„The coolest marathon You’ll ever run!“ - Foto: Wilfried Raatz
Von Eisläufern und Eistänzern: Der Frozen Lake Marathon am Tisleiefjorden nahe Gol in Norwegen ist kein Terrain für Bestzeitenjäger, aber ein Kurs gemäss dem Veranstalter-Versprechen: „The coolest marathon You’ll ever run!“ – Wilfried Raatz berichtet
Der Frozen Lake Marathon ist zugegeben ein Unikat. Zwischen Oslo und einem Gutteil der Strecke zur Hansestadt Bergen liegt das kleine Städtchen Gol als Ausgangspunkt für das touristisch attraktive Hochland Golsfjellet mit der perfekten Einladung zum Aktivurlaub. Sommer wie Winter.
Kilometerlange Langlaufloipen wie gewiss nicht nur hier mögen dabei ein Grund dafür zu sein, weshalb gerade norwegischen Ausdauersportler auf Skiern weltweit führend sind. Tiefverschneite Landschaften in einer angenehmen Höhenlage von 800 Metern (und etwas aufwärts) sind natürlich für Ausdauersportler gewiss ideal, ohne eine Höhenanpassung dem Aktivurlaub vorschalten zu müssen.
Und in dieser herrlichen Winterlandschaft hatte 2017 Geir Jarle Bjørneng die Idee, auf dem im Winter rund 80 Zentimeter tief gefrorenen Tisleiefjorden ein Marathonlauf zu organisieren. Anleihe dazu holte er sich aus Schweden, Kontakte zum angesagten Oset Fjellhotell unweit des Seeufers und zum Outdoor-Schuhproduzent Icebug wiesen letztlich den Weg zu einem der außergewöhnlichsten Laufabenteuer in unseren Breiten.
Zahlreiche auf Laufreisen spezialisierte Unternehmen sorgen für die reichlich gefüllten Startfelder über die Marathon- bzw. Halbmarathon-Strecken, die mit 42,8 bzw. 21,4 Kilometer etwas Überlänge haben, was allerdings angesichts der Herausforderungen bei etlichen Minusgraden, starkem Wind, Schneetreiben oder an der Oberfläche leicht aufgetauter Eisfläche zu vernachlässigen sein sollte. Fleißige Reiseveranstalter, dazu zählt auch die in Mittelhessen ansässige Firma interair, füllen die Startlisten des jungen Marathons, zumal Startnummern lediglich in einem Paket mit Hotelübernachtungen zu buchen sind. 500 Kälteresistente sind für dieses seit 2018 durchgeführte Laufspektakel zugelassen, mehr jedenfalls dürften in der dünn besiedelten Landschaft kaum unterzubringen sein.
Tisleiefjorden ist unter Automobilfreaks gewiss ein Begriff, schließlich testen hier zahlreiche Autohersteller samt Zulieferer ihre Produkte, oder Privatfahrer frönen dort ihrem aufwändigen Hobby. Dank Geir Jarle ist Tisleiefjorden nun auch in Läuferkreisen ein Begriff. Gewiss nicht für Spitzenathleten, sondern eher für ambitionierte Läufer. So lässt sich auf dem eher rauhen Eis die Marathonstrecke kaum unter drei Stunden bewältigen. Die Siegerzeiten liegen bei den Männern wie nun 2024 geschehen bei 3:02:13. Stunden, die Frauenerste benötigte gar 3:41:45 Stunden. Aber darauf kommt es gewiss nicht an, denn die Witterung spielt bei derartigen Läufen eine entscheidende Rolle. Viele Kehren verändern den Laufrhythmus mehr oder weniger, die für auf Eis nutzbare Laufschuhe sind eher zweckorientiert, entweder mit in der Sohle eingelassene Spikes oder die für das auf Eis laufen taugliche Schuhspikes zum Überziehen.
Kilometerlange Langlaufloipen … – Foto: Wilfried Raatz
Die Rundstrecke besteht aus vielen Schleifen, die immer rechts herum gelaufen werden, was angesichts der niedrigen Temperaturen die Helfer auf der Strecke reduzieren hilft. Nach einer Runde, die 21,4 km lang ist, durchqueren die Läufer die Ziellinie, um beim Marathon auf die zweite Runde oder beim Halbmarathon zum Zielsprint anzusetzen. Die Strecke selbst ist teilweise präpariert, angesichts des stetigen Schneefalls aber stellenweise kaum auszumachen.
Die Masse der Läufer mit dem Faible für das Besondere starten über die Halbmarathonstrecke, die Marathonis sind eher handverlesen in der Minderheit. Spitzenathleten sind für dieses Abenteuer gewiss nicht zu begeistern, schließlich sind auch die angebotenen Strecken nur mit guter Trainingsgrundlage zu bewältigen. Auch wenn Geir Jarle Bjørneng den „Genuss“ in den Vordergrund stellt, wie er beim Briefing kurz vor dem Start noch einmal den Läufern aus erstaunlich vielen Nationen zurief.
Der norwegische Spitzen-Ultraläufer Sander Simpson-Larsen sowie die Berglauf-Masters-Weltmeisterin Simone Raatz und die weltweit als Ultraläuferin startende Yana Strese bestimmten im Marathon-Wettbewerb vom eher etwas locker gehandhabten Startprocedere das Renngeschehen. Bei der Streckenhälfte sah alles nach einem „glatten Durchmarsch“ für Sander und Simone aus, denn beide führten die Konkurrenz mit deutlichem Vorsprung, Simone sogar mit nahezu 20 Minuten Abstand zu Yana Strese, die mit der Empfehlung ihres Sieges beim Polar Circle Marathon in ihre norwegische Wahlheimat zurückgekehrt war.
Mit 3:02:13 Stunden lag Sander Simpson-Larsen letztlich 8:39 Minuten vor dem Niederländer Robert-Jan Arke und schon über 12 Minuten vor dem einheimischen Jin Hui Zhang. Bester deutscher Starter war im Marathonfeld Martin Dietrich auf Platz 20 nach 4:15:39 Stunden. „Ich bin in der zweiten Runde ziemlich abgestürzt. Aber auch solche Erfahrungen muss man einfach einmal machen!“ so der 40jährige aus Reichshof.
Schon vor der „Halbzeit“ klagte Simone Raatz allerdings über eine Verhärtung im Oberschenkel, die selbst durch eine kurze Massage nicht reparabel war, sodass die Karlsruherin nach 24 km das Rennen vorzeitig beendete – zu diesem Zeitpunkt lag sie satte zwanzig Minuten voraus. Da aber die Zwischenzeit bei Streckenhälfte registriert wurde, gratulierte ihr der Veranstalter zu ihren als Durchgangszeit (!) erzielten, starken 1:38:17 Stunden und dem Sieg über die Halbmarathonstrecke.
Im vorgeschalteten Briefing hatte Geir Jarle Bjørneng die Möglichkeit einer Umgruppierung von Marathon zu Halbmarathon erläutert, wenn jemand das Marathonrennen nicht beenden würde. „Mein Traum war schon immer, einmal einen Eismarathon zu laufen. Leider konnte ich ihn aber nicht beenden. Der Halbmarathonsieg ist natürlich nur ein kleiner Trost, denn ohne die Verletzung wäre es sicherlich eine starke Endzeit geworden. Somit muss ich noch einmal kommen…!“ Die Norwegerin Aina Helene Hole folgte im separat gestarteten 21,4 km-Rennen nach 1:45:52 Stunden, Dritte wurde Natalija Boguseviciene aus Litauen (1:49:20).
Männersieger wurde der Pole Tomasz Danielkiewicz nach 1:28:32 Stunden vor dem mit nacktem Oberkörper laufenden Marokkaner Ahmed Alwerfali (1:33:34) und dem Belgier Maxime de Barrau, der mit 1:43:34 Stunden sogar in der Gesamtwertung hinter Simone Raatz gelistet wurde. Karsten Janßen belegte im gut besetzten Männerrennen Rang 20 in 1:53:49, der erst 16jährige Ole Jugl schaffte bei seiner Halbmarathonpremiere gute 1:56:06 Stunden – und liebäugelt bei entsprechender Grundlage sogar schon mit einem Marathondebüt im Herbst.
Nach 3:41:45 Stunden sicherte sich Yana Strese den Marathonsieg vor der Britin Rachel Stanley-Evans (3:55:35) und der Vorjahressiegerin Abelone Lyng, die mit 3:59:34 noch knapp unter der Vier-Stunden-Marke blieb.
Natürlich sind die Gespräche am Rande des reinen sportlichen Geschehens von besonderem Wert – und in vielen Fällen eine eigene Story wert. So beschloss Christian aus Esselborn nach 16 Marathonläufen, darunter auch in Peking, Tokio, New York, Rom oder Paris, mit diesem besonderen Halbmarathon seine Wettkampfkarriere. „Wegen einer Arthrose in der Hüfte möchte ich künftig eher Mountainbiken oder Volleyball spielen“ – und dies in der Gewissheit, dass er als Marathon-weltenbummler viele interessante Flecken der Erde gesehen hatte.
Oder Michael aus Bilstein, der bereits über 60 Marathonläufe absolviert hat („Mein Ziel sind die Hundert“), darunter gerade vor wenigen Wochen den Unter-Tage-Marathon im thüringischen Merkers, bevor er mit Blick voraus auf den Bonn-Marathon schon einmal seine „Standardstrecke“ beim Frozen Lake Marathon unter die Spikes nahm.
Auch Axel aus Berlin hat eine interessante Halbmarathon-Vita bei seinen bislang drei Starts vorzuweisen: Berlin, Bogota und nun Gol in Norwegen. Oder Constanze aus Tübingen, die gerne ihre Laufschuhe für interessante Läufe schnürt. Vielleicht folgt nach dem Frozen Lake Marathon der SwissCityMarathon in Luzern als nächstes größere Reiseziel. Oder wie Katja und Manuela in ausgelassener Freude ein kleines Tänzchen auf das eisglatte Parkett legten.
Wilfried Raatz