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17
06
2008

Alesia Graf ist die prominenteste Teilnehmerin am Sonntag beim Halbmarathon des Stuttgarter-Zeitung-Laufs. ¸¸Ich hoffe, dass ich nicht zusammenbreche", sagt die 27-jährige Box-Weltmeisterin.

Warum Graf in Stuttgart jedes Stäffele kennt – Die Box-Weltmeisterin startet beim Stuttgarter-Zeitung-Lauf – Matthias A. Schmid in der Stuttgarter Zeitung

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Noch ehe Alesia Graf die Tartanbahn im MTV-Stadion betritt, wechselt die Box-Weltmeisterin ihr verschwitztes Hemd. Sie hat die Strecke aus Feuerbach über den Botnanger Sattel zum Kräherwald mit dem Rad zurückgelegt. Groß außer Atem ist die Boxerin deshalb nicht. Es ist nichts Besonderes. ¸¸Diese Fahrt ist kein Training für sie", sagt ihr Trainer Heinz Schultz, der mit dem Auto gekommen ist.

Man hätte sich ja vieles vorstellen können, wie sich eine doppelte Weltmeisterin standesgemäß fortbewegt: etwa, dass sie in einem teuren Auto daherbraust. Oder dass sie ein Chauffeur in Stretchlimousine sicher zum vereinbarten Termin bringt. Oder dass wenigstens ein Taxifahrer die Ehre hat, die erfolgreiche Sportlerin als seinen Gast begrüßen zu dürfen. Aber Alesia Graf, die Junior-Bantamgewichtlerin, macht sich nichts aus Statussymbolen, sie braucht keine Extravaganzen oder eine große Entourage. Die 27-jährige gebürtige Weißrussin sieht sich nicht als boxendes Model, als Püppchen der Werbeindustrie, sie sieht sich in erster Linie als das, was sie einst groß gemacht hat: als hart arbeitende Athletin. ¸¸Ich liebe einfach den Sport, die Bewegung", sagt Alesia Graf.

Das sagt viel aus über den Menschen, über die Sportlerin Graf. ¸¸Man hat es sehr einfach mit ihr", sagt Heinz Schultz, ¸¸sie ist sehr ehrgeizig und bringt eine große Eigenmotivation mit." Aber genau diese – eigentlich positiven – Eigenschaften führen bisweilen zu Konflikten in der Sportler-Trainer-Beziehung. ¸¸Alesia fällt es schwer, sich Pausen zu gönnen", sagt Schultz. Sieht der strikte Trainingsplan mal einen Ruhetag vor, so legt Graf nicht etwa ihre Beine hoch, sondern fährt mit dem Rad in ein 20 Kilometer entferntes Bad, schwimmt zwei Kilometer und legt anschließend den halben Marathon – natürlich auf dem Velo – wieder zurück. Wenn ihr Trainer sie dann fragt, ob sie sich eine Pause gegönnt habe, ist die Antwort stets dieselbe: ¸¸Ja, ich habe nichts gemacht."

Das Nichtstun trifft momentan insoweit zu, als der nächste Kampf im Ring erst im September ansteht. Alesia Graf hat also genügend Zeit, sich ihrem Körper zu widmen, die Muskeln zu stählen, an der boxerischen Technik zu arbeiten und die konditionellen Grundlagen zu schaffen. ¸¸Ziemlich langweilig" findet Graf diese wettkampflose Zeit. Und hat deswegen eine neue Herausforderung gefunden: die Teilnahme am Stuttgarter-Zeitung-Lauf. ¸¸Ich wollte schon immer mal bei einem Halbmarathon starten", sagt Graf, ¸¸was kann es da Schöneres geben, als durch die heimische Innenstadt vor Tausenden von Zuschauern zu laufen."

Und mehr als 14 000 Starter werden sie dabei begleiten. Es ist aber nicht so, dass sie sich darauf speziell vorbereitet hätte. ¸¸Ich bin höchstens mal zehn Kilometer im Training am Stück gelaufen", sagt Graf. Aber die Weltmeisterin fühlt sich stark genug, um den Lauf gewinnen zu können, wie sie frei von Ironie anmerkt. Sie will gewinnen? ¸¸Natürlich", sagt sie, ¸¸gegen mich selbst. Mein Trainer und ich wären mit einer Zeit unter 1:40 Stunden schon zufrieden."

Die Grundlagenausdauer gehört eher zu der lästigen Pflichtübung eines jeden Boxers. ¸¸Die hasst bis auf Firat Arslan jeder", sagt Graf. Boxer leben von der Kraftausdauer, von der Schnelligkeit, von der Explosivität. Sie rennen wie der Box-Weltmeister aus Süßen auch mal die Skisprungschanzen in Österreich hoch. Oder wie Alesia Graf die Treppen in Stuttgart. ¸¸Ich kenne jedes einzelne Stäffele", sagt die 27-Jährige. Einsam und monoton kann solch ein Training sein. ¸¸Daher bin ich schon ganz gespannt, wie das ist, wenn man mit so vielen Menschen auf die Strecke geht. Das ist faszinierend", sagt Alesia Graf, die am liebsten um das Bärenschlössle läuft.

An diesem Tag stehen im MTV-Stadion Tempoläufe auf dem Programm, zehn mal 533 Meter, unter zwei Minuten pro Serie, eine Minute Pause dazwischen. Dazu noch einige Sprints über 20, 25 Meter. Der Alltag einer Boxerin. Doch eines fürchtet auch die Weltmeisterin am Sonntag: den berühmten Hungerast. ¸¸Ich hoffe, dass ich unterwegs nicht zusammenbreche", sagt Alesia Graf. Heinz Schultz nickt, packt seine Stoppuhr aus und sagt: ¸¸Das wäre eine große Blamage." Das Training beginnt jetzt, nicht für den StZ-Lauf, sondern für ihren nächsten Kampf.

Matthias A. Schmid in der Stuttgarter Zeitung – Dienstag, 17. Juni 2008

author: GRR

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