Brandenburger Tor - Foto: Horst Milde
Vor 30 Jahren: Regierungsumzug nach Berlin – auch für den Sport? – Prof. Dr. Detlef Kuhlmann
„Hauptstadtbüro des Deutschen Sports“ leistet Lobbyarbeit und vertritt die Interessen des organisierten Sports in Berlin
Wer erinnert sich noch: Am 20. Juni 1991 hatten die Bundestagsabgeordneten im Bonner Wasserwerk mit einer „klitzekleinen“ Mehrheit von 18 Stimmen nach einer fast zwölf Stunden andauernden und energisch-kontrovers geführten Debatte den Regierungsumzug von Bonn nach Berlin beschlossen.
Die deutsch-deutsche Wiedervereinigung hatte die Voraussetzung für diese an sich naheliegende Entscheidung möglich gemacht. Denn der erste Deutsche Bundestag im Jahre 1949 hatte schon festgelegt, dass die Bundesorgane ihren Sitz in die Hauptstadt Berlin legen würden, sobald „allgemeine, freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen in Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone“ möglich würden.
Das war nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 bzw. durch den Vollzug der Einheit am 3. Oktober 1990 längst zum „Glücksfall“ geworden …
Und was folgte daraus für den Sport?
Ohne hier jetzt alle erfolgten Umzüge und die, die (noch) nicht vollzogen wurden, im Einzelnen chronologisch und vollständig im Detail aufzuführen, vorab nur so viel: Auch im Sport gab es Bewegungen in Richtung Berlin, aber gab es auch sogleich einen „Aufbruch“ nach Berlin – zumal auf der direkten Wegstrecke von Bonn nach Berlin?
Rückblende: In Bonn wurde am 24. September 1949 das Nationale Olympische Komitee für Deutschland (NOK) gegründet. Das war aber längst räumlich beim Deutschen Sportbund (DSB) an der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt integriert, wo sich inzwischen auch etliche andere Spitzenverbände wie der Deutsche Fußall-Bund (DFB) und der Deutsche Turner-Bund (DTB) mit ihren Zentralen niedergelassen hatten.
Allerdings wäre es für den DSB damals durchaus naheliegend gewesen, im Zuge des Parlamentsbeschlusses selbst nach Berlin umzuziehen, um beispielsweise alte Gebäudeteile des 1990 aufgelösten Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) der DDR in der Storkower Straße zu beziehen. Norbert Wolf, von 1990 bis 1994 Generalsekretär des DSB, erinnert sich: „Es gab damals schon ernsthafte Bestrebungen, ganz nach Berlin zu gehen wegen der Nähe zur Bundesregierung und zu den fünf neu gegründeten Landesportbünden. Zwei Gründe sprachen jedoch gegen einen kompletten Umzug: die räumliche Nachbarschaft des DSB zu den anderen in der Otto-Fleck-Schneise angesiedelten Verbänden einschließlich der Deutschen Sporthilfe und des LSB Hessen sowie das 1972 entstandene Haus des deutschen Sports über 100 Arbeitsplätzen innerhalb des DSB bzw. des kooptierten NOK. Auch heute noch bin ich der Auffassung, dass wir damals richtig entschieden haben.“
Dabei hatte der DSB ohnehin schon vor der Wende (s)eine Dependance in Berlin: die 1980 gegründete Führungs- und Verwaltungsakademie (FVA) Berlin in Schöneberg (später mit dem Namenszusatz Willi-Weyer-Akademie in Anlehnung an jenen Willi Weyer (1917-1987), der von 1974 bis 1986 als Präsident des DSB fungierte. Die FVA in Berlin avancierte gleich nach der Wende mit zahlreichen Veranstaltungen und Begegnungen zu einer Art „Vereinigungs-Werkstatt“, musste aber selbst nach einer „Finanzierungskrise“ seitens des Berliner Senats im Jahre 2003 von Berlin nach Köln umsiedeln und bietet seitdem als umbenannte Führungs-Akademie ihr breitgefächertes Veranstaltungsprogramm im Stadthaus Deutz (Willy-Brandt-Platz 2) an.
Um die Jahrtausendwende hatte der DSB zusammen mit anderen Sportverbänden längst „Berlin-Vertretungen am Regierungssitz“ in Berlin bezogen: In der Behrenstraße 24 in Berlin-Mitte befindet sich heute das „Hauptstadtbüro des Deutschen Sports“, um von hieraus Lobbyarbeit zu leisten und die Interessenvertretung des organisierten Sports wahrzunehmen:
„Das Berliner Büro befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Bundestag und vertritt die Interessen des deutschen Sports gegenüber der Bundespolitik. Die Belange des organisierten Sports werden dabei aktiv in Gesetzgebungsprozesse, politische Initiativen und Projekte sowie Förderlinien, die den Sport in seiner gesamten Vielfalt direkt oder indirekt betreffen, eingebracht“, so lautet der offizielle Arbeitsauftrag für das Team um Büroleiter Christian Sachs auf der DOSB-Homepage. Der DOSB ist hier aber keinesfalls allein: Unter dem Dach des Berliner Büros ist z.B. auch das Forum Wassersport als gemeinsame Interessenvertretung der Wassersportspitzenverbände angesiedelt; der Deutsche Behindertensportverband hat hier sein Hauptstadtbüro; der Fachverband Vereinigung Sportsponsoring-Anbieter seinen Sitz.
Ausblick: Es spricht heute einiges dafür, dass ausgerechnet jetzt 30 Jahre nach dem beschlossenen Regierungsumzug ein neuer Zuzug des Sports in Richtung Berlin beginnt:
Der 2017 gegründete Verein Athleten Deutschland hat jüngst beschlossen, noch in diesem Jahr in Berlin eine Geschäftsstelle einzurichten. Auch die Landessportbünde wollen mit einem Berliner Büro mehr politische Präsenz und administrative Professionalität in der Hauptstadt zeigen, was Teamsport Deutschland, der Zusammenschluss der Ballspiele Basketball, Eishockey, Handball, Volleyball und Fußball, mit Sitz in Berlin schon gelingt. Und was die weitere Erschließung von geeigneten Örtlichkeiten anbelangt, bieten sich mehrere attraktive Standorte an – nicht zuletzt auch der Olympiapark, wo z.B. schon der Deutsche Schachbund im „Friesenhaus 1“ in der Hanns-Braun-Straße seine Geschäftsstelle hat, übrigens u.a. zusammen mit der Deutschen Schulsportstiftung und dem Weltrat für Sportwissenschaft.
Und was ist nun mit Bonn?
Bedingt durch den Regierungsumzug nach Berlin konnte das Bundesinstitut für Sportwissenschaft im Jahre 2001 Räumlichkeiten im ehemaligen Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat als eine nachgeordnete Behörde des Ministeriums in die Graurheindorfer Straße 198 (ehemalige Düppel-Kaserne) einziehen.
Die Deutsche Sporthochschule Köln wird das gern gesehen haben, konnte sie doch fortan die frei gewordene Liegenschaft im Müngersdorfer Sportpark selbst für Lehre und Forschung nutzen. Im ehemaligen Bonner Bundeshaus „residierte“ kurzfristig im Dezember 2002 die Sportfamilie mit über 600 Gästen aus den Mitgliedsorganisationen und mit DSB-Präsident Manfred von Richthofen (1934-2014) an der Spitze beim Kongress „Sport gestaltet Zukunft“. Da war die im Juli 2002 in Bonn gegründete und seitdem dort beheimatete Nationale Anti-Doping Agentur Deutschland (NADA) schon ein halbes Jahr alt.
Aber für den Sport und seine Organisationen gilt sprichwörtlich, aber auch in der Realität: Es ist immer gut, einen Koffer in Berlin zu haben.
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann in der DOSB-Presse