Joschka? Fischer (m) mit Herbert Steffny vor dem Berlin-Marathon 2000, Race Director Horst Milde (r.) ©Victah Sailer
Warum immer wieder Big Apple? Amerikanerin Shalane Flanagan schlägt die Afrikanerinnen – Von KLAUS BLUME
Alle Jahre wieder die selbe Frage: Warum steht der New York Marathon im weltweiten Fokus des Interesses? Er ist nicht der älteste City-Marathon, der findet seit 1897 in Boston statt. Er ist aber auch – beileibe – nicht der schnellste; denn dieser findet fast schon alljährlich in Berlin statt.
Also warum immer wieder New York?
Als wir nach dem feigen Attentat am letzten Dienstag in Manhattans Südwesten, bei dem es acht Tote gegeben hatte, eine New Yorker Kollegin am Telefon fragten, ob – nur fünf Tage danach – überhaupt jemand an einen Marathonlauf denken würde, fragte sie mit spitzer Zunge zurück: „Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?"
Um uns sogleich in Erinnerung zu rufen, wie es 2001 gewesen ist, als bei dem Flugzeug-Attentat auf das World Trade Center fast dreitausend Menschen den Tod gefunden hatten. Auch damals sei doch gelaufen worden, belehrte sie uns.
Wir schalteten CNN ein, und hörten New Yorks demokratischen Gouverneur Andrew Cuomo erklären: „New Yorker ist man, um sein Leben zu leben. Nicht, um sich abschrecken zu lassen."
Vielleicht steht das Rennen im Big Apple auch wegen dieses Lebensgefühls im weltweiten Fokus. Aber selbstredend auch, weil es jedem eine Rampe sondergleichen bietet – ob Rampen-Sau oder schüchternem Mitläufer.
Wie diesmal die Olympiadritte Shalane Flanagan aus Boulder (Oregon), die vierzig Jahre nach Miki Gormans Triumph, den zweiten amerikanischen Sieg in New York schaffte und alle Afrikanerinnen abhängen konnte. Was vor einer Million jubelnder New Yorker Zuschauer natürlich den überraschenden Sieg des Kenianers Geoffrey Kamworor bei den Männern klar in den Schatten stellte.
Aber trotz allem: In New York wird man auf ewig der großen Norwegerin Grete Waitz gedenken aber ganz besonders auch den viermaligen Sieger Bill Rodgers (1976, 1977, 1978, 1979) verehren.
Grete, die im April 2011 in ihrer Heimatstat Oslo an Krebs gestorben ist, lernten wir bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 1987 in Rom kennen, bei einem Abendessen mit Ed Moses und dessen damaliger Frau. Verborgen, wie wir glaubten, hinter dichten grünen Ranken in Trastevere. Bis die sich auf einmal auseinander bogen, und dahinter das strahlende Gesicht der Grete Waitz auftauchte.
Es wurde ein nachdenklicher Abend, weil Grete, die Geographie-Lehrerin, alle möglichen Ideen aufbrachte. Wie, zum Beispiel, diesen: Wir alle sollten in den großen internationalen Unternehmen dafür sorgen, dass während der Arbeitszeit immer mal wieder gelaufen würde.
Oder: Gleichberechtigung für Läuferinnen – auch bei Start- und Preisgeldern – fordern. „Argumentativ", sagte sie damals. Neunmal hat sie in New York gewonnen, niemand wird diesen Rekord je brechen; heute steht ihre Statue vor dem Osloer Bislett-Stadion.
Wo sonst?
Bill Rodgers hat über die Frau, die wegen ihrer Vielseitigkeit – sie hielt ja die Weltrekorde von 3000 Meter bis zum Marathon – allen als ultimative Athletin gilt, einmal gesagt: „Sie ist – unbestritten – die beste Langstreckenläuferin aller Zeiten."
Bill wird übrigens im Dezember Siebzig und läuft noch immer an die 60, 70 Kilometer pro Woche, um für etwa 15 Alters-Wettkämpfe pro Jahr halbwegs in Form zu bleiben. Aber es helfe nicht viel, denn er werde ziemlich oft geschlagen. Von Läufern, die irgendwann erst im Rentenalter mit dem Laufen begonnen haben, erzählt er kopfschüttelnd.
Warum dann die ganze Plackerei? „Weil du immer Läufer bleibst, dein ganzes Leben lang."
Vielleicht sagt Uta Pippig deshalb auch: „Billy wird für immer mein Held bleiben." Sie bleib, damit das nicht in Vergessenheit gerät, noch immer die einzige deutsche Siegerin von New York. Das gelang ihr 1993; in den Wochen vor jenem denkwürdigen Rennen haben wir zwischen Boulder und Hamburg telefoniert, bis die Spesenkasse brannte.
Wir erinnern uns noch an ihre damalige Lauf-Diät: Etwa eineinhalb Monate vor dem Rennen zweimal pro Woche Lachs, dann drei Wochen vor dem Rennen stattdessen einen neuseeländischen Fisch namens Orange-Roughy – mit nur einem Prozent Fett. Oder, empfahl sie uns, ersatzweise Viktoria-Barsch, mit nichts, als ein wenig Salz als Zugabe. Und nur sanft gedünstet! Da muss man schon sehr tapfer sein . . .
Apropos Telefongespräche: 1984 war‘s, als sich die Gebrüder Manfred und Herbert Steffny auf den Weg nach New York gemacht hatten. Damals glich das Telefonieren mit Amerika noch einem Abenteuer mit unbekanntem Ausgang. Das Handy war damals noch ein Traum. Da erreichte uns in der Redaktion, mitten in der Hektik zwischen internationaler und nationaler Ausgabe der WELT, die Nachricht, der Italiener Orlando Pizzolato habe den New York Marathon gewonnen. Wir legten die Nachricht zur Seite. Erst am späten Abend tröpfelte die ganze Wahrheit durch: Dritter Herbert Steffny (Freiburg).
Wir riefen bei Manfred Steffnys Zeitschrift „Spiridon" an. Nein, niemand wisse, wo die Gebrüder Steffny in New York untergekommen seien. Wir telefonierten mit Gott und der Welt, also sogar mit dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV). Dort sagte uns der damalige Leistungssportreferent Horst Blattgerste: „Wenn du ihn erreichst, gib uns Bescheid."
Wir erreichten ihn, irgendwo, irgendwann, und unsere Fotoredaktion reichte uns, seinerzeit ein Wunder, sogar noch ein Bild von Herbert Steffny herein, auf dem er gerade um eine New Yorker Hausecke bog. Wir hatten unsere Exklusiv-Story im Kasten – Läufer-Herz, was begehrst du mehr.
1999, als dann Herbert Steffnys Laufschüler Joschka Fischer als deutscher Außenminister durch New York trabte, haben wir diesen Aufwand nicht noch einmal betrieben.
Joschka who?
Klaus Blume
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