Siegte beim Rotterdam-Marathon 2011in 2:05:27: Wilson Chebet (KEN). ©Victah Sailer
Was für ein Jahr! Die Ereignisse in der Straßenlaufszene 2011 stellen bisher alles in den Schatten. April 2011 – Teil IV – Helmut Winter berichtet
Am 10.4.2011 begann mit dem Rotterdam-Marathon die heiße Phase der Frühjahrsmarathons. Und die hatte es wahrlich in sich. In Rotterdam hatte man nach dem Aufschwung in den letzten beiden Jahren wieder Mut gefasst und exponierte sich diesmal bereits im Vorfeld ungewohnt zuversichtlich. Nachdem die holländische Hafenstadt nach den Weltrekorden in den 80er Jahren zunehmend ins Mittelmaß driftete, konnte dieser Trend eindrucksvoll gedreht werden.
Mit dem Streckenrekord von Duncan Kibet 2009 (2:04:27) und der Klassezeit von Patrick Makau 2010 (2:04:48) war Rotterdam in beiden Jahren der schnellste Kurs weltweit. Auch im Zehnermittel der schnellsten auf einem Kurs gelaufenen Zeiten holte Rotterdam gewaltig auf und lag mit dem Mittel von 2:05:15,4 nur knapp hinter Berlin (2:05:09,6) auf Platz zwei.
2011 sollte der Weltrekord nach Rotterdam geholt werden. Racedirector Mario Kadiks und Mitstreiter kreierten in Anlehnung an einen Western aus den 60er Jahren die „Magnificient Seven", sieben Läufer mit Bestzeiten unter 2:07, die in guter Zusammenarbeit und perfekt geführten Tempomachern das Vorhaben umsetzen sollten. Dabei lagen hohe Erwartungen auf Eliud Kiptanui, der im Januar 2011 schon für erhebliche Furore gesorgt hatte, allerdings weniger durch schellen Zeiten.
Das sollte in Rotterdam sich nun ändern und entsprechend flott ging man bei recht guten Bedingungen das Rennen an. Bis 20 km lag man unter den Durchgangszeiten von Hailes Weltrekord, doch das änderte sich nach der Halbmarathonmarke, die man mit 1:02:07 noch soeben im Limit passierte. Allerdings war es da mit der Herrlichkeit der „Glorreichen Sieben" bereits vorbei, insb. Topstar Eliud Kiptanui verlor den Anschluss, da ihn kurz Magen-Darm-Probleme schwächten. Eliud lief durch und wurde in 2:09:08 Vierter, aber sowohl der Platz als vor allem seine Zeit können nur enttäuschend registriert werden. Da rächte sich sein Aussteigen beim Dubai-Marathon doppelt.
Den Sieg in Rotterdam machten zwei andere Läufer unter sich aus. Am Ende hatte Wilson Chebet (KEN) mit 2:05:27 die größten Kräfte und siegte vor dem Mitfavoriten Vincent Kipruto (KEN), der nach 2:05:33 einlief. Das sind zwar hervorragende Zeiten, aber nicht ganz das, was man sich in Rotterdam erhofft hatte. Schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass man diese Jahresweltbestzeit nicht lange würde halten können. Freuen konnte man sich in der Rotterdam aber auf den Titel der schnellsten Strecke im weltweiten Vergleich, denn die beiden 2:05er Zeiten der Erstplatzierten 2011 drückten den Rotterdamer Zehnerschnitt auf 2:05:06,6. Damit hatte man Berlin überholt und liegt momentan auf Platz 1.
Der Berlin-Marathon könnte allerdings am 25. September wieder kontern. Vergleicht man dieses Mittel mit den Weltrekorden vor gut einer guten Dekade von Densimo (2:06:50) oder Da Costa (2:06:05), dann zeigt das deutlich, mit welcher Rasanz und Breite sich die Leistungsspitze im Marathon der Männer entwickelt hat.
Am Wochenende nach Rotterdam war dann in der Tat ein Großkampftag, an dem der London-Marathon im Fokus des Interesses stand. Absolute Weltklassefelder bei Männern und Frauen gingen dort an den Start, wobei die Absage vom Olympiasieger und Gewinner der letzten beiden Ausgaben der Marathon Majors, Sammy Wanjiru, zwar bedauernd registriert wurde, niemand konnte zu diesem Zeitpunkt aber ahnen, was sich schon einen Monat danach ereignete. So rückte an der Themse der Äthiopier Tsegaye Kebede ins Rampenlicht, der sich noch im Oktober des letzten Jahres einen tollen Kampf um den Sieg beim Chicago-Marathon und um die Marathon Majors mit Sammy Wanjiru lieferte.
In seinem letzten Marathon hatte noch einmal der Kenianer die Nase vorn und gewann die 500.000 US$ Prämie der Majors. Der kleine Kebede glänzte im Vorjahr bei seinem souveränen Sieg in der britischen Hauptstadt und kündigte im Vorfeld zum diesjährigen Lauf einen Angriff auf den Weltrekord an. Aber auch in London entwickelten sich die Dinge anders als erwartet.
Schon beim Halbmarathon in 1:02:45 war klar, dass ein Weltrekord in London nicht mehr zu schaffen war. Als dann aber das Tempo an der Spitze verschärft wurde, war es überraschend Kebede, der nicht mehr folgen konnte. Dagegen machten ein wieder erstarkter Martin Lel sowie Emmanuel Mutai einen hervorragenden Eindruck in einer kleinen Gruppe, in der auch der Sieger von Rotterdam und Berlin aus dem letzten Jahr, Patrick Makau, zunächst Anschluss halten konnte.
In einem Steigerungslauf mit Meilenabschnitten bis unter 4:30 (2:48 pro km) war auf den letzten 10 km aber Mutai nicht mehr zu halten und lief in der neuen Streckenrekordzeit von 2:04:40 einem ungefährdeten Sieg entgegen. Lel und Makau folgten im Zielsprint mit 2:05:45 auf den nächsten Plätzen. Mit dem neuen Rekord hatte nun auch London den Sprung in den elitären Club der sub-2:05 Marathons geschafft.
Beeindruckend in London auch das Rennen der Frauen, wo sich die Russin Lilya Shobukhova anschickte, ihr nächstes Rennen bei den Marathon Majors zu gewinnen. Aber auch hier liefen die Dinge anders, obwohl man die Galavorstellung von Mary Keitany nach ihrem Weltrekord über die Halbdistanz schon fast erwarten konnte. Unaufhaltsam lief nach der Hälfte des Rennens die zierliche Kenianerin einem Weltklassefeld davon und siegte in der Klassezeit von 2:19:19, seit Irina Mikitenko beim deutschen Rekord 2008 in Berlin hatte weltweit keine Läuferin die 2:20 mehr unterboten.
Für Mary war dies nach dem Debut in New York City erst der zweite Marathon, ihr Potential dürfte leistungsmäßig noch lange nicht ausgeschöpft und in den Regionen einer Paula Radcliffe anzusiedeln sein. Zweite mit fast einer Minute Rückstand wurde Shobukhova in persönlicher Bestzeit und Irina Mikitenko kommt wieder langsam in Schwung. In einem klug gelaufenen Rennen wurde sie in 2:24:24 nach langer Verletzungspause Siebte.
Im kommenden Jahr wird es in London gleich zwei hochklassige Marathonläufe geben. Zunächst wieder der London-Marathon am 22. April 2012 und danach am 5. (Frauen) und 12. August 2012 (Männer) die Marathonläufe der Olympischen Spiele. Die Läufe bei Olympia werden aber nicht auf dem Kurs des London Marathons oder dem historischen Vorbild von 1908 ausgetragen. Auf einem Stadtkurs wird, wie schon bei der WM in Berlin, der Marathon in der Stadt über die Bühne gehen.
Mit Start und Ziel auf „The Mall" in der Nähe vom Buckingham Palace wird die Innenstadt nach einer Einführungsrunde dreimal durchquert.
Helmut Winter