. Wie immer sich die Dinge auf im Vorfeld abgespielt haben mögen, er hatte kurz vor dem Dubai-Marathon einen Vertrag mit dem Rotterdam-Marathon unterzeichnet, um dort Anfang April auf Rekordjagd zu gehen. Damit war ein Lauf in Dubai über die volle Distanz so gut wie ausgeschlossen. Sein Start war somit nur noch durch ein Kennenlernen der Strecke für ein späteres Jahr motiviert.
Wer diese Hintergründe nicht kannte, den mussten die Ereignisse in Dubai in der Tat irritieren. Nach schnellem Beginn waren aber beim Halbmarathon in 1:02:46 die Chancen auf einen Weltrekord verspielt, wobei danach aber insbesondere Kiptanui das Tempo wieder anzog und bei 31 km in 1:31:43 nur noch 17 Sekunden hinter der Durchgangszeit des Weltrekords lag, auf Kurs zu einer Zeit deutlich unter 2:05. Doch an dieser Marke beendete ein noch sehr frisch wirkender Kiptanui völlig unvermittelt seinen Lauf, und damit war der einzig verbliebene Mitstreiter, der kaum bekannte David Barmasai (KEN), auf sich allein gestellt.
Der war von dieser Situation sichtlich überrascht, konnte aber trotz eines erheblichen Leistungseinbruchs den Vorsprung bis ins Ziel retten. Seine Zeit von 2:07:18 war auch angesichts seiner Vorleistung beim Sieg im Jahr zuvor in der Höhe Nairobis in 2:10:31 beachtlich, für die Ambitionen, die man im Scheichtum aber mittlerweile hegt, war dieses Resultat aber eher enttäuschend. Dubai und die Scheichs müssen somit weiter auf den Rekord warten. Weltrekorde im Turmbau lassen sich offensichtlich besser planen und umsetzen.
Immerhin schaffte man wie in den Vorjahren wieder eine Weltjahresbestzeit, was aber erwartungsgemäß nur von kurzer Dauer war. Bereits eine gute Woche später am 31. Januar setzte der Houston-Marathon seinen konsequenten Aufstieg Richtung Weltspitze fort und der noch unbekannte Äthiopier Bekana Daba lief trotz Regens und einer kurzen Toilettenpause bei 40 km in seinem ersten Marathon gleich Streckenrekord in 2:07:04.
Der erst 22jährige Athlet hatte im Jahr zuvor allerdings schon seine Klasse über 5000 m in 12:58 und im Halbmarathon in New York in 1:01:23 angedeutet. Nach seinem Zieleinlauf war er natürlich bester Dinge und deutete an, dass er bei entsprechender Konkurrenz noch deutlich schneller hätte laufen können. Wer seinen Sololauf nach 25 km erlebte, kann das nur bestätigen. Seine fehlende Konkurrenz in Houston war eine der vielen Geschichten, die das Jahr 2011 bereits in der ersten Hälfte.
Denn obwohl die Erstplatzierten des Vorjahrs aus Äthiopien wieder in Houston starten sollten und somit in den USA mitnichten unbekannt waren, sollte die Bearbeitungszeit der Visumerteilung seitens der US-amerikanischen Behörden 3 (in Worten: drei) Monate für die Einreise aus Afrika betragen, so dass deren Start nicht möglich war.
Houston – im kommenden Januar auch Austragungsstätte der US-Trials für die Olympischen Spiele in London 2012 – ist somit gut beraten, möglichst umgehend, die Visaangelegenheiten seiner afrikanischen Eliteathleten für das kommende Jahr zu regeln. Aktuell hat man noch gut fünf Monate Zeit …..