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12
2023

Berlins älteste Dorfkirche in Marienfelde (um 1220) - Foto: Horst Milde

Vom Ziel und dem Weg und der Weihnacht … Die Läufer-/innen Weihnachtspredigt 2023 – von Dr. Lars Charbonnier

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Wer Marathon läuft, weiß, was es bedeutet ein Ziel zu haben. Ein Ziel schenkt Fokussierung, Konzentration, es orientiert und spornt an. Es zu erreichen, macht glücklich – es zu verfehlen, muss erstmal verarbeitet werden. Auch das ist eine heilsame Erfahrung, als Läuferin wie als Mensch: Nicht alle Ziele erreiche ich immer. Um so schöner, wenn es gelingt!

Der Advent hat auch ein Ziel. Vordergründig das, was am 24.12. und in den Weihnachtstagen dann gefeiert wird: Das große Fest vom kleinen Kind, in dem doch die ganze Welt Rettung erfährt. Was für eine Geschichte, die wir alle Jahre wieder hören, singen, spielen…Es gibt kaum ein anderes Fest, das sich in dieser Intensität und über viele Nationen hinweg mit einer so anschaulichen Geschichte verbindet.

Die Weihnachtsgeschichte, Ihr wisst schon:

1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. 3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. 4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, 5 auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. 6 Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. 7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. 8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 9 Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. 12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. 13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Ob oder wie wahr oder nicht – was mich an dieser Geschichte immer wieder aufs Neue fasziniert, ist ihre Vielseitigkeit, ihre Mehrperspektivität, ihre so vielen Anknüpfungspunkte. Es gibt wohl nur wenige Geschichten, die ich und wahrscheinlich auch Ihr im Leben öfter zu hören bekommen habt oder der Ihr zumindest in Teilen immer wieder begegnet seid. Das ist ja auch so ein Geheimnis dieses Festes, ganz egal, was vorher war – wenn diese Geschichte am 24.12. gelesen, gespielt, gesungen wird, dann ist Weihnachten.

Habt Ihr Lieblingsstellen? Lieblingsworte? Lieblingspersonen? Wo ist Dein Platz in der Geschichte?

Oder kommt der erst einige Tage später, mit den drei Weisen auf den Spuren des Sterns etwa? Mich erstaunt jedes Jahr aufs Neue, dass es immer andere Aspekte dieser Geschichte sind, die mich besonders bewegen. Vielleicht ist das bei Euch auch so? Mal ist es diese unglaubliche Vorstellung vom großen Gott im kleinen Baby. Mal die enttäuschte Erwartung vom großen König im schäbigen Stall. Die Erkenntnis, zu wie vielem in meinem Leben ich gekommen bin wie die Jungfrau zum Kinde – ganz ohne mein Zutun. Und überhaupt die Geschenke – viele schenken sich ja nichts – auch schade…

Mal sind es die Worte des Engels: „Fürchte dich nicht!“ und dann ist da meine Angst, die ich mit den Hirtinnen und Hirten teile. Oder das Gefühl, keinen Platz in der erstrebten Herberge bekommen zu haben. Selbstverständlich auch und gerade die Hirtinnen und Hirten, die am Rande stehen und nun mittendrin und nach den Engeln die ersten sind, die diese frohe Botschaft verkünden. Die ganze Gotteslehre von der Geburt her denken oder der Inkarnation, so viele Facetten… und ich ertappe mich von Jahr zu Jahr mehr dabei, mich in der Adventszeit zu fragen, welcher Aspekt mich wohl in diesem Jahr besonders anregen, berühren, bewegen wird…. Angesichts der Weltlage. Angesichts dessen, was gerade in diesem Land passiert, in dem sich diese Geschichte damals zugetragen haben soll. Angesichts der Erfahrungen der zurückliegenden Monate und dessen, was ganz konkret auch in meinem Leben so alles passiert ist. Und natürlich angesichts der Wünsche an die Zukunft.

Altar in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche – Foto: Horst Milde

So ist Advent tatsächlich eine Vorbereitungszeit. Wie das Training auf das Ziel beim Lauf hin. Einstimmung. Einübung. Erwartung. Eine Zeit des sich auf den Weg Machens. Dem Stern folgend, der doch nur hinweist und nicht selbst das Ziel ist. Sich dem Unverfügbaren öffnen, das kommt, wie der Schnee, den wir uns zu Weihnachten so sehr wünschen. Die innere Herzenstür aufmachen, damit mehr drin wohnt als nur ich …

Komm, o mein Heiland Jesu Christ,

meins Herzens Tür dir offen ist.

Ach zieh mit deiner Gnade ein;

dein Freundlichkeit auch uns erschein.

Dein Heilger Geist uns führ und leit

den Weg zur ewgen Seligkeit.

Dem Namen dein, o Herr,

sei ewig Preis und Ehr.

Und dann wird aus Training Wettkampf, aus Anstrengung Zielerreichung. Und dann wird aus Advent auch Ankunft. Das heißt es auch ganz wörtlich. Ankunft Gottes im Menschen, so konkret, mit Windeln und allem, was da rein gehört. Und meine Ankunft bei ihm. Mit allem, was zu mir gehört. Und seine Ankunft bei mir – und dann ist es oft ein ganz anderer Aspekt in der Geschichte als erwartet, der mich am Weihnachtsfest wirklich berührt bis ins Herz. Und der mich bewegt und auch trägt auf meinem Weg ins neue Kalenderjahr bis zum nächsten Advent…

Und so wird die Weihnachtsgeschichte tatsächlich immer wieder neu wahr für mich und vielleicht auch für Dich – so fragwürdig sie auch sein mag. Uns allen wünsche ich diese Erfahrung, wenn wir denn am Weihnachtsabend, in der stillen Nacht, unterm Sternenhimmel, im Schnee, wo auch immer und wie auch immer, diese Erfahrung wünsche ich uns, die erzählt wird mit dieser Geschichte vom Kind in der Krippe, dass Gott – was auch immer wir darunter auch verstehen – uns dort und in dem ganz nahekommt, wo und was uns gerade am dringlichsten ist.

(4) Stern über Bethlehem, wir sind am Ziel,

denn dieser arme Stall bringt doch so viel!

Du hast uns hergeführt, wir danken dir.

Stern über Bethlehem, wir bleiben hier!

Dr. Lars Charbonnier

*Dr. Lars Charbonnier – arbeitet bei der Führungsakademie für Kirche und Diakonie in Berlin – und predigt jeweils bei den Oekumenischen Abendgebeten in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche an den Vorabenden des BERLIN-MARATHON.  Er ist aktiver Marathonläufer 

Dr. Lars Charbonnier beim oekumenischen Abendgebet in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche beim BERLIN-MARATHON – Foto: Horst Milde

author: GRR