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14
01
2011

Viel erreicht, aber längst nicht alles – DOSB- und LSB-Ehrenpräsident Manfred von Richthofen über den deutschen Sport – 60 Jahre nach Gründung der Dachorganisation – Hansjürgen Wille in „Sport in Berlin“

By GRR 0

Zwei Ereignisse des deutschen Sports, die in Hannover stattfanden, wurden im Dezember 2010 gewürdigt: die Geburtsstunde des DSB (heute DOSB) 1950 und die Wiedervereinigung 40 Jahre später. In einem Interview blickt Manfred von Richthofen, von 1990 bis 1994 Vize- und anschließend bis 2006 Präsident des DSB, auf spannende Jahre zurück:

Welchen Stellenwert hat heute der Sport?

Einen bedeutenden, immer mehr wachsenden, denn der Sport ist in der Lage, bei der Lösung von Problemen mitzuhelfen, die verstärkt auf die Politik zukommen. Stichworte sind Jugend, Erziehung, Integration, Senioren-Betreuung, Ganztagsschule und Gesundheit.  Deutschlands größter gesellschaftlicher Organisation gelang es, sich überall Anerkennung zu verschaffen, wobei die guten Kontakte zu den verschiedenen Ministerien, aber auch Sozialverbänden, den Städte- und Gemeindetagen nicht unerwähnt bleiben dürfen. Inzwischen lassen sich Politiker und Vertreter von Parteien nicht nur bei wichtigen Ereignissen auf der Ehrentribüne sehen, sondern sind bereit, auf kommunaler Ebene mitzuarbeiten.

Warum schließen sich Jahr für Jahr immer mehr Menschen einem Verein an?

Der Sport hat in der Bundesrepublik in seinen sechs Jahrzehnten eine rasante Entwicklung genommen. Betrug bei der ersten Bestandserhebung die Mitgliederzahl 3,2 Millionen, so sind es heute mehr als 27 Millionen, die der größten Bürgerschaftsbewegung angehören. Ganz entscheidend waren in den 70-ger Jahren die DSB-Kampagnen „Trimm dich mal wieder“, „Lauf mal wieder“, „Schwimm mal wieder“. Stärker als je zuvor hat sich aber auch das Gesundheitsbewusstsein innerhalb der Bevölkerung verändert. Der Sport mit seinen Gesundheitsangeboten kann die Krankenkassen entlasten, eine Aktion, die wir in Berlin mit den Ärzten angeschoben haben.

Wo klemmt es am meisten?

Zu einer echten Schwachstelle kann das Ehrenamt werden, weil sich in unserer egoistischen Gesellschaft immer weniger Menschen zur Verfügung stellen, um etwas Gutes für die Gemeinschaft zu tun. Weniger Angst habe ich um die Besetzung von Führungspositionen, sondern bei der Wahrnehmung von einfachen Aufgaben wie Betreuung einer Schülermannschaft. Zunehmend Schwierigkeiten werden wir auch mit unseren Sportstätten wegen des Lärmschutzes haben, in einer Großstadt sicherlich mehr als auf dem Lande.

Und was bereitet Ihnen noch Sorge, beispielsweise in Bezug auf Berlin?

Die Finanzsituation, die sich im Gegensatz zu Bayern, Baden-Württemberg und Hessen wesentlich schlechter darstellt. Nicht einfach zu lösen sind auch die Migrationsprobleme. Rein sportlich ist es bedauerlich, dass wir im Fußball nicht mehr erstklassig sind.

Wie war eigentlich das Verhältnis zwischen Berlin und dem DSB, was ja aus politischen Gründen zeitweilig nicht immer einfach war?

Erfreulich ist, dass Berlin – über viele Jahre hinweg handelte es sich dabei um den Westteil der Stadt – stets zum Bereich des DSB gehörte; trotz aller Ein- und Widersprüche des Ostblocks, der gern von einer separaten, dritten politischen Einheit sprach. Gleich bei Gründung des DSB bekam Gerhard Schle­gel einen Platz im DSB-Präsidium und in der Folgezeit galt es als Selbstverständlichkeit, dass Berliner Sportler in bundesdeutsche Aus­wahlmannschaften berufen wurden. Nicht we­nige Verbände vergaben bedeutende Veranstaltungen in die Stadt. Die WM der Schwimmer, Bogenschützen und Fußballer sind Beweis dafür, auch viele Länderkämpfe und andere Großereignisse, etwa das Deutsche Turnfest oder der Start der Tour de France.

Und wie war die Situation nach der Wende?

Als LSB-Präsident von 1985 bis 2000, aber auch schon vorher von Hans Hansen als Leiter der schwierigen deutsch-deutschen Kalendergespräche bestimmt, hatte ich gute Einblicke, was jenseits der Grenze geschah und was mir bei den Einigungs-Vorbereitungen half. Bei der Öffnung der Mauer spielte Berlin eine Vorreiterrolle und brachte sich mit Sachverstand ein, beispielsweise was den Erhalt der Sportstätte von Kienbaum, die Zukunft der Kinder- und Jugendsportschulen betraf. Manches lief nicht optimal, das lässt sich nicht leugnen, manches war aber unumgänglich.

Was meinen Sie mit dieser Aussage?

Die Vereinigung war im Prinzip gar nicht so schwierig, aber es mussten wichtige Einschnitte getan werden, weil vieles nicht bezahlbar war. Die Sport-Clubs und die Trainingszentren konnten in der bisherigen Form nicht erhalten werden, was zu Entlassungen bei Trainern, Offiziellen, wissenschaftlichen Mitarbeiten und Medizinern führen musste. Dass einige Funktionäre, sogar drei, die in das DSB-Präsidium gewählt wurden, später ihre Ämter wegen Stasi-Vergangenheit wieder verloren, entbehrt nicht einer gewissen Peinlichkeit. Ein Fehler war es auch, dass die DHfK Leipzig nicht erhalten wurde, sie hätte ein ideales Pendant zu Köln darstellen können.

Und was steht auf der positiven Seite?

Sportarten, die in der DDR keinen Stellenwert besaßen, blühten auf, so Hockey und Basketball, Moderner Fünfkampf und Reiten. Außerdem konnten Traditionsvereine wieder ihren ehemaligen Namen tragen, zudem gewinnt der Breiten- und Gesundheitssport in den neuen Bundesländern mehr an Bedeutung.

Ihre Ratschläge, Hoffnungen, Forderungen?

Es wurde viel erreicht, aber noch längst nicht alles, etwa Aufnahme des Sports in das Grundgesetz, Stärkung des Ehrenamtes, Umdenken der Vereine in Bezug auf Ganztagsschulen. Meine Wünsche: Fortbestand des staatlichen Wettmonopols, speziell im Toto- und Lottobereich, Bekämpfung des Dopings, mehr Berücksichtigung von so genannten Randsportarten im Öffentlich-Rechtlichen Rund­­­funk und eine erfolgreiche Bewerbung um Olympische Winterspiele 2018. Erst wenn München durchfällt, was ich nicht hoffe, kann sich Berlin wieder Gedanken machen. Doch die Konkurrenz bei Sommerspielen ist ungleich größer.      

 

Interview: Hansjürgen Wille in "SPORT IN BERLIN" – Jan./Feb. 2011

 

author: GRR

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