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29
07
2010

Bis gestern Morgen galt Malte Mohr als Medaillenkandidat. Bis zu dem Moment, als er im Einstichkasten hockte.

Vom Winde verweht – Warum die deutschen Leichtathleten in Barcelona bisher hinter den Erwartungen zurückbleiben – Frank Bachner im Tagesspiegel

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Malte Mohr blieb erst mal sitzen, er musste jetzt seinen Frust verdauen. Gleich hier, im Einstichkasten der Stabhochsprunganlage. Die Latte lag auf 5,65 Meter, Malte Mohr war gerade im dritten Versuch an dieser Höhe gescheitert. Ende der Veranstaltung, gescheitert in der Qualifikation.

Mohr ist vor zwei Wochen noch 5,80 Meter gesprungen, aber hier in Barcelona, bei der Leichtathletik-Europameisterschaft, lag sein bester Versuch bei 5,50 Metern. Bis gestern Morgen galt Malte Mohr als Medaillenkandidat. Bis zu dem Moment, als er im Einstichkasten hockte.

Mohr ist noch ein unerwarteter Ausfall in Barcelona. Nach drei Tagen Wettkampf keine Medaille (bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe), dafür aber viele Hoffnungsträger, die den Kopf schüttelten. Nadine Kleinert (Kugel), Nadine Müller (Diskus), Markus Esser (Hammer), Mohr (Stabhochsprung), sie alle blieben unter den Erwartungen. Die Einzelfälle setzen sich zum Bild einer deutschen Mannschaft zusammen, die bisher ziemlich versagt.

Ein Zerrbild. Dass es Ausfälle gibt, war schon immer so, bei allen Nationen. Es sind Athleten, keine Maschinen. Bloß einen Teil der gescheiterten Deutschen darf man zu den Versagern zählen, man muss die Einzelfälle genau betrachten. Markus Esser, Hammerwerferin Kathrin Klaas, Malte Mohr und die deutschen 100-Meter-Sprinter gehören zu der Gruppe, bei denen man ratlos dasteht. Esser hatte den Hammer vor zehn Tagen noch 78,46 Meter weit geschleudert, in Barcelona kam er nur auf 71,89 Meter. Esser ist seit Jahren dabei, ein erfahrener Athlet, viermaliger Deutscher Meister, bei der WM 2005 auf dem vierten Platz. Eigentlich hatte man geglaubt, sein Patzer bei der WM 2009 sei eine Ausnahme gewesen. Es war keine.

Kathrin Klaas (Frankfurt) hat eine Saisonbestleistung von 74,53 Meter, bei der EM warf sie neun Meter weniger. „Ich habe mit angezogener Handbremse geworfen“, sagte sie bloß. Und warum? Eine Erklärung hatte sie nicht. Der Sprinter Christian Blum benötigte im Halbfinale 10,69 Sekunden für 100 Meter, Anfang Juli noch hatte er 10,27 Sekunden erreicht. Erklärung? Keine. Tobias Unger (10,52/Saisonbestleistung 10,14) fühlte sich diesmal im Halbfinale durch Körperkontakt mit seinem Nebenmann aus dem Rhythmus gebracht. Bei der WM 2009 hatte er eine ähnlich griffige Erklärung für seine Pleite.

Nadine Müller, die Weltranglisten-Erste, Achte des Diskus-Finales, scheiterte an ihren Nerven. „Nadine“, sagte Sabine Rumpf, die Siebtplatzierte, „stand unter einem sehr hohen Druck.“ Sie hatte durch ihre 67,78 Meter vor Barcelona Erwartungen geweckt, die sie nicht erfüllen konnte. Sie war zu schnell ins Rampenlicht gerückt, sie hatte das Gefühl, sie müsse ihre gute Weite unbedingt bei einem Höhepunkt bestätigen. Zudem herrschte beim Diskus-Finale böiger Wind, da hätte man die Scheibe flach wegwerfen müssen. Doch Nadine Müller schleuderte die Scheibe viel zu hoch. „Man hatte es ja gesehen, der Diskus plumpste dann steil runter“, sagte Rumpf.

Nadine Kleinert, der Vize-Weltmeisterin im Kugelstoßen, fehlen die ganze Saison schon Spannung und Aggressivität. Das WM-Jahr 2009 hatte zu viel psychische Energie von ihr gefordert. Sabrina Mockenhaupt hatte zwar vor Barcelona erklärt, sie fühle sich „in der Form meines Lebens“, aber das Rennen über 10 000 Meter war einfach zu schnell für sie. Sie musste allein im Gegenwind laufen, mehr als Platz sechs war nicht möglich.

Durch die Bilanz der Gescheiterten gehen einige erfreuliche Nachrichten unter. Der vierte Platz von Melanie Seeger zum Beispiel. Die Potsdamerin absolvierte im 20 Kilometer Gehen in dem hochklassigen Feld „den Wettkampf meines Lebens“. Ein furioses Comeback nach ihrer Babypause.

Fabienne Kohlmann (Gambach) verpasste über 400 Meter Hürden zwar knapp das Finale, steigerte aber in Barcelona zweimal ihre persönliche Bestzeit.

Der Athlet, mit dem sich Tobias Unger gerempelt hatte, war im Übrigen der Brite Mark Lewis-Francis. Er kam nicht aus dem Rhythmus. Er wurde später Vize-Europameister.

 Frank Bachner im Tagesspiegel, Donnerstag, dem 28. Juli 2010

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